Srebrenica-Resolution: Ein wichtiger symbolischer Akt
23. Mai 2024"'Du und das Baby, ihr geht durch, und der Kleine geht hier entlang', sagte ein Soldat zu meiner Mutter. Mama erstarrte vor Schock. Ein anderer Soldat sagte dann aber: 'Lass das Kind gehen, es gibt genug davon.' Derjenige, der mich führte, schubste mich zu meiner Mutter, die mich in den Bus brachte, der die Erlösung bedeutete", erinnert sich Adem Mehmedovic, der im Juli 1995, als damals Achtjähriger, den Völkermord überlebte.
Vor zehn Jahren kehrte er nach Srebrenica zurück, wo er heute lebt und in der Stadtverwaltung arbeitet. Über das, was in den Vereinten Nationen entschieden wird, sagt er: "Es ist nur eine symbolische Geste und Genugtuung für die Opfer. Und die Vereinten Nation tragen sicherlich einen Teil der Verantwortung für den Völkermord in Srebrenica."
Die Resolution werde aber nicht viel ändern in der Stadt, ist Mehmedovic überzeugt. "Es ist gut, wenn sie angenommen wird, aber man sollte keine zu hohen Erwartungen haben", sagt er der DW. Deshalb, findet er, gäbe es auch keinen Grund für die heftige Reaktionen von Politikern aus der Republika Srpska und aus Serbien.
Angriff auf die UN-Schutzzone Srebrenica
Als im April 1992 der Krieg in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina begann, lebten in der Stadt Srebrenica im Osten des Landes, unweit der Grenze zu Serbien, mehrheitlich bosnische Muslime - Bosniaken. In der Umgebung gab es aber auch mehrheitlich von Serben bewohnte Dörfer.
1993 erklärte der UN-Sicherheitsrat die Enklave Srebrenica zur Schutzzone. Als Schutzmacht wurden dort etwa 170 leicht bewaffnete Soldaten stationiert, zuerst kanadische und später niederländische. Als am 11. Juli 1995 Armeeverbände der bosnischen Serben unter der Führung ihres Oberbefehlshabers Ratko Mladic in die Schutzzone vorrückten, ergaben sich die niederländischen UN-Soldaten kampflos. Nach der Besetzung der Enklave ermordeten Armee und Polizei der Republika Srpska, des serbischen Teils Bosnien und Herzegowinas, und die serbische Sondermilitäreinheit Skorpioni mehr als 8300 bosniakische Männer und Jungen.
Später definierte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) das Verbrechen als Völkermord. Der Internationale Gerichtshof (IGH) bestätigte dies 2007. Dabei stellte er aber auch fest, dass Serbien am Völkermord nicht direkt beteiligt war. Allerdings, so der IGH, hätten die damaligen Belgrader Behörden nichts unternommen, um den Völkermord zu verhindern.
Bisher wurden 6751 Opfer in der Gedenkstätte Srebrenica Memorial im Ort Potocari südlich von Srebrenica beigesetzt. Nach den sterblichen Überresten vieler anderer wird noch immer gesucht. In verschiedenen Prozessen vor dem ICTY wurden etwa 50 Menschen wegen Völkermords und Verbrechen in Srebrenica zu mehr als 700 Jahren Gefängnis verurteilt, darunter auch Ratko Mladic und Radovan Karadzic, der damalige politische Führer der bosnischen Serben.
Serbiens Darstellung: Srebrenica - ein Massaker, kein Völkermord
In der Republika Srpska und in Serbien wird bestritten, dass es sich bei den Verbrechen in Srebrenica um einen Völkermord handelte. Serbiens Parlament hatte 2010 das Massaker von Srebrenica verurteilt, ohne den Begriff Völkermord zu verwenden. Die jetzige UN-Resolution wird als Angriff auf Serbien und die Serben als Nation interpretiert, obwohl sie im Text der Resolution überhaupt nicht erwähnt werden.
Schon im Vorfeld der Abstimmung in der UN-Vollversammlung sagte Aleksandar Vulin, Serbiens ehemaliger Geheimdienstchef und inzwischen stellvertretender Ministerpräsident, in einem Interview mit serbischen Medien: "Was bevorsteht, ist die Vollendung der Verschwörung gegen die Republika Srpska und die Republik Serbien." Deutschland und Ruanda, die den Anstoß zu der Resolution gegeben hatten, wollten "die Serben zu einer Völkermörder-Nation erklären".
Es ist schwierig, unter den Serben in Srebrenica Gesprächspartner zum Thema der Resolution zu finden. Die meisten winken ab und sagen: "Fragen Sie mich nicht." Einer stimmt schließlich zu, aber unter der Bedingung, seinen Namen nicht zu nennen. Er sagt, er sei serbischer Soldat gewesen. Im Gespräch mit der DW betont er, dass es in Srebrenica keinen Völkermord gegeben habe, denn "wenn der Völkermord die Absicht ist, ein ganzes Volk auszurotten und zu vernichten, dann ist das hier nicht geschehen".
