Menstruation: Raus aus der Tabuzone!
28. Mai 2017Neulich habe ich über einen Tweet herzhaft gelacht. Darin machen sich zwei weibliche Geschlechtsorgane über eine Frau lustig, die sich allzu sicher war, dass ihre Monatsblutung vorbei ist. Sie schickten einen unverhofften Schwall hinterher - und richteten ein Malheur an.
Den Dialog zu retweeten, habe ich mich allerdings nicht getraut. Das war mir peinlich. Warum eigentlich?
Der weibliche Zyklus ist eine natürliche Sache und Teil der menschlichen Arterhaltung - und dennoch ein Tabuthema. Doch jetzt beginnen Frauen, ihre Blutung zu thematisieren. Die sozialen Netzwerke holen das Thema aus der Scham-Ecke, etwa mit dem Schlagwort #Periodpositivity beim Netzwerk Instagram oder dem Blog "Die Menstruationsbeauftragte". Dafür engagieren sich besonders die Jüngeren, die bis 35-Jährigen.
Aufklärung statt Verklemmtheit
"Wir haben alle tausend Mal nackte Körper und Brüste gesehen, wir können uns überall Pornos anschauen. Aber die Menstruation wird total verleugnet", sagt Eva Wünsch. Sie ist eine der beiden Autorinnen des Buches "Ebbe und Blut", das "alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus" verspricht. Geschrieben haben die beiden 24 und 25 Jahre alten Frauen es, um selber mehr zu erfahren.
Co-Autorin Luisa Stömer findet, die Werbung für Damenhygieneprodukte sei ein gutes Beispiel für Scham und Tabus in der Gesellschaft. "Es werden immer Frauen gezeigt, die in weißen Kleidern durch die Szene hüpfen, als hätten sie wegen der Periode keine Probleme. Das ist völlig an der Realität vorbei." Und wenn Tageblut in der Werbung dargestellt werde, dann als blaue Flüssigkeit, obwohl es tatsächlich rot bis braun ist. Stömer meint: "Wie verklemmt ist das denn?"
Öffentliches Bluten
Zwei Gegenbeispiele: Die Schlagzeugerin Kiran Gandhi erregte 2015 Aufsehen, als sie am London Marathon teilnahm, während sie ihre Menstruation hatte - und auf Tampons oder Binden verzichtete. Das Free Bleeding, das Laufenlassen des Blutes, wie Aktivistinnen es nennen, färbte ihre Hose natürlich im Schritt dunkel.
Gandhi wollte damit die Aufmerksamkeit "auf meine Schwestern richten, die keinen Zugang zu Tampons haben und Krämpfe und Schmerzen verbergen". Frauen sei anerzogen worden, sich nicht zu beschweren und Probleme mit der Menstruation zu verheimlichen - von außen könne ja niemand sehen, was in ihrem Innern los sei.
Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 verpasste die Schwimmerin Fu Yuanhui mit der chinesischen Staffel knapp eine Medaille. Angesprochen auf ihr schmerzverzerrtes Gesicht erzählte sie danach ohne Umschweife, dass sie Bauchkrämpfe habe, weil sie ihre Periode bekommen hatte - und bekam viel Echo in den sozialen Netzwerken.
Frauen bluten in allen Ländern
Das Problem, auf das Kiran Gandhi hinweisen wollte, gibt es in vielen Ländern: kein fließendes Wasser, keine sauberen Toiletten, keine Hygieneprodukte - und keine Möglichkeit, darüber zu sprechen. Mancherorts gehen Mädchen während ihrer Tage einfach nicht zur Schule. Auch dafür will der Weltmenstruationstag ein Bewusstsein schaffen.
Uganda etwa hat da Nachholbedarf. Vergangenes Jahr versprach Staatspräsident Yoweri Museveni im Wahlkampf, Schulen künftig kostenlos Damenbinden zur Verfügung zu stellen. Dafür fehlte nach der Wahl das Geld. Die Feministin Stella Nyanzi startete eine Kampagne, um Geld für Binden zu sammeln und kritisierte die Verantwortlichen, darunter die Präsidentengattin, die gleichzeitig Bildungsministerin ist. Nun steht sie wegen Präsidentenbeleidigung vor Gericht.
