Spaniens Tanz auf dem Corona-Vulkan
19. August 2021Marbellas Strandbars sind im August voll von jungen reichen Ausländern in Streifenhemd und Abendkleid. Es ist heiß wie immer. Die Touristen leben eingebettet zwischen Hotel und Strand in Parallelwelten. Während dem spanischen Fernseh-Zuschauer auf fast schon ermüdende Weise alle halbe Stunde die hohen Infektionszahlen vorgeführt werden und darunter auch erschreckend viele Geimpfte sind, ist hier von Panik nichts zu spüren.
Aktuell infizieren sich in der Gemeinde Marbella nach offiziellen Angaben 75 Menschen am Tag. Die 14-Tage Inzidenz liegt bei 470, in Spanien insgesamt bei rund 378. Das Problem bei dieser fünften Infektionswelle sind neben den Party liebenden jungen Spaniern die Touristen aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland, von denen einige das Gefühl haben, dass sie durch die Pandemie etwas verpasst haben. Nirgendwo konzentrieren sich teure Autos so wie hier in Andalusien (siehe Artikelbild) .
Araber, Russen, Norweger, Schweden - alle reich
Um zum Yachthafen Puerto Banus zu kommen, wo vor allem reiche Araber und Russen anlegen, ist Geduld notwendig. Es staut sich überall. "Keiner versteht so richtig warum, aber nach den Schreckensszenarien des vergangenen Jahres boomt es wieder in Spanien", sagt der in Spanien lebende Rechtsanwalt Tim Wirth. Nach Schätzungen der spanischen Bank BBVA wird die Wirtschaft in diesem Jahr um 6,5 Prozent wachsen.
Vor allem Norweger und Schweden kaufen hier derzeit Ferienimmobilien nach Angaben der Wohnungs-Kooperative Lacoop. Die ausländischen Investoren kamen schon Mitte vergangenen Jahres zurück. Im ersten Halbjahr 2021 kauften sie allein 30 Prozent der angebotenen Luxusimmobilien in Madrid. Dank der laxen Pandemie-Regeln fiel die Arbeitslosigkeit in diesem Sommer so stark wie noch nie in der Geschichte. Sie ist mit 15 Prozent aber immer noch sehr hoch im EU-Vergleich. Aber bald fließen rund 70 Milliarden Euro an Direkt-Hilfen aus Brüssel in die Staatskassen.
Ferienimmobilien und Musik-Festivals boomen wieder
Zwar will die Regierung unter Pedro Sánchez die Wirtschaft damit innovativer und nachhaltiger machen, aber momentan läuft alles noch wie gehabt. Egal, ob das Theater-Festival in Merida oder das Starlite in Marbella (siehe Bild), Spanien ist weiterhin Urlaubsziel Nummer eins in Europa. Geld und Wachstum dominieren das Land wieder. Und das, obwohl hier die meisten Menschen an COVID-19 gestorben sind (siehe Infografik). Nur die autonomen Regionen Kanaren und Galizien, wo das Virus sich bisher nur wenig verbreitet hat, verlangten die jeweiligen Regierungen kurzzeitig einen Impfpass bzw. Covid19-Zertifikat, um in Restaurants oder Bars zu gehen, die Entscheidung wurde aber von den jeweiligen Gerichten der autonomen Regionen wieder gekippt.
"Es ist ein sehr gefährliches Spiel, das wir treiben, in Deutschland sitzt zumindest jemand am Steuer, dem Gesundheit wichtiger ist als Geld", glaubt der spanische Komponist Manuel Villalta. Der Musiker lebt seit Monaten relativ isoliert in der Sierra von Madrid. Er ist geimpft, aber viele seiner Freunde erkranken trotzdem, was ihn stutzig macht: "Wir müssen weiter vorsichtig sein".
Seine Bewunderung für Angela Merkel wächst jeden Tag mehr: "Sie sorgt sich um die Gesundheit und nicht so sehr um die Gewinne der Unternehmen." Aber selbst die Madrider Chirurgin und Krankenhaus-Gewerkschaftlerin Angela Hernández Puente versucht die Angst vor dieser Welle zu nehmen: "Die aktuelle Überlastung in den spanischen Krankenhäusern hat auch damit zu tun, dass wir im August weniger Personal zur Verfügung haben."
Der Freizeitpark Spanien fasziniert den Rest Europas
Der auf Immobilien spezialisierte Rechtsanwalt Wirth ist sich jedoch sicher, dass "Deutschland schon längst wieder alles zugemacht hätte bei den aktuellen spanischen Inzidenzen". Stattdessen bestätigen auch Makler auf den Balearen wie Porta Mallorquina seit Monaten Topzeiten für ihr Business, obwohl dort Anfang des Jahres noch Untergangsstimmung herrschte.
Der Siegeszug der konservativen Isabel Ayuso in der autonomen Region Madrid bei den Wahlen im Mai hat alle weiteren Lockdowns in Spanien unmöglich gemacht. "Die Wirtschaft soll nicht leiden", war ihr Motto. Die wesentliche Verantwortung des Pandemie-Managements liegt seit der Aufhebung des Alarmzustands im Mai bei den 17 autonomen Regionen und Städten, die im Durchschnitt derzeit auf eine Impfquote von über 60 Prozent kommen. Anders als Deutschland und Frankreich will Ayuso den Impfpass für die Gastronomie, wenn überhaupt, erst im Herbst einführen. Auch in Marbella ist Bürgermeisterin Ángeles Muñoz, die wie Ayuso der konservativen PP angehört, nicht sonderlich besorgt angesichts der hohen Infektionszahlen, sondern eher stolz, dass zum Beispiel der dort aufgewachsene Star-Gastrom Dani García weiter in seine Heimat investiert.
Der Komplex Puente Romano in Marbella ist mit zwei Restaurants bereits fest in der Hand des 3-Sterne-Kochs, dessen gleichnamige Gruppe inzwischen 600 Menschen beschäftigt und in diesem Jahr nach eigenen Schätzungen 40 Millionen Euro umsetzen wird, fast doppelt so viel wie im Jahr davor. Sánchez muss aus politischem Kalkül jetzt mitpokern mit den beiden Frauen, weil die PP bei Wahlumfragen seine PSOE überholt hat.
Der "heiße Pedro", wie der hochgewachsene Spanier von den ausländischen Medien gerne betitelt wird, tingelte deswegen vor der Sommerpause durch die USA, um weitere Investoren aus der Tech- und Filmwelt für Spanien zu begeistern. Nachdem Netflix seinen Hub in Madrid hat, soll das Land das neue Hollywood Europas werden. Zumindest in diesem Punkt ziehen PP und PSOE an einem Strang.
Der Artikel wurde am 18.8.2021 veröffentlicht und am 19.8. aktualisiert um die jeweils aktuellen Inzidenzen sowie unter Berücksichtigung aktueller Gerichtsentscheide.