Zu Beginn des Krieges hätten die Bosniaken in serbischen Dörfern gewütet, sagt er, sie hätten alle getötet, Kinder, Frauen, alte Menschen. "Ich war Zeuge. Wir müssen mit all dem ehrlich umgehen. Es kann nicht immer nur eine Seite schuldig sein. Diejenigen, die getötet haben, haben Namen, auf beiden Seiten. Und jeder sollte sagen, was genau passiert ist und wer für was verantwortlich ist, um individuell zur Verantwortung gezogen zu werden", sagt er der DW.
Tatsächlich gab es im Krieg auch Verbrechen von bosniakischer Seite. Aber sie sind nicht vergleichbar mit den Massakern an den Bosniaken, vor allem führte die bosniakische Armee keine "ethnischen Säuberungen" durch.
"UN-Resolution als ein 'Nie wieder!' zu solchen Taten"
"Die Resolution zu Srebrenica ist ein äußerst wichtiger Schritt", sagt der Sozialanthropologe Ger Duijzings von der Universität Regensburg. "Der Erinnerungstag ist das Mindeste, was wir als Zeichen wahrer Menschlichkeit und als Akt der Solidarität mit den Familien und Überlebenden tun können, die jeden Tag mit unüberwindbarem Verlust, Schmerz und Trauma leben müssen."
Duijzings war Mitglied der Forschungsgruppe des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD) in Amsterdam, die ab 2002 einen Bericht über die Rolle niederländischer Soldaten in Srebrenica erstellte.
Es sei absolut notwendig, sich der anhaltenden Leugnung des Völkermords durch Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf serbischer Seite zu widersetzen. "Das Ziel der Resolution besteht nicht darin, die Serben zu dämonisieren, sondern zu sagen: 'Nie wieder!' zu solch schrecklichen Taten, zu denen leider jedes Kollektiv potenziell fähig ist", so Duijzings.
Srebrenica - eine Geisterstadt
Nach dem Krieg fiel Srebrenica in die Zuständigkeit der Republika Srpska, der kleineren der zwei Entitäten in Bosnien und Herzegowina. Allerdings ist die Bevölkerungszahl im Vergleich zur Vorkriegszeit um zwei Drittel gesunken: In der Stadt und den umliegenden Dörfern leben insgesamt etwa 13.000 Menschen, eine knappe Mehrheit bezeichnet sich als bosniakisch.
Heute gleicht Srebrenica einer Geisterstadt. Es gibt kaum Geschäfte und nicht einmal eine Bushaltestelle. Der Alltag beschränkt sich auf zwei Cafés und ein paar Wettbüros, und nach 17 Uhr gibt es auf den verlassenen und leeren Straßen nur noch streunende Hunde und gelegentliche Polizeipatrouillen. In Srebrenica kann man nicht einmal eine Tageszeitung kaufen. Junge Menschen verlassen die Stadt, sie sehen für sich dort keine Perspektive.
"Zeichen wahrer Menschlichkeit"
"Serbien hätte selbst die Initiative für diese Resolution ergreifen sollen, um damit das serbische Volk zu entlasten. Man hätte die Einzelpersonen verurteilen sollen, anstatt ein Zufluchtsort für Kriegsverbrecher zu werden", sagt Suljo Canovic, der während des Kriegs Sanitäter in Srebrenica war. Er fügt hinzu: "Die Resolution bindet niemanden, aber die Bosniaken warten sehnsüchtig darauf, denn sie empfiehlt den UN-Mitgliedstaaten dennoch, an den Völkermord von Srebrenica zu erinnern und das Gedenken in das Bildungssystem aufzunehmen." Er betont: "Es ist gut, dass der 11. Juli zum Gedenktag des Völkermords und der unschuldigen Opfer wird."
Die Resolution zum Völkermord von Srebrenica, über die die Generalversammlung der Vereinten Nationen an diesem Donnerstag (23.05.2024) abstimmen wird, wurde von Deutschland und Ruanda vorgeschlagen. Sie erklärt den 11. Juli zum Internationalen Tag des Gedenkens an den Völkermord in Srebrenica und fordert die Einbeziehung gerichtlich festgestellter Tatsachen über den Völkermord in Bildungsprogramme.
In die endgültige Fassung der Resolution zu Srebrenica wurde der Änderungsantrag Montenegros aufgenommen, der besagt, dass die strafrechtliche Verantwortung für Völkermord nach internationalem Recht individuell ist und keiner ethnischen, religiösen oder anderen Gruppe oder Gemeinschaft als Ganzes zugeschrieben werden kann.