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Politik

Sondieren und schweigen

Nina Werkhäuser
9. Januar 2018

Bei ihren Sondierungen stehen Union und SPD unter scharfer Beobachtung. Noch sind viele Punkte offen, der Erwartungsdruck ist groß. Zwischenergebnisse sollen nun nicht mehr veröffentlicht werden.

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Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel Schloss Bellevue
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt Angela Merkel beim NeujahrsempfangBild: picture-alliance/AP Photo/M.Sohn

Schon früh am Dienstagmorgen hat sich vor der Bayerischen Landesvertretung ein Pulk gebildet: Was aussieht, wie die Schlange vor einem Skilift, sind Kameraleute mit dicken Mützen und Fotografen in Thermohosen. Bei frostigen Temperaturen warten sie auf die Ankunft der 39 Unterhändler von CDU, CSU und SPD. Dass diese eilig aus ihren schwarzen Limousinen springen und ins Warme huschen, ist aber nicht nur der eisigen Kälte dieses Berliner Wintermorgens geschuldet. Vielmehr treibt sie die Verabredung an, möglichst wenig in die bereit gestellten Mikrofone zu sagen, um die Verhandlungen nicht zu erschweren. 

Nicht alle befolgen das "Schweigegelübde" 

Eine der wenigen, die nicht stumm nickend vorübereilt, ist Andrea Nahles, die Fraktionsvorsitzende der SPD. Sie hält in ihrer roten Jacke einen kurzen Moment inne, bevor sie die Berliner Repräsentanz der bayerischen CSU betritt. "Sehr ärgerlich" findet es Nahles, dass am Vortag gegen alle Absprachen Zwischenergebnisse an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Am Montag hatte ein Papier der Sondierer zur Klimapolitik gleich doppelten Ärger ausgelöst: Zum einen, weil einer der Unterhändler es "durchgestochen" hatte. Und zum zweiten, weil es das Eingeständnis erhielt, dass Deutschland seine Klimaziele für 2020  nicht mehr erreichen werde. Eine neue schwarz-rote Regierung werde diese Klimaziele daher aufgeben, hieß es darin. Ob es bei diesem Thema tatsächlich schon zu einer vorläufigen Einigung gekommen ist oder noch nicht, interpretierten Politiker von CDU und SPD später allerdings unterschiedlich.  

Deutschland Große Koalition Sondierungsgespräche | Andrea Nahles, SPD
Missbilligt das "Durchstechen" von Zwischenergebnissen: Andrea Nahles, Vorsitzende der SPD-Fraktion Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Inhaltlich sagt Nahles dazu nichts, wohl aber zum "Leck", das sie bei CDU/CSU vermutet. "Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustellen", fordert Nahles, die in den Verhandlungen auf Seiten der SPD eine zentrale Rolle spielt. Diesmal soll kein Feuerwerk aus Interviews, Twitter-Nachrichten und diversen Papieren die Gespräche begleiten, so wie es während der vierwöchigen Jamaika-Sondierungen der Fall war.

Bei den "GroKo"-Gesprächen soll es nicht nur diskreter zugehen, sondern auch stringenter: Nur fünf Tage Zeit nehmen sich CDU/CSU und SPD für die Sondierungen, die bereits am Donnerstag abgeschlossen werden sollen. Am Freitag will die SPD-Führung entscheiden, ob sie die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfiehlt, für die ein Parteitag am 21. Januar in Bonn dann grünes Licht geben müsste. "Alle Blicke richten sich auf die Parteien und ihre Spitzenvertreter", betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Neujahrsempfang im Schloss Bellevue, für den einige Sondierer die Verhandlungen vorübergehend verlassen hatten. "Alle fragen sich, wie es nun weitergehen kann und soll - und das völlig zu Recht."    

Zweifel in der SPD 

Ob die Regierungsbildung im zweiten Anlauf gelingt, ist aber längst keine ausgemachte Sache: In der SPD ist die Skepsis gegenüber einer dritten großen Koalition unter der Führung von Angela Merkel riesengroß, nachdem die letzte "GroKo" den Sozialdemokraten ein historisch schlechtes Wahlergebnis eingebracht hat. Der Grat zwischen dieser Skepsis und der Verantwortung, die die SPD als zweitstärkste Partei für das Gelingen der Regierungsbildung empfindet, ist schmal. Für Parteichef Martin Schulