Spanien: Wenn Tourismus zur Plage wird
16. Februar 2024Oscar Villasante wohnt seit 26 Jahren mitten in Madrid, im bunten Künstlerviertel Lavapies. Bisher lebten hier Migranten und Kreative friedlich zusammen. Das könnte sich jedoch bald ändern.
Der 62-jährige Kameramann ist eigentlich begeistert von Spaniens Premierminister, dem Sozialisten Pedro Sánchez. Aber die Politik bei den Themen Tourismus und Mieten hält er für schlecht: "Es wird viel angekündigt, aber am Ende kaufen immer mehr Investmentfonds hier in Lavapies Gebäude auf", sagt Villasante. "Der gesamte Stadtkern wird für Investoren und Luxusurlauber hochpoliert. Das ist keine bürgerfreundliche Politik."
Im Madrider Regionalparlament regieren die Konservativen, aber was in der Hauptstadt passiert, wiederholt sich fast überall in Spanien, ohne dass die nationale Regierung aktiv gegensteuert. Die Renovierung der Städte erfolgt über Private-Equity-Investoren und reiche Individuen, die nach dem Kauf von Wohngebäuden fast das Doppelte an Miete verlangen.
Ein Beispiel sieht Oscar Villasante in seiner direkten Nachbarschaft, in der Calle Tribulete 7 in Lavapies. Seit Monaten bereitet das Unternehmen Elix Rental Housing, das zum spanisch-deutschen Vermögensverwalter AltamarCAM in Madrid gehört, den Kauf der Immobilie vor, um daraus Ferienwohnungen zu machen. Bisher wohnen dort Langzeitmieter mit meist alten Verträgen zu sehr günstigen Konditionen.
Die Mietervereinigung "Sindicato de Inquilinas e Inquilinos de Madrid" will verhindern, dass diese Mieter nun ihre Wohnungen verlieren und hat zu protesten aufgerufen, an denen sich auch Oscar Villasante beteiligt.
Spaniens Beliebtheit wird zum Problem
Das Geschäft mit dem Tourismus ist für Investoren lohnend. Nach Schätzungen der Regionalregierung kamen im Jahr 2023 rund 14 Millionen Besucher in die spanische Hauptstadt - fast ein Drittel mehr als im Vorjahr. Sie gaben 15 Milliarden Euro aus.
Madrid hat vieles, was Besucher anzieht. Viele Erasmus-Studenten verbringen hier ein Semester, zahlreiche Gourmet-Restaurants locken zahlungskräftige Kunden an. Bald bekommt die Stadt auch noch eine Formel-1-Rennstrecke.
Viele Madrilenen schlagen die Hände über den Kopf zusammen, dass die Regionalregierung nicht anfängt, den Massenandrang zu begrenzen. Sie lieben den Gang über ihren Wochenmarkt, das Frühstück in der traditionellen Bar. Oscar Villasante fürchtet, dass sich bald nur noch Touristen die Stadt leisten können.
Nach Angaben des spanischen Statistikamts INE kamen in 2023 rund 85 Millionen ausländische Besucher nach Spanien. Das sind fast 19 Prozent mehr als im Vorjahr und sogar 1,9 Prozent mehr als 2019, also vor der Corona-Pandemie.
Der Anstieg hat dazu beigetragen, dass die spanische Wirtschaft im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent zulegen konnte und damit alle internationalen Erwartungen übertraf.
Aber Villasante warnt: "Katalonien und Andalusien sind schon seit Wochen im Notzustand wegen der anhaltenden Dürre. Die Landwirte protestieren, weil sie ihre Felder nicht mehr richtig bewässern können, aber beim Tourismus wird nichts limitiert."
In den vergangenen Jahren hat sich in Barcelona, Mallorca und Ibiza eine zunehmende Unzufriedenheit der Einheimischen mit den negativen Auswirkungen des Massentourismus gezeigt. Auch auf den Kanaren, die noch viel abhängiger von den Urlaubern sind, haben die Proteste im Jahr 2023 zugenommen.
