Spaniens Zerreißprobe
22. April 2013Noch vor wenigen Jahren galt Spanien als Musterschüler Europas. Mit seiner dynamischen Wirtschaft, seinen aufsehenerregenden Bauprojekten sowie seiner kreativen Kunst- und Filmszene sorgte es international für Aufsehen. Fast vergessen waren die düsteren Jahre der Diktatur unter Francisco Franco. Der Tod des Generals im Jahr 1975 beendete die lang andauernde politische Lethargie und machte den demokratischen Wandel Spaniens möglich. Mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1986 und der Teilnahme an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion leitete das Land seinen wirtschaftlichen Aufschwung ein. Spanien schien ein sicheres Ticket für eine vielversprechende Zukunft zu besitzen.
Doch 2007 endete der Höhenflug. Im Verlauf der Finanzkrise platzte die Immobilienblase und riss das Land in eine Wirtschaftkrise; tausende Firmen gingen pleite, und das Bankensystem geriet ins Wanken. Die kilometerlangen schlammfarbenen Bauruinen an der Küste Spaniens zeugen davon, wie sehr das Land auf Pump lebte und sich im trügerischen Glauben an neue Größe verspekulierte. Neben Griechenland ist Spanien zum größten europäischen Sorgenkind geworden. Die Arbeitslosigkeit stieg Ende 2012 auf 26 Prozent. Sechs Millionen Spanier, also jeder vierte Erwerbsfähige, waren ohne Job. Bei den unter 25-Jährigen waren es sogar 52 Prozent. Zum Jahreswechsel summierten sich die Staatsschulden nach Angaben der Zentralbank auf 884 Milliarden Euro. Das entspricht rund 84 Prozent der Wirtschaftsleistung Spaniens. Die EU-Verträge sehen eigentlich eine Obergrenze von 60 Prozent vor.
Schnellere Kündigungen, höhere Steuern
Wenn die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone dabei versagt, ihre Schulden in den Griff zu kriegen, droht die Krise aus der Kontrolle zu geraten.Weil Spaniens Wirtschaft mehr als doppelt so groß ist wie die Irlands, Griechenlands und Portugals zusammen genommen, könnten die EU-Rettungsschirme überlastet werden.
Seit Monaten peitscht die Regierung in Madrid daher drastische Sparmaßnahmen durch, um die Vorgaben der EU zu erfüllen. Kernstück ihres Reformprogramms sind einschneidende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Dazu zählen schnellere Kündigungen und mehr Flexibilität für Unternehmen. Im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen wurden ebenso Stellen abgebaut wie in öffentlichen Betrieben. Auch die Steuerschraube wurde angezogen. Es steht viel auf dem Spiel.
Proteste gegen Sparmaßnahmen
Die Reformen stellen auch den sozialen Frieden auf die Probe. Fast wochenweise ziehen Zehntausende von Menschen in den Großstädten durch die Straßen, um gegen die Kürzungen zu protestieren.
Bislang halten sich die gewaltsamen Ausschreitungen am Rande der Demonstrationen in Grenzen. Die Spanier gingen erstaunlich gut mit der Situation um, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer für Spanien in Madrid, Walther von Plettenberg, im Gespräch mit der DW. Man sei sich eben bewusst, zehn bis fünfzehn Jahre lang weit über die Verhältnisse gelebt zu haben. Insofern gebe es eine Bereitschaft zum Verzicht. "Aber mittlerweile wird es heftig", betonte er, "denn kaum jemand bleibt von Sparmaßnahmen verschont."
Jugendliche flüchten ins Ausland
Wegen der Perspektivlosigkeit sehen sich immer mehr Jugendliche als verlorene Generation. In der Folge suchen vornehmlich gut ausgebildete, hoch motivierte Nachwuchskräfte ihr Glück zunehmend im Ausland. Genau diejenigen also, die Spanien händeringend benötigt, um sich aus dem Krisensumpf zu ziehen. Ein Aderlass, der nach Meinung vieler Experten nur schwer zu kompensieren ist. Wie dramatisch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ist, verdeutlichen auch die Aktionen des spanischen Roten Kreuzes. Erstmals rief es nicht um Hilfe zur Linderung von Not im Ausland auf, sondern bat um Spenden für die Bedürftigen im Inland. Rund drei Millionen verarmte Spanier werden mit Lebensmitteln der Hilfsorganisation unterstützt.
