Spanien: Ein Königreich ohne Untertanen?
12. Dezember 2018Auf dem Platz "Puerta del Sol" war kein einziger Tourist zu sehen. Obwohl die Uhr des fast 300 Jahre alten Postamts zehn Uhr schon überschritten hatte, war der sonst so überlaufene Platz im Zentrum von Madrid menschenleer. Nur neben der Reiterstatue von König Karl III. standen einige Männer um einen Tisch herum. "Wollen Sie wählen?", fragte einer von ihnen einen Passanten. "Wofür?", erwiderte der Fußgänger. "Für die Republik!", lautete die Antwort.
Am 2. Dezember haben über 23.000 Menschen in zwölf Distrikten und vier Stadtbezirken von Madrid in einem inoffiziellen Referendum über Spaniens Monarchie abgestimmt. Das Ergebnis war überwältigend - 93 Prozent der Befragten waren dagegen. Sie hätten lieber einen Präsidenten als Staatsoberhaupt.
Die Abstimmung in Madrid ist nur eine von vielen in der jüngsten Zeit. Wenige Tage zuvor hatten 7.300 Studenten an der Autonomen Universität Madrid (UAM) ein ähnliches Referendum durchgeführt. Auch dort forderten 83 Prozent der Teilnehmer das Ende der Monarchie. Dem Beispiel der UAM folgten im Dezember weitere Universitäten im Land.
"Diese Verfassung gibt es nun schon 40 Jahre lang, mit einer Monarchie, über die wir nie abstimmen durften", sagt Lucia Nistal, eine der Organisatorinnen an der UAM. "Jugendliche sollten das Recht haben, über ihre Zukunft zu entscheiden. Nicht mal unsere Eltern waren alt genug, um damals über die Verfassung abzustimmen", fügt sie hinzu.
Viele politische Beobachter teilen die Einschätzung, dass vor allem junge Spanier die Monarchie nicht mehr unterstützen. Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Das offizielle Zentrum für soziologische Forschung (CIS) hat die Bürger zum letzten Mal 2015 zur Monarchie befragt. Bereits damals stellten die Spanier ihrer Regierungsform ein schlechtes Zeugnis aus. Die Meinungsforscher fragten aber nicht nach den Gründen.
Alberto Penades, Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Salamanca und früherer CIS-Mitarbeiter denkt, dass das Forschungsinstitut die Antworten der Bürger nicht wissen wollte: "Wer auch immer beim CIS dafür verantwortlich war, wollte den Medien keine einfachen Schlagzeilen liefern."
Katalysator Katalonien
Die aktuelle Krise der Monarchie, sei sie echt oder nur gefühlt, nahm am 1. Oktober 2017 eine entscheidende Wendung. Denn das Referendum zur Abspaltung Kataloniens wurde von den meisten spanischen Parteien als direkter Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung gesehen. Zwei Tage später wendete sich König Felipe VI. in einer Fernsehansprache an das Volk, unterstützte Spaniens Einheit und die Entscheidung der Regierung, die Abstimmung nicht anzuerkennen. Viele in Katalonien - und auch in ganz Spanien - kritisierten, dass der König sich auf eine Seite schlug und damit seine politische Neutralität aufgab.
Ein Jahr später verabschiedete das katalonische Parlament eine Erklärung, die die Rede des Königs verurteilte und die Abschaffung der Monarchie forderte. Die Erklärung hatte keine rechtlich-bindenden Folgen, dennoch rief die Zentralregierung unter Premierminister Pedro Sanchez das Verfassungsgericht an, um die Erklärung für ungültig zu erklären. Ein nie dagewesener Schritt in der spanischen Geschichte. Seitdem gibt es landesweit ähnliche Initiativen, die das Verhalten des Königs verurteilen. Manche davon wurden sogar rechtlich anerkannt.
"Wer steckt dahinter?"
"Wollen Sie wählen?" fragte Lucia, eine der Organisatorinnen der Abstimmung in dem kleinen Ort Legazpi im Baskenland. Der großgewachsene Mann, den sie ansprach, antwortet mit "Nein" und lief weiter. Seinen Namen wollte er nicht verraten, doch er versicherte, er würde sich an einem offiziellen Referendum beteiligen: "Ich hätte kein Problem damit, wenn es vom Staat organisiert wäre, aber ich möchte nicht abstimmen, wenn ich nicht weiß, wer dahinter steckt."
Den Weg für ein offizielles Referendum zu bereiten, ist eines der Ziele der Organisatoren. "Das ist alles nur eine symbolische Aktion, mit der wir Aufmerksamkeit für eine Debatte erzeugen wollen, die unausweichlich ist", sagt Luis Gimeno, einer der Koordinatoren der inoffiziellen Befragungen im Land.
Spaniens Verfassung, die vor 40 Jahren, am 6. Dezember 1978 verabschiedet wurde, definiert den Staat als eine "parlamentarische Monarchie". Damit begann das Land nach den langen Jahren der Franco-Diktatur seine Wende zu einer demokratischen Gesellschaft. Die Bürger konnten in einem Referendum über die Verfassung abstimmen und nahmen sie mit 87 Prozent an.
Mehr als nur "Säbelrasseln"
"Wir haben schon 1978 abgestimmt", schrie ein Passant in Richtung der Organisatoren des Referendums am "Plaza de Jacinto-Benavente" in Madrid. Ernesto Sarabia, der am Stand für Stimmen wirbt, lässt das Argument nicht gelten. Die Bürger hätten vor 40 Jahren keine wirkliche Wahl gehabt, was die Regierungsform angeht. Es sei vielmehr darum gegangen, ob das Land eine Diktatur bleibe oder nicht.
"Auch wenn die Spanier sich für eine Monarchie aussprechen, müssten wir immer noch entscheiden, wer Monarch wird. Franco wählte Juan Carlos I. im Jahr 1969 als Nachfolger. Wir können nicht erlauben, dass ein Diktator seinen Thronfolger auswählt", erklärt Ernesto Sarabia.
Adolfo Suarez, der erste Premierminister in der Zeit nach Franco, gab in einem Interview im Jahr 1995 zu, dass er eine Abstimmung über die konkrete Regierungsform blockierte, weil er sich sicher war, dass die Bürger sich für eine Republik entscheiden würden.
"1976 forderten einige Regierungschefs im Ausland, ich solle ein Referendum abhalten, um die Bürger zwischen Monarchie und Republik wählen zu lassen. Befragungen zeigten aber, dass wir verlieren würden. Darum fügte ich die Worte 'König' und 'Monarchie' in das Reformgesetz ein und konnte so sagen, dass darüber schon abgestimmt wurde", sagte der frühere Regierungschef, während er sein Mikrofon mit seiner Hand verdeckte. Das Interview wurde bis 2016 nicht veröffentlicht und ein solches Referendum fand nie statt.