Debatte um Stammzellen
14. Februar 2008Mehrmals täglich steigt Biotechnologe Harald Stachelscheid hinab in die Kellerräume des Forschungshauses im Berliner Virchow-Klinikum. Im Labor der Arbeitsgruppe Experimentelle Chirurgie lagern in einem Brutschrank bei exakt 37 Grad Celsius embryonale Stammzellen und tun das, was sie am besten können: sie vermehren sich. In Zeitraffer-Mikroskop-Aufnahmen führen Stachelscheid und seine Chefin, Dr. Katrin Zeilinger, den Expansionsdrang ihrer "Schützlinge" vor: "Das hier ist so eine Kolonie von embryonalen Stammzellen, und da sieht man wirklich, wieviel Bewegung hier drin ist. Und was man auch sehen kann, ist, dass die Kolonie immer mehr wächst."
Die beiden Forscher wollen aus den kleinen Energiebündeln Leberzellen züchten und damit eine Art künstliche Leber bestücken, die bereits seit Jahren in Erprobung ist. Kernstück des fernsehergroßen Geräts ist ein Bioreaktor, ein Konstrukt aus künstlichen "Kapillaren" und natürlichen Leberzellen. "Über zwei dieser Kapillarsysteme werden die Zellen mit einem Medium versorgt und über das dritte mit Sauerstoff." Die Zellen selbst sind im Bioreaktor zwischen den Kapillaren angesiedelt und werden dort kultiviert. "Sie werden über Poren in den Kapillarwänden mit Medium, mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren und Sauerstoff versorgt", so die Wissenschaftlerin.
Das Gerät, vom Team um den Berliner Chirurgen Jörg Gerlach entworfen, wurde bereits am Virchow-Klinikum erprobt. Es hat einigen Patienten während der Wartezeit auf eine Lebertransplantation das Leben gerettet.
Futter für den Bioreaktor
Das Problem: 500 Gramm Leberzellen braucht man für den Bioreaktor. Doch woher nehmen? Zuerst griff man auf Schweinelebern zurück, aber die Infektionsgefahr sei zu groß gewesen, sagt Zeilinger. Dann nutzte man Gewebe aus Spenderlebern, die für eine direkte Transplantation nicht geeignet waren. Viel zu wenig Material für die große Zahl von Patienten, die mit dem Bioreaktorsystem behandelt werden könnten. Nun setzt man große Hoffnungen auf die kleinen Alleskönner namens Stammzellen.
Doch die Forschung mit Stammzellen ist in Deutschland bisher nur unter starken Einschränkungen möglich: Während in vielen Ländern die Schranken gefallen sind, herrscht hier weiter strenger Embryonenschutz vom ersten Tag an. Schon die Forschung mit befruchteten Eizellen im Frühstadium ist verboten, weil diese dabei getötet werden. Forscher dürfen embryonale Stammzellen aus dem Ausland beziehen, aber nur solche, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden - um zu verhindern, dass Nachfrage aus Deutschland das weitere Töten von Embryonen anheizt, wie es heißt. Der Bundestag berät nun aber über eine Lockerung. Kommt es dazu – die Entscheidung des Parlaments steht im März an - können Zeilinger und ihre Kollgen demnächst Embryozell-Linien importieren, die bis zum 1. Mai 2007 hergestellt wurden.
Optimales Forschungsgebiet
Für Zeilingers Arbeit wäre dies ein großer Gewinn: Denn, so die Wissenschaftlerin, ihr Forschungsgebiet sei bei der Nutzung embryonaler Stammzellen dasjenige, "das vielleicht am nächsten liegt". Ein Grund: Die Risiken für Patienten durch unerwünschte Zelltypen wären gering. Die künstliche "Ersatzleber" unterstützt die Organe des Patienten - ähnlich wie ein Dialyse-Gerät - außerhalb des Körpers. "Da die Zellen über mehrere Membranen vom Körper des Patienten getrennt sind, kann man ausschließen, dass die Zellen in den Körper des Patienten gelangen und dort möglicherweise zu unerwünschten Zelltypen oder sogar zu Tumoren führen könnten", sagt Zeilinger.
Die embryonalen Stammzellen geben den Forschern noch manches Rätsel auf. Das Berliner Team hat 2005 mit amtlicher Erlaubnis eine Charge von der schwedischen Firma Cellartis importieren dürfen. In Schweden ist im Unterschied zu Deutschland die Produktion von Stammzellen aus solchen Embryonen erlaubt, die bei künstlichen Befruchtungen übrig bleiben. Die Lieferung bestand aus einer Million Zellen, nicht einmal ein Fingerhut voll, aus denen man in Berlin mittlerweile Abermillionen Nachkommen gezüchtet hat.
Was wird aus der unbestimmten Zelle?
Doch dies ist nur der Anfang sagt Biotechniker Harald Stachelscheid, der sich im Labor um das Wohl der empfindlichen Zöglinge zu kümmern hat: Nun versucht das Team die Zellen in eine bestimmte Differenzierungsrichtung zu lenken. "In unserem Fall in Richtung Leberzellen. Das ist das, was uns am meisten interessiert. Aber theoretisch könnte man es in jede Zellrichtung machen."
Die Prinzipien sind noch unbekannt
Aus sogenannten pluripotenten Zellen, mit denen die beiden Forscher arbeiten, kann kein menschliches Wesen mehr entstehen, aber jede Art von Körperzelle. Warum und wie sich die einen zu Leber-, die anderen zu Herz- oder Gehirnzellen entwickeln, diesem Geheimnis sind die Forscher auf der Spur.
Allerdings ist das schwierig, wenn man nur mit wenigen Zell-Linien arbeiten darf. "Die eine Zelllinie lässt sich besser in Leberzellen differenzieren und eine andere Linie meinetwegen in Herzmuskelzellen." Warum das so ist, hat man noch nicht ganz verstanden. "Und wenn man in eine spezifische Richtung - wie Leber - differenzieren will, ist man natürlich blockiert, wenn man nur Zellen hat, die sich besser in neuronale oder Herzmuskelzellen differenzieren können."
Greise Embryonen
Rund zehn Jahre alt sind die embryonalen menschlichen Stammzellen, mit denen die Berliner Forscher arbeiten. In internationalen Forscherkreisen gelten sie als überholt, auch deshalb, weil sie - zur Unterstützung des Wachstums - gemeinsam mit Mäusezellen gezüchtet wurden. Mehr als 30 Zelllinien hat die schwedische Firma Cellartis mittlerweile entwickelt. Für die deutschen Forscher sind wegen der gesetzlichen Restriktionen nur vier davon zugänglich.
Zeilinger entnimmt eine Kulturschale aus dem Brutapparat, zieht die Zellen in eine Spritze und füllt sie in einen Schlauch, der in eine umfängliche Apparatur führt: ihre künftige Heimat, der Bioreaktor. "Unser Ansatz ist es, die natürliche Umgebung der Zellen in dem Organ oder auch im Embryo soweit wie möglich zu simulieren, um damit auch eine physiologische Zell- und Gewebestruktur zu erreichen."
Die Zellen, das weiß man mittlerweile, reagieren äußerst empfindlich, wenn sie keine optimalen Bedingungen vorfinden. Glücklicherweise gilt das für die Berliner Forscher nicht in gleichem Maße, sonst hätten sie vielleicht schon das Handtuch geworfen.