Sprachmangel bei ausländischen Ärzten?
15. März 2013Andrea Staniszewski weiß, wie es in einer Klinik zugeht - bis vor fünf Jahren hat sie selbst als Krankenschwester dort gearbeitet. Heute ist sie Beraterin bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz. "Ein offenes Ohr haben" - so beschreibt sie selbst ihre Tätigkeit. Die Menschen rufen bei ihr an oder kommen persönlich vorbei. Oft sind es Senioren, die Vorsorge treffen wollen oder die Rat bei der Formulierung ihrer Patientenverfügung suchen. Diese Menschen wollen reden - und so erzählen sie Andrea Staniszewski auch ihre Vorgeschichte: Was sie in Krankenhäusern erlebt haben, wie die Ärzte mit ihnen umgegangen sind, in welchen Momenten sie Angst hatten. "Es ist einfach auffallend, dass Kommunikationsprobleme zwischen Arzt und Patient in den Berichten dieser Menschen immer häufiger eine Rolle spielen. Dass viele Patienten sich nicht verstanden fühlen", erzählt Staniszewski.
Ein Anästhesist ohne Worte
Sich nicht verstanden fühlen? Oder nicht verstanden werden? Das Arzt-Patientenverhältnis ist eine sensible Beziehung. Ärzte - das sind für viele Menschen noch immer die sogenannten "Halbgötter in Weiß". Die, die alles wissen. Die die Macht haben, Leben zu verlängern. Wie groß mag die Enttäuschung mancher Patienten sein, wenn ihr "Halbgott" nur gebrochen Deutsch spricht? "Natürlich können wir nicht ausschließen, dass es Patienten gibt, die ausländischen Ärzten grundsätzlich mit Vorurteilen begegnen", räumt auch Staniszewski ein. Und doch habe sich bei ihr durch die intensiven Gespräche mit den Patienten ein anderes Bild verfestigt: Es ist das Bild, in dem Kranke Pfleger verzweifelt darum bitten, als Übersetzer zwischen ihnen und dem Arzt einzuspringen. Ein Bild, in dem Diagnosen erst viel zu spät gestellt werden, weil der Arzt die Symptome seines Patienten nicht richtig versteht und sie deshalb auch nicht zu einem Gesamtbild zusammen setzen kann. "Gerade im Bereich der inneren Medizin werden Diagnosen ja vor allem übers Gespräch ermittelt", erklärt Staniszewski. "Wie schwierig muss das für einen Arzt sein, dem der entsprechende Wortschatz fehlt?"
Das Thema ist der Patientenberaterin nicht egal. Es berührt sie auch persönlich: Ihr Vater musste sich vor einigen Jahren einer Darmkrebsoperation unterziehen. Eine OP, die dem ehemaligen Polizeibeamten durchaus Respekt einflößte. Am Abend vor dem Eingriff kam der Anästhesist in sein Zimmer - ein junger Mediziner aus dem Ausland. "Statt meinen Vater zu beruhigen und ihn über den Eingriff aufzuklären, reichte der ihm lediglich einen Zettel", erinnert sich Staniszewski. "Hier Risiken, hier unterschreiben", soll er gesagt haben. Ein ausführlicheres Informationsgespräch sei aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht möglich gewesen. Diese Szene hat sich Frau Staniszewski eingebrannt. Ein Einzelfall? Oder Alltag in deutschen Kliniken? Verlässliche Zahlen liegen zu diesem Thema nicht vor. Und auch der Patientenschutz mag hierzu keine Einschätzung geben.
Sprachkurse für ausländische Ärzte
Georgios Godolias ist selbst zugewanderter Arzt. Vor 37 Jahren kam er als junger Mann von Griechenland nach Deutschland. Heute ist er Klinik-Chef des St. Anna Hospitals in Herne. Ein Viertel der Ärzte in seinem Team haben ausländische Wurzeln - so wie in den anderen Kliniken des Ruhrgebiets auch. "Die deutsche Gesellschaft muss akzeptieren, dass sie Ausländer braucht, um die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten", sagt er. "Wichtig ist, dass die Einbindung dieser Ärzte in den Klinikalltag richtig angegangen wird".
Godolias hält nicht viel von düsteren Bildern: Schon heute müssten alle Klinikärzte ein Grundniveau an Sprachkenntnissen nachweisen, erklärt er. Medizinische Fehler aufgrund von Sprachbarrieren seien ihm aus seiner gesamten Zeit als Klinikdirektor nicht bekannt. Und trotzdem: Auch Godolias glaubt, dass etwas geschehen muss, um die Kommunikation zwischen ausländischen Ärzten und deutschen Patienten zu verbessern.
In Herne sieht das ganz konkret so aus: Seit Oktober 2012 gibt es Sprachkurse, in denen ausländische Ärzte gezielt geschult werden. Hier geht es nicht nur um Alltagssprache, sondern vor allem um medizinische Fachbegriffe. Auch ein Coach steht den Kursteilnehmern aus der Ärzteschaft zur Verfügung. Bei Bedarf kommt er ins Krankenhaus, unterstützt die Mediziner bei Patientengesprächen. "Die Kurse laufen jetzt ein halbes Jahr und wir machen die Erfahrung, dass alle viel zufriedener sind", resümiert Godolias. Dies gelte sowohl für die ausländischen Kollegen, als auch für die Patienten.
Sprachdefizite zu Lasten der Kollegen
Was in Herne auf freiwilliger Basis geschieht, wünscht sich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund verpflichtend für alle ausländischen Ärzte, die in deutschen Krankenhäusern praktizieren: Zertifizierte Sprachkurse, die neben der Alltagssprache auch medizinische Fachbegriffe thematisieren - und die mit einem einheitlichen Test abschließen. "Wir haben sowohl die Kultusministerkonferenz als auch der Gesundheitsministerkonferenz schriftlich darum gebeten dieses Thema anzugehen", erklärt Rudolf Henke, Chef des Marburger Bundes, gegenüber der Deutschen Welle. Doch eine Antwort der Politik stehe bislang aus.
Dabei sei das Thema dringend: Die mangelnden Sprachkenntnisse einzelner Ärzte gingen schon heute oftmals zu Lasten der Kollegen, die in wichtigen Gesprächen als Vermittler aushelfen müssten. Eine Kleinigkeit mag man denken - und doch eine Belastung. So gaben siebzig Prozent der Ärzte in einer Umfrage an, dass Überstunden und Bereitschaftsdienst schon heute negativen Einfluss auf ihre Gesundheit hätten. Dass unter solchen Bedingungen zusätzliche Aufgaben wie Übersetzungsdienste nur ungern übernommen werden, kann nachvollzogen werden. Und so sollen einheitliche Sprachstandards nach dem Willen des Marburger Bundes letztlich auch zu einer größeren Zufriedenheit innerhalb der Krankenhausbelegschaft führen.