EU-Haushalt: Das Feilschen beginnt
2. Mai 2018Die Haushaltsverhandlungen der Europäischen Union über den sogenannten "Mehrjährigen Finanzrahmen" (MFR) sind schon in normalen Zeiten ein Hauen und Stechen. Diesmal, so meinen Experten wie Guntram Wolff von der Denkfabrik Bruegel, wird es besonders blutig. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU fällt von 2021 an der drittgrößte Nettozahler weg. Für die Jahre 2021 bis 2027 entsteht auf der Einnahmenseite eine Lücke von rund 90 Milliarden Euro, bestätigt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU). Der Verteilungskampf der EU-Staaten untereinander wird sich also um einen kleineren Kuchen drehen. Oder die verbliebenen Netto-Einzahler müssten tiefer in die Tasche greifen.
Kürzungen bei Agrarausgaben und Strukturfonds
Günther Oettinger möchte eine Mischung aus Sparen und Neuausrichtung hinbekommen, wie er auf einer Rundreise durch alle EU-Staaten vor Aufstellung des Haushaltsplans erläutert hat. "Bei den zwei größten Programmen, Agarpolitik und Kohäsionspolitik, werden wir maßvolle, aber effektive Kürzungen von sechs Prozent im Vergleich zu 2020 vornehmen", sagte Oettinger bei seinem Stopp in Berlin im April. "Während diese Aufgaben früher 80 Prozent des Haushalts beansprucht haben, geht dieser Anteil jetzt auf 60 Prozent zurück." Das bedeutet: Die Staaten, die heute von Fördermitteln besonders profitieren, wie Polen, Ungarn oder Griechenland, werden den Gürtel enger schnallen müssen. Dagegen regt sich bereits Widerstand. Die polnische Regierung besteht auf einer ungekürzten Weiterführung der Förderung für strukturschwache Gebiete. Irland mit seiner intensiven Landwirtschaft wehrt sich gegen Kürzungen bei den Agarzuschüssen und droht bereits mit einem Veto. Wirtschaftsexperte Guntram Wolff glaubt hingegen, dass die Agrarausgaben völlig überdimensioniert sind. "Wir müssen weniger für die Landwirtschaft ausgeben und die Mittel besser verwenden, um zum Beispiel Ziele wie Artenvielfalt auch wirklich zu erreichen." Kritik übt Wolff an den Hilfen für strukturell schwache Regionen, da die Fördermittel auch an reiche Länder wie Deutschland oder Spanien ausgezahlt werden. "Da muss man sich wirklich mal genau anschauen, welche Ausgaben noch wirkungsvoll sind und welche nicht."
Die Zeit drängt
Der Zwang zur Einstimmigkeit, der in den EU-Verträgen im Haushaltsrecht vorgeschrieben ist, macht die Verhandlungen zäh und langwierig. Beim aktuell geltenden Finanzrahmen hatte das Hickhack um Milliarden fast zwei Jahre gedauert. Diesmal will Oettinger sehr viel schneller sein. Bereits in einem Jahr soll der Haushaltsrahmen verabschiedet sein, sowohl von den Mitgliedsstaaten als auch vom Europäischen Parlament, das ebenfalls zustimmen muss. "Wir sind in einer einmaligen Situation", erläutert Oettinger. "Noch nie musste das so kurz vor einer Wahl zum Europäischen Parlament verabschiedet werden." Dieser Urnengang steht im Juni 2019 an. Ist der komplexe Haushalt bis dahin nicht verhandelt, wird es knapp, wie die zuständigen Beamten in der EU-Kommission vorrechnen. Bis das neue Parlament arbeitsfähig sei und die nächste EU-Kommission bestätigt habe, könne es leicht September oder gar November werden. Dann gingen die Verhandlungen quasi wieder von vorne los mit neuen Leuten in den Spitzenpositionen. Also drängt der deutsche Haushaltskommissar zur Eile.
Wer zahlt mehr?
Der Haushalt für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 soll rund 1,13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU ausmachen, das wären etwa 1100 Milliarden Euro. Trotz des Brexits steigen die Ausgaben weiter an, denn man müsse sich ja neuen Aufgaben widmen, erläutert der EU-Haushaltskommissar: Migration, Terrorabwehr, Entwicklungspolitik, Verteidigung. "Wir wollen die Zahl der Frontex-Mitarbeiter (Europäische Grenzschutzagentur) von derzeit 1200 auf mehrere Tausend erhöhen. Ich bekomme dafür von den Mitgliedsstaaten Unterstützung. Wir wollen die Mittel für Entwicklungspolitik, vor allem die Unterstützung von afrikanischen Ländern, wirkungsvoll erhöhen."
Um die Ausgaben zu finanzieren, müssten die heutigen Nettozahler drauflegen. Deutschland ist dazu bereit, wie im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zu lesen ist. Andere Nettozahler sind da weitaus zögerlicher. Die Niederlande und Österreich etwa lehnen höhere Zahlungen ab.
Weniger für Aufmüpfige
Für zusätzlichen Zündstoff bei den Haushaltsverhandlungen wird der Streit um Migration und Rechtsstaatlichkeit etwa in Polen oder Ungarn sorgen. Mitgliedsstaaten wie Schweden, Italien oder Deutschland, die besonders viele Migranten untergebracht haben, sollen belohnt werden, und zwar mit zusätzlichen Strukturmitteln, die anderswo dann fehlen. "Von Bestrafen halte ich wenig", sagt dazu der Haushaltskommissar. "Wir sollten die Mitgliedsstaaten, die außergewöhnliche Aufgaben für uns alle wahrnehmen, auch finanziell unterstützen."
Sollte ein Mitgliedsland nicht alle rechtstaatlichen Vorgaben erfüllen, wie etwa die der Unabhängigkeit der Justiz, dann würden auch keine Mittel mehr ausgezahlt, droht Günther Oettinger. Ein formales Verfahren wie jetzt im Falle Polens nach Artikel 7 des EU-Vertrages soll dazu nicht nötig sein. Die EU-Kommission möchte alleine entscheiden. Ein Vorschlag, der in Polen, Ungarn und anderswo sicherlich auf Widerstand stoßen wird. "Das wird extrem schwierig, hier zu einer Einigung zu kommen. Ein Veto der betroffenen Staaten ist hier sicher", schätzt Guntram Wolff vom Bruegel-Institut die Lage ein. An diesem Mittwoch stellt Günther Oettinger erst einmal den globalen Haushaltsrahmen mit den wichtigsten Zahlen vor. Wer genau was bekommen soll und wer was zahlen soll, das ergibt sich erst aus vier Gesetzespaketen, den Ausführungsbestimmungen zum Haushalt, die bis Mitte Juni vorliegen werden.