In Kenia dagegen wird inzwischen deutlich offener über die Periode gesprochen. Fernsehen und Werbung haben die Schwelle gesenkt, sagt Bruce Amani aus der Kisuaheli-Redaktion der Deutschen Welle. Als der 33-Jährige auf dem Land im Westen Kenias aufwuchs, hatte seine Schwester der Mutter aber noch gesagt, sie habe "Besucher". "Als kleiner Junge habe ich mich immer gewundert, was für Besucher das seien."
In der Schule erfuhr Bruce Amani im Unterricht mehr - zum Beispiel auch, dass seine Klassenkameradinnen mit Stoffresten improvisierten, weil Binden Mangelware waren. "Das war aber nicht so effektiv. Manchmal sah man bei den Mädchen blutige Flecke." Wenn er eine Tochter hätte, würde er mit ihr heute Tampons oder Binden einkaufen gehen. "Für ihr Wohlbefinden würde ich sogar die teuersten nehmen."
Kochverbot an blutigen Tagen
In Indien ist die Menstruation vor allem in religiösen Familien mit Tabus verknüpft. Die 32-jährige Ritika Pandey aus der Hindi-Redaktion der Deutschen Welle sagt: "Wenn du deine Periode hast, darfst du als Frau nicht kochen oder bestimmte Nahrungsmittel anfassen, etwa Pickle, eine Art eingelegtes Obst oder Gemüse. Sonst wird angeblich das Essen schlecht."
In Deutschland gab es bis vor wenigen Jahrzehnten ähnliche Verhaltensregeln. Noch bis Anfang der siebziger Jahre sollten viele Frauen während der Blutung keine Milch anfassen oder Lebensmittel einwecken.
Die junge Generation drängt in Indien darauf, die Menstruation zu enttabuisieren. So etwa, als Ende 2015 ein hoher Geistlicher überprüfen wollte, ob Frauen ihre Periode haben, um ihnen dann den Zugang zum Tempel zu verwehren - er baute dabei auf ein weiteres verbreitetes Tabu. Die 20-jährige Nikita Azad startete daraufhin öffentlichkeitswirksam die Kampagne "Happy to bleed" (Froh zu menstruieren).
Ritika Pandey erinnert sich auch, dass Aktivistinnen einmal Damenbinden an öffentlichen Plätzen verteilt haben. "Saubere natürlich! Das reichte aus, um die Menschen zu schocken, denn niemand erwartet, dass eine Binde an der Wand oder der Bushaltestelle klebt."
Wenn Ritika Pandey sich während ihrer Periode schlecht fühlt, sagt sie das offen - auch unter Kollegen. "Ich will nicht vortäuschen, Bauch- oder Kopfschmerzen zu haben." Und sie will Vorbild sein: "Wenn dann eine Praktikantin oder eine neue Kollegin im Team anfängt, kann sie das ermutigen. Irgendjemand muss einfach anfangen, das zu einem normalen Thema zu machen." Inzwischen spricht sie sogar mit ihrem Vater darüber.
Menstruation ist, wie eine E-Mail zu löschen
Die digitalen Medien fördern die Enttabuisierung - in Indien erreichen sie allerdings vorwiegend die Stadtbevölkerung. Ein Beispiel ist die Videoreihe "Sex Chat with Pappu & Papa", in der ein Vater seinem kleinen Sohn Sexualität erklärt (übrigens auch mit deutschen Untertiteln). Die Menstruation vergleicht der Vater mit einem E-Mail-Postfach. Einmal im Monat schickt Mutter Natur eine Nachricht mit der Frage, ob die Frau schwanger werden möchte. Wenn sie nicht antwortet, wird die E-Mail gelöscht. In dieser Phase blutet die Frau. Das Video hat bisher mehr als 3,2 Millionen Aufrufe.
Der Sohn findet, dass es ziemlich unfair ist, den Frauen bis zu 40 Jahre lang E-Mails zu schicken, auf die sie vielleicht nur zwei Mal mit "Ja" antworten möchten. Von diesen Spam-E-Mails, so sein Schluss, sollten sich Frauen einfach abmelden.