Regionale Nationalisten auf dem Vormarsch
Profiteure der wirtschaftlichen Not und der Wut über die von der Zentralregierung verordneten Sparpakete sind die Abspaltungsbewegungen regionaler Nationalisten. Vor allem in der autonomen und vor Selbstbewusstsein strotzenden Region Katalonien werden die Stimmen immer lauter, die eine Unabhängigkeit von Spanien fordern. Ende dieses Januars verabschiedeten die katalanischen Abgeordneten in Barcelona mit großer Mehrheit eine Erklärung, mit der die wirtschaftsstärkste Region des Landes für sich das Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch nimmt. Die spanische Regierung will die Souveränitätserklärung nun vor dem Verfassungsgericht anfechten. Umso verwirrender wirkt die Tatsache, das Katalonien vorher wegen seines Schuldenbergs Staatshilfe bei der Zentralregierung beantragte und damit anderen hilfsbedürftigen Regionen folgte.
"Es ist immer schwierig, einen Staat zu managen, in dem die Regionen viel zu sagen haben", resümiert der Ökonom Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies. Das Kabinett von Ministerpräsident Rajoy kann gar nicht schnell genug reagieren, um all die neu entstehenden Brände zu löschen. Aber auch die parlamentarische Opposition tut sich mit innovativen Lösungsvorschlägen schwer.
Korruptionsfälle werden öffentlich
Dabei ist Rajoy selbst in Bedrängnis geraten. Nach Zeitungsberichten sollen führende Funktionäre der konservativen 'Partido Popular' PP, unter ihnen Rajoy, seit 1990 von Unternehmen Schwarzgeld bekommen haben. Dieser Skandal ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Nachdem über Korruption lange geschwiegen wurde, kommen unter dem Druck der Wirtschaftskrise ständig weitere Tatbestände an die Öffentlichkeit. Die Regierung kündigte an, die Korruption bekämpfen zu wollen. Dem vertrauen aber nur wenige Spanier. Immer wieder kritisieren spanische Medien in diesem Zusammenhang die mangelnde Kontrolle durch die Justiz. Sie werfen ihr vor, Spielball der Politik zu sein.
In solch schweren Zeiten will sich das Königshaus offenbar solidarisch mit der Bevölkerung zeigen. So erklärte König Juan Carlos im Juni 2012, er und Kronprinz Felipe würden künftig auf 7,1 Prozent ihres Bruttojahresgehalts verzichten. Bisher bekam der Monarch vom Staat jährlich etwa 272. 000 Euro, sein Sohn die Hälfte. Angesichts des Vermögens und sonstiger Einnahmen des Königshauses gilt der Gehaltsverzicht eher als symbolische Geste. Oder als Versuch des Monarchen, sein arg ramponiertes Image aufzupolieren.
Königshaus fällt in Ungnade
Noch vor einem Jahr erfreute sich Juan Carlos bei seinen Landsleuten eines hohen Ansehens. Der 75-jährige galt als moderner, weltoffener Vorzeigekönig. Nach der Franco-Diktatur unterstützte er den Weg zur Demokratie und stellte sich gegen den Militärputsch von 1981. Doch seit April 2012 rutscht er auf der Beliebtheitsskala rasant abwärts. Während die Menschen voller Verzweiflung gegen die Sparmaßnahmen protestierten, ging der Blaublüter in Botswana auf Elefantenjagd. Gerüchte um eine mögliche Geliebte, die ihn auf dem luxuriösen Ausflug begleitet haben soll, sowie spätere Korruptionsvorwürfe im Umkreis der engsten Familie haben den ehemals Vielgepriesenen dann vollends allzu bürgerlich erscheinen lassen.
Und so stellt sich Spanien derzeit als tief zerrissenes, nach Halt suchendes Land dar, deren Menschen sich von Politik und Krone gleichermaßen im Stich gelassen fühlen.