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Steinbach: "Erdogan ist ein Populist"

Beklan Kulaksizoglu7. März 2013

Nahost-Experte Udo Steinbach erklärt, welche politischen Absichten hinter Erdogans umstrittenem Vergleich von Zionismus und Faschismus stecken könnten - und wie die deutsch-türkischen Beziehungen zu bewerten sind.

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Porträt des türkischen Premiers Erdogan (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Steinbach, die Äußerung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan über den Zionismus hat heftige Kritik ausgelöst. Er hat den Zionismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet und ihn mit dem Faschismus verglichen. Manche haben ihm Unwissenheit, manche Radikalität vorgeworfen, andere haben diese Äußerungen gefeiert. Wie bewerten Sie diese Äußerung von Erdogan?

Udo Steinbach: Ich denke, das ist der Politik geschuldet. Herr Erdogan versucht ja doch irgendwie Aufsehen zu erregen im arabischen Lager unter den aufstehenden und sich neu organisierenden Arabern. Er versucht natürlich, auch zu Hause damit zu punkten. Vor vier Jahren gab es einen Vorfall in Davos: Damals war das kurz vor den türkischen Gemeinderatswahlen, und es war gar kein Zweifel, dass Herr Erdogan auch damals mit dem spektakulären Aufstehen vor laufender Kamera auf das eigene Publikum gezielt hat (Anm. d. Red. Erdogan verließ 2009 wütend eine Podiumsdiskussion über den Gaza-Krieg). Und etwas Ähnliches vermute ich jetzt auch wieder in erster Linie. Dass daneben auch Ignoranz eine Rolle spielt, dass er nicht versteht, was Zionismus ist und wie man Zionismus und Faschismus und Nationalismus abgrenzen kann, das mag durchaus auch sein. Aber ich glaube, er ist eben ein Populist und hat beide Öffentlichkeiten im Auge: die arabische und die türkische.

Die zionistische Bewegung war die Basis der Gründung eines jüdischen Staates. Im Gegensatz zur gängigen anti-zionistischen Sichtweise hat Erdogan bisher Israel nicht das Existenzrecht abgesprochen und immer betont, er habe nichts gegen das jüdische Volk, sondern kritisiere die Politik der jetzigen israelischen Regierung. Waren dann die letzten Äußerungen Erdogans gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu gerichtet oder war es eine ideologische Äußerung?

Es war wohl keine ideologische Äußerung. Sie war hochgradig emotional und wir wissen natürlich, dass die Chemie zwischen Netanjahu und Erdogan nicht stimmt. Das mag durchaus auch eine Rolle gespielt haben. Aber unter dem Strich, glaube ich, hat der türkische Ministerpräsident wieder einmal sehr stark auf die eigene, auf die türkische Öffentlichkeit gezielt. Und da finden ja demnächst auch wieder Gemeinderatswahlen statt. Ich glaube, hier versucht er zu punkten.

Porträt des Islamwissenschaftlers Udo Steinbach (Foto: DW)
Udo SteinbachBild: DW

Kommen wir zu den deutsch-türkischen Beziehungen: Direkt nach der Rückkehr von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Türkei gab es einen Bericht zu den Einsatzbedingungen der deutschen Patriot-Soldaten in der Türkei. Die türkische Armee hat die Kritik deutlich zurückgewiesen und es herrschen jetzt versöhnlichere Töne. Im politischen Bereich ist man daran gewöhnt, dass es ab und zu mal zu Spannungen kommt, im militärischen Bereich eher nicht. Wie bewerten Sie diesen Vorfall?

Wir sollten den wirklich nicht zu hoch hängen. Zum einen hat der deutsche Verteidigungsminister etwas Richtiges gesagt: Es sind eben unterschiedliche Militär-Kulturen, die hier sehr unvermittelt zusammenstoßen. Das türkische Militär, die Stellung der Offiziere im Militär, vor allem die Stellung von Generälen - das ist eben etwas anderes als in Deutschland. Und wenn dann eine Feldjägerin kommt und den türkischen General zurechtweisen möchte, dann gibt es Reaktionen. Der Einsatz ist aber sehr schnell zustande gekommen, und ich glaube, dass auch deshalb die sanitären Bedingungen und was immer da jetzt angemahnt wird nicht optimal sind. Ich finde es bedauerlich, dass der Wehrbeauftragte der Bundeswehr gleich an die Öffentlichkeit gegangen ist. Nach den Besuchen des Verteidigungsministers und der Bundeskanzlerin bei den Soldaten hätte man das viel besser erst intern klären können, und ich bin wirklich froh, dass man jetzt dabei ist, diesen 'Sturm im Wasserglas' beizulegen.

Erdogan hat in seinen ersten Amtsjahren in Deutschland große Unterstützung bekommen. In der deutschen Presse war oft zu lesen, er sei ein Reformer, der viel mehr umgesetzt hat als seine Vorgänger in den Jahrzehnten davor. Mittlerweile wird aber gerade in Deutschland Kritik an ihm laut. Sind die nächsten Krisen in den deutsch-türkischen Beziehungen schon programmiert?

Ich denke nicht, dass es zu wirklichen Krisen kommt, sondern dass man eher dabei ist, sich gegenseitig neu zu definieren und neu aufzustellen. Das hat auch der Türkei-Besuch der Bundeskanzlerin gezeigt. Die Türkei merkt, dass dieser Alleingang der letzten Jahre gegenüber der arabischen Welt nicht wirklich etwas gebracht hat. In Europa beginnt man zu begreifen, dass mit Blick auf die Zukunft eine enge Anbindung der Türkei an die Europäische Union notwendig ist. Wenn man Herrn Erdogan kritisiert, dann hat das mit einer ganzen Reihe von Umständen zu tun: Einmal eben mit der Tatsache, dass es in der Türkei demokratisch nicht weitergegangen ist, zum anderen, dass viele seiner Äußerungen - sei es in der Türkei selbst, sei es bei seinen Besuchen in Deutschland - nicht immer glücklich gewesen sind, was die Perspektive der Integration betrifft. Und natürlich führt auch die neue Zionismus-Äußerung zu Stirnrunzeln in Berlin. Aber insgesamt sind wir dabei, die deutsch-türkischen Beziehungen wieder aus dem Tal heraus zu steuern, in das sie in den letzten Jahren geraten sind.

Udo Steinbach ist Islamwissenschaftler und leitete bis 2007 das Deutsche Orient-Institut. Seit Juni 2012 ist er Vorsitzender des Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin.

Das Interview führte Beklan Kulaksizoglu