Sorge um Nasrin Sotoudeh im Hungerstreik
2. September 2020"Wir haben keine Zeit zu verlieren, ihr Leben steht auf dem Spiel", sagt Heidi Hautala. Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist besorgt über den Zustand der iranischen Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh.
Sacharow-Preisträgerin Sotoudeh ist seit über zwei Jahren im Evin-Gefängnis in Teheran in Haft. Am 11. August war sie aus Protest gegen die "Gesetzlosigkeit in iranischen Gefängnissen" und gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen in dem überfüllten Evin-Frauen-Trakt unter den Bedingungen der Corona-Pandemie in einen Hungerstreik getreten. Dies hatte ihr Mann über soziale Medien mitgeteilt.
Vergebliche Kontaktversuche von EU-Abgeordneten
Die Finnin Hautala und die Belgierin Maria Arena, Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte im EU-Parlament, hatten am 18. August die iranischen Behörden aufgefordert, Sotoudehs Forderungen anzuhören.
Nun teilt Heidi Hautala auf Anfrage der Deutschen Welle mit, dass sie bereits früher vergeblich versucht habe, über die Botschaft der EU in Teheran Kontakt zu den iranischen Behörden zu bekommen. "Es scheint, dass das Regime wirklich glaubt, dass Nasrin Sotoudeh eine Bedrohung für seine Existenz darstellt. Deswegen wird sie auch so hart behandelt", sagt Hautala. Die EU-Parlamentarierin hält es für absolut nötig, dass sich die Weltöffentlichkeit und die EU-Diplomaten in Teheran nachdrücklich für Sotoudehs Leben einsetzen, da sie aufgrund des Hungerstreiks immer schwächer werde.
Lebensgefahr für Sotoudeh
Sotoudehs Ehemann Reza Khandan hat via Facebook und Twitter mitgeteilt, dass die 56-jährige Menschenrechtsanwältin stark abgenommen habe. Khandan darf nur drei Mal pro Woche für jeweils zehn Minuten mit seiner Frau telefonieren. Nach jedem Gespräch informiert er die Öffentlichkeit über soziale Netzwerke.
Am 31. August teilte er auf Facebook mit, dass Nasrin Sotoudeh eine intravenöse Gabe einer Salzlösung zur Behandlung ihrer Beschwerden abgelehnt hat. Sie leide unter Übelkeit und könne allein nicht genügend Wasser und Zucker zu sich nehmen, was lebensnotwendig sei. Ihren Hungerstreik zu beenden, komme für sie aber nicht in Frage, teilt ihr Mann mit.
Einsatz für politische Gefangene
Sotoudeh will mit ihrer Aktion die Freilassung politischer Gefangener inmitten der Corona-Pandemie erreichen. Wegen der Ausbreitung des Coronavirus hatte die iranische Justiz Anfang März nach eigenen Angaben rund 85.000 Häftlinge in den Hafturlaub geschickt. Ausgenommen davon waren aber Menschenrechtsaktivisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft.
Im Teheraner Evin-Gefängnis bleiben die politischen Gefangenen eingesperrt. Das Regime setze sie damit "bewusst dem Risiko aus, sich in überfüllten Gefängnissen unter schlechten hygienischen Bedingungen zu infizieren", so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem Bericht über die Ausbreitung des Coronavirus in iranischen Gefängnissen von Mitte April.
Nasrin Sotoudeh gilt als die prominenteste politische Gefangene des Irans. Im März 2019 wurde sie wegen angeblicher "Störung der öffentlichen Ordnung" und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Kurz vor ihre Verhaftung 2018 hatte sie die Verteidigung zweier junger Frauen übernommen, die gegen das Kopftuchgebot protestiert hatten und inhaftiert wurden.
Sotoudeh arbeitete hauptsächlich als Anwältin für Dissidenten und wurde wegen ihrer Tätigkeit seit 2010 bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt. Für ihren mutigen Einsatz für die Menschenrechte wurde sie 2012 vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit ausgezeichnet.
"Der Iran braucht seine Helden lebendig"
Der zeitgenössische Künstler Barbad Golshiri schreibt auf Twitter: "Weil sie sich für mich und für dich engagiert, sitzt Nasrin Sotoudeh hinter Gittern. Ihr Leben ist wegen uns in Gefahr." Für viele Iraner ist Nasrin Sotoudeh zu einem Symbol des friedlichen zivilen Widerstands geworden.
Mittlerweile haben 44 iranische Anwälte in einem offenen Brief Sotoudeh gebeten, ihren Hungerstreik zu beenden. "Die Behörden haben kein Ohr für Ihre Stimme der Gerechtigkeit. Bitte gefährden Sie nicht Ihre Gesundheit."
Eine Forderung, der sich auf Twitter den ehemaligen Direktor für die Erforschung des Sonnensystems bei der NASA anschloss, Firouz Naderi: "Liebe Nasrin, der Iran braucht seine Helden lebendig. Bitte beenden Sie Ihren Hungerstreik", schrieb der iranisch-amerikanische Wissenschaftler.
Am 29. August starteten iranische User eine Twitter-Kampagne. Darin fordern sie die sofortige Freilassung Sotoudehs und weiterer politischer Gefangener. Auf die Machthaber macht das möglicherweise nicht viel Eindruck. Aber sie sorgen dafür, dass Nasrin Sotoudeh nicht vergessen wird.