Hanau war ein "Anschlag auf unsere Freiheit"
4. März 2020"Wir sind alle erschüttert über ein terroristisches Verbrechen, einen brutalen Akt mörderischer Gewalt", sagte Steinmeier bei dem zentralen Gedenkakt im Congress Park der Stadt. In die Trauer und Wut mische sich aber auch Entschlossenheit: "Wir stehen zusammen. Wir halten zusammen. Denn wir wollen zusammenleben."
Er nannte die Tat vom 19. Februar mit zehn Todesopfern einen "Anschlag auf unsere Freiheit", unseren gesellschaftlichen Frieden, einen Anschlag auf "unser Grundverständnis von Zusammenleben". Jeder Mensch habe die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Es gebe keine Bürger zweiter Klasse, keine Abstufungen im Deutschsein. Alle hätten ein Anrecht auf Schutz durch den Staat.
Der Anschlag hat nach den Worten des Bundespräsidenten aber auch eine Vorgeschichte der Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit Migrationsbiografien, "eine Vorgeschichte geistiger Brandstiftung und Stimmungsmache, eine Vorgeschichte des Hasses, die sich in den sogenannten sozialen Medien, aber längst nicht nur da, schonungslos über seine Opfer ergießt". In einem solchen Klima fühlten sich Terroristen gerechtfertigt zu morden, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident nutzte seine Ansprache zu einem Plädoyer für die freiheitliche Demokratie. Unsere Grundwerte, unsere Freiheit, unser Frieden, sie sind ohne uns nicht gesichert, mahnte Steinmeier. "Demokratie lebt nicht, weil das Grundgesetz sie verordnet. Sie lebt und bleibt, wenn wir sie wollen und uns in ihr engagieren - gegen die, die sie in Frage stellen oder bekämpfen. Wir müssen sie aktiv verteidigen. Wir. Der Staat. Ich."
Steinmeier nannte in seiner Rede jeden einzelnen der Getöteten mit Namen, auch die Mutter des Attentäters. Zehn Menschen, zehn Lebensgeschichten, zehn Lebensträume die gezielt und brutal ausgelöscht worden seien. "Als Teil von uns bewahren wir sie in unserer Erinnerung", sagte der Bundespräsident.
Vor dem Bundespräsidenten sprach die Schwester eines Anschlagsopfers. In einer emotionalen Ansprache erinnerte sie an ihren getöteten Bruder. "Hamza wurde völlig unerwartet aus der Mitte unserer Familie gerissen", sagte Ajla Kurtovic. "Zurückgeblieben ist grenzenloser Schmerz, eine unfassbare Leere und Fassungslosigkeit." Sie rief die anwesenden Politiker auf, dafür zu sorgen, dass die Tat restlos aufgeklärt wird und Lehren aus ihr gezogen würden, damit es keine Wiederholung gebe. "Das sind wir den Ermordeten schuldig." Es sei das Mindeste, was getan werden könne.
Mirveta Mrkalj-Durben, eine Cousine Hamzas, sagte der Deutschen Welle, es sei sehr wichtig, dass Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier ein Signal gegen das Erstarken von Rassismus und Extremismus senden.
Zu der Trauerfeier in der südhessischen Stadt reisten zahlreiche hochrangige Politiker an. Darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz, Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD) und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier mit vielen seiner Kabinettsmitglieder. Für die Öffentlichkeit wird der Trauerakt mit rund 700 geladenen Gästen auf Großleinwänden auf dem Hanauer Marktplatz und dem Freiheitsplatz übertragen.
Vor exakt zwei Wochen, am späten Abend des 19. Februar, hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Danach wurden der Täter und seine Mutter tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Der Generalbundesanwalt sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des Mannes.
qu/uh (dpa, epd, dw, hr)