Spaniens Tourismusbranche am Ende?
21. August 2020"Die Saison ist vorbei und damit stehen eine Million Jobs auf dem Spiel", resümiert Juan Carlos Higueras von der Madrider Business-Schule EAE die aktuelle Situation.
Offiziell weist Spanien derzeit in Europa mit 132 am meisten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf. Deutschland kommt gerade mal auf 15. Es hagelt infolge Reisewarnungen von überall.
Bisher haben offiziell nur 55.000 Spanier ihren Job verloren, weil die meisten sich noch in Kurzarbeit-Programmen befinden. Eine Studie des Wirtschaftsverbands FEDEA sieht jedoch voraus, dass am Ende 70 Prozent der Angestellten im Tourismussektor ihre Arbeit verlieren werden.
Besonders stark betroffen sind die Balearen, wo diese Branche 35 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt, im Rest des Landes sind es zwölf Prozent.
Die Kanaren, wo die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist, haben dagegen derzeit kurzfristig einen Vorteil: Nicht nur, dass sie von den meisten Reisewarnungen wegen der geringen Infektionen ausgeschlossen sind und der deutsche Reiseveranstalter TUI einen Teil der Spanien-Reisen dorthin umleitet - ihre Hauptsaison fängt zudem erst im Winter an.
Für Mallorca sieht es dagegen düster aus: "Die übertriebene Panikmache mancher deutscher Massenmedien hat die Situation verschlimmert", kritisiert der Investor Matthias Meindel, der zeitweise auf der Insel lebt.
Er selbst lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und hält an seinem geplanten Radler-Hotel in der mallorquinischen Kleinstadt Inca fest: "Wir fangen im nächsten Jahr mit den Umbauten an."
Vermehrte Polizeistreifen und das Schließen von Stränden und Parks bei Nacht sollen die Ausbreitung des Virus eindämmen. Maskenpflicht besteht bereits seit Langem. Jetzt darf auch nur noch mit einem Abstand von zwei Metern in der Öffentlichkeit geraucht werden.
Die Einheimischen halten sich mit eiserner Disziplin an die Vorschriften. "Von den Touristen kann man das nicht immer sagen", bemerkt Meindel. Zudem kann nur noch nach Spanien einreisen, wer vorher digital einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt hat.
Schlaflose Nächte für 2,4 Mio. Menschen
Klar ist, dass Spaniens Wirtschaft in Windeseile umdenken muss. Die Regierung will jetzt zusammen mit einer privaten Unternehmensberatung den gesamten Feriensektor auf größere Margen bei weniger Besuchern trimmen.
Nach dem Rekordjahr 2019 mit fast 84 Millionen ausländischen Touristen, die 92 Milliarden Euro im Land ließen, rechnet der Branchenverband Exceltur in 2020 mit einem Minus von fast 100 Milliarden Euro - das sind 15,6 Milliarden mehr als bisher gedacht.
Das vor Kurzem vom Tourismus-Ministerium herausgegebene Qualitätssiegel "sicherer Tourismus" (turismo seguro) soll den Urlaubern Angst nehmen. Es garantiert Hygiene-Protokolle und geringe Ansteckungsgefahr.
"Wir promoten unter diesem Schutzschirm in der Region Castilla-La Mancha vor allem Wein- und Gastronomierouten, Wanderungen sowie Events unter freiem Himmel", berichtet Ruth Ardyla, Chefin des Madrider Tourismusbüros der autonomen spanischen Region mit der von Ausländern in normalen Zeiten viel besuchten Stadt Toledo als Hauptattraktion.
Aber was Castilla-La Mancha im Kleinen erlebt, gilt für das ganze Land - trotz der emsigen Bemühungen der Spanier: "Vorher waren 40 Prozent unserer Besucher Ausländer, jetzt sind es vielleicht noch zwischen 15 und 20 Prozent", berichtet Ardyla. Die Zukunft ist unsicherer als in jedem anderen EU-Land.
Im Rekordjahr 2019 arbeiteten in Spanien fast 2,4 Millionen Menschen direkt oder indirekt in der Urlaubsindustrie, die in zehn Jahren 500.000 neue Jobs schaffte. Diese sind jetzt bei nur noch einem knappen Drittel an ausländischen Besuchern ein Klotz am Bein.
Exceltur fordert deswegen, dass ein Viertel der zugesagten 140 Milliarden Euro aus Brüssel in ihren Sektor fließen. Die Kurzarbeit soll nach Wunsch der Branche bis zur Wintersaison verlängert werden. Exceltur fordert sogar bis Ostern 2021.
Wie das finanziert werden soll, ist unklar. Die spanischen Staatsschulden stiegen im Juni nach Angaben der Banco de España auf 110 Prozent und könnten Ende des Jahres bei 120 Prozent des BIP liegen.
Umbau der Wirtschaft mit dem Blick nach Afrika
Während der auf Mallorca lebende deutsche Rechtsanwalt Tim Wirth froh war, dass die Könige und Premier Pedro Sánchez kürzlich noch auf der Insel verweilten und damit positive internationale Presse erzeugten, "hat die plötzliche Panik jetzt auch den Immobilienmarkt negativ beeinflusst."
Nach Angaben des spanischen Gutachters Tinsa, sind die Wohnungspreise seit März 2020 auf den Balearen und Kanarischen Inseln im Durchschnitt um 8,2 Prozent und an der Mittelmeerküste um 6,1 Prozent gefallen.
Um das aufzuhalten, rät der spanische Ökonom Javier Díaz-Giménez, den Rest der Wirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren und endlich energieeffizientere Häuser und Gebäude zu bauen: "Die Bauindustrie ist genauso wichtig für uns wie der Tourismus."
Spaniens Blick müsse deswegen nach Afrika gehen, wo das Land sich mit weltweit renommierten Infrastrukturunternehmen wie ACS und Ferrovial einbringen könne.
"In meinem Unterricht nimmt der Kontinent derzeit ein zentrales Thema ein", gesteht der Dozent, der an der Elite-MBA-Schmiede IESE in Madrid unterrichtet.
Auch Industrie-Ministerin Reyes Maroto hat das Potenzial erkannt und gerade den Plan "Horizonte África" verabschiedet, der den Einstieg spanischer Firmen vor Ort erleichtern soll.
Ökonom Higueras lobt das, denn er glaubt ebenfalls ganz stark an die wirtschaftliche Zukunft Spaniens in Afrika: "Wir sind die Brücke Europas zu diesem Kontinent und sollten nicht das ganze Geschäft den Franzosen, Briten, Chinesen und Amerikanern überlassen."
Derweil warnt Díaz-Giménez Premier Sánchez vor einem zweiten Lockdown und fordert, jetzt vor allem den Menschen zu helfen und nicht den Firmen: "Wir dürfen keine Airlines oder Hotelketten retten und schon gar nicht Automobilunternehmen, aber wir müssen den Arbeitslosen helfen mit Geld und Umschulungen."