Spionage unter Freunden
17. August 2014Es gibt Zitate, die Politiker geradezu verfolgen: In einem unbedachten Moment gesagt, werden sie bei jeder passenden Gelegenheit wieder hervorgeholt. Das ist jetzt sogar der sonst stets übervorsichtigen Kanzlerin Angela Merkel passiert: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht", hatte sie vor einigen Monaten erklärt, nachdem bekannt geworden war, dass der US-Geheimdienst NSA ihr Mobiltelefon abgehört hatte. Dieses Zitat fehlt derzeit in kaum einem Bericht über die möglichen Spähaktionen des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).
Es könnte in der Tat eine reichlich peinliche Angelegenheit für die Bundesregierung werden: Schließlich ist es erst wenige Wochen her, dass sich deutsche Politiker mit immer schärferen Worten gegen die Spionagepraktiken der USA in Deutschland verwahrt hatten. Zuletzt hatte die Bundesregierung den offiziellen Repräsentanten der US-Geheimdienste in Berlin aufgefordert, das Land zu verlassen, nachdem zwei Spione der Amerikaner enttarnt worden waren.
Entlastung für die USA?
Nun wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst 2012 im Zuge von Abhöraktionen im Nahen Osten zufällig ein Gespräch der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton mitgeschnitten haben soll. 2013 soll die Behörde auch ein Telefonat von Clintons Nachfolger John Kerry abgefangen haben. Von US-amerikanischer Seite gibt es bisher keine offizielle Reaktion zu den Vorwürfen: Weder die US-Botschaft in Berlin noch das Außenministerium in Washington wollten entsprechende deutsche Medienberichte kommentieren. Ein US-Geheimdienstmitarbeiter reagierte skeptisch: "Die Gespräche des Außenministers werden genauso verschlüsselt wie die des US-Präsidenten", sagte er der "Bild"-Zeitung. Möglicherweise seien "Clintons Aussagen auf einer unsicheren Leitung abgefangen" worden.
Arbeitet der deutsche Geheimdienst genauso rücksichtlos wie der amerikanische und spioniert Politiker befreundeter Staaten aus? Allein dass diese Frage nun im Raum steht, dürfte der Bundesregierung gerade nach den rauen Tönen im Umgang mit den NSA-Aktivitäten in Deutschland äußerst unangenehm sein. Die Reaktionen der Opposition ließen nicht lange auf sich warten: So warf der Grünen-Politiker Konstantin von Notz der Regierung Heuchelei vor: "Sie reagiert bigott und misst mit zweierlei Maß", sagte er im Deutschlandfunk.
Aus der Koalition allerdings werden entsprechende Berichte zurückgewiesen: Kein ausländischer Politiker werde gezielt abgehört, so der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU). "Grundsätzlich führen wir gegen befreundete Staaten keine Abhörmaßnahmen durch", stellte auch eine BND-Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters klar. "Die USA waren und sind kein Aufklärungsziel." Etwaige zufällige Aufnahmen würden sofort gelöscht. Im Fall der Clinton- und Kerry-Gespräche soll es sich in der Tat nur um "Beifang im Schleppnetz" gehandelt haben. Dennoch soll zumindest eine der Aufnahmen eben nicht, wie vorgesehen, umgehend vernichtet worden sein.
Wer gilt als "Freund"?
Zumindest indirekt bestätigt hat die Bundesregierung mittlerweile Berichte, wonach der BND den NATO-Partner Türkei seit Jahren im Visier hat. Nach Informationen des "Spiegel" sowie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) gehört die Türkei sogar zu den "Kernländern" der Beobachtung durch den deutschen Geheimdienst. Diese Enthüllung könnte außenpolitisch sogar noch brisanter sein als die Berichte über abgehörte Telefonate. Die Regierung verteidigt diese Praxis offensiv: Die Türkei sei nicht mit den Vereinigten Staaten oder europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien vergleichbar, heißt es laut FAS aus Regierungskreisen. Was in der Türkei geschehe, habe unmittelbare Bedeutung für die innere Sicherheit Deutschlands. Zentral seien in diesem Zusammenhang die Aktivitäten der kurdischen PKK, links- und rechtsextremistischer türkischer Gruppen in Deutschland sowie Drogenschmuggel und Schleuserkriminalität.
Aber reicht das, um eine gezielte und systematische Spionage beim NATO-Partner und EU-Beitrittskandidaten Türkei zu rechtfertigen? Durchaus, findet der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff: "Wenn drei Millionen Türken in Deutschland leben und türkischen Organisationen hierzulande als terroristische Vereinigung eingestuft werden, dann halte ich es für selbstverständlich, dass wir alles unternehmen, um herauszufinden, wie diese Organisationen aus der Türkei unterstützt werden", sagte er der FAS. Kritischer sieht das Rolf Mützenich von der mitregierenden SPD: "Ich halte NATO-Mitglieder grundsätzlich für Partner", sagte er der Zeitung und äußerte die Sorge, die ohnehin nicht einfachen Beziehungen zur Türkei könnten zusätzlich belastet werden.
Bisher hat die Türkei eher zurückhaltend auf die Berichte reagiert. Ein Regierungsvertreter in Ankara kündigte an, die Vorwürfe gründlich zu prüfen: Die Berichte müssten "ernst genommen werden", sagte der Vize-Vorsitzende der regierenden AKP, Mehmet Ali Sahin, am Sonntag. Die türkische Regierung und das Außenministerium würden die nötigen Untersuchungen zu den Vorwürfen in die Wege leiten.
Erkenntnisse aus einer Krisenregion?
In "Krisenregionen" und "Ländern, die als sensibel einzustufen sind" findet CDU-Politiker Patrick Sensburg nachrichtendienstliche Tätigkeiten völlig richtig, wie er im ARD-Fernsehen betonte. "Sie finden hinterher immer eine Rechtfertigung, wieso irgendwas interessant war", konterte der Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Gregor Gysi in der ARD. "Ich habe schwere Kritik an der Türkei, zum Beispiel, weil sie die Terroristen von IS hat einfach durchmarschieren lassen - aber das ist doch kein Grund, sich gegenseitig auszuforschen." Vor allem seine Schlussfolgerung dürften Mitarbeiter des BND nicht so gerne hören: "Ich glaube, die Welt der Nachrichtendienste hat einen Knall."