Der spanische Wirtschaftsverband CEOE spricht bereits von einer neuen Tourismus-Feindlichkeit im Land. Die Lobbyisten warnen jedoch, dass die Branche ein Garant für Spaniens Wohlstand sei. Nach Regierungsangaben sind hier fast drei Millionen Menschen beschäftigt.
Tourismus bleibt Wirtschaftstreiber
Im vergangenen Jahr wurden laut dem spanischen Tourismus-Verband Exceltur in der Branche 186 Milliarden Euro umgesetzt, das sind 12,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im laufenden Jahr erwartet der Verband eine weitere Steigerung auf 13,4 Prozent.
Dabei platzt Spanien touristisch schon jetzt aus allen Nähten. Nicht nur die Metropolen Madrid und Barcelona sowie die Kanaren und Balearen sind überlaufen. Auch Städte wie Malaga und Sevilla werden von Touristen überrant.
Eigentlich war es das erklärte Ziel der Regierung Sánchez, die Abhängigkeit des Landes vom Tourismus zu reduzieren. Das war die Lehre aus der Zeit der Corona-Pandemie, die in den touristischen Zentren katastrophale wirtschaftliche Auswirkungen hatte.
Zu Herzen genommen hatte sich dieses Ziel etwa Francina Armengol, bis zum vergangenen Sommer sozialistische Regierungschefin der Balearen.
"Sie setzte Maßnahmen durch, um den spekulativen Investoren auf der Insel einen Riegel vorzuschieben und beschränkte den Kreuzfahrttourismus in Palma. Es war eine Nachhaltigkeitsstrategie", sagt der dort ansässige deutsche Immobilienunternehmer Matthias Meindel.
Ähnliche Prioritäten hatte Ada Colau, bis 2023 regierende Bürgermeisterin von Barcelona. In ihrer achtjährigen Amtszeit sagte sie u.a. AirBnB und anderen Vermittlern von Ferienwohnungen den Kampf an. Der Anziehungskraft von Barcelona auf Touristen und digitale Nomaden tat das aber keinen Abbruch. Rund 26 Millionen Besucher kamen 2023 in die Gaudí-Metropole.
Madrid will Verhältnisse wie in Barcelona vermeiden
Mit dem Tourismus hat in Barcelona auch die Kriminalität zugenommen, etwa in Form organisierter Diebesbanden. Die Mietervereinigung "Sindicato de Inquilinas e Inquilinos de Madrid" befürchtet, dass das bald auch in der spanischen Hauptstadt so der Fall sein könnte. In einer städtischen Umfrage gaben 27 Prozent der Bürger dort an, dass fehlende Sicherheit für sie im Jahr 2023 das größte Problem war.
Lily Rose, eine Französin, die im Rahmen des europäischen Erasmus-Programms derzeit in Madrid studiert, fühlt sich dagegen nicht unsicher. "Im Vergleich zu Paris ist das hier ein Paradies." Ein größeres Problem war es für sie aber, in Madrid ein bezahlbares Zimmer zu finden: "Da gibt es schon enorme Wartelisten." Eine Studentin aus Island berichtet, dass sie 850 Euro für einen Raum in einer Wohnung bezahlen muss.
Während sich die Vermieter solcher Wohnungen die Hände reiben, fühlen sich die Mieter des Hauses Calle Tribulete 7 in Lavapies dagegen in ihrer Existenz bedroht. Ein großes Transparent am Haus wirft Elix Rental Housing Spekulation vor - auch die internationalen Touristen, die an diesem Tag über den Wochenmarkt im Viertel schlendern, sollen mitbekommen, was hier passiert.
Oscar Villasante sagt, in Vierteln wie Lavapalies hätten Touristen zwar nicht nur negative Effekte, weil durch mehr Polizei und Konsum dort auch Betteln und Dealen zurückgehen. "Aber es geht um das richtige Maß." Die nationale Regierung und die lokalen Bürgervertreter müssten vielerorts die Reißleine ziehen, wenn Spanien seinen guten Ruf als sicheres und freundliches Urlaubsland nicht verlieren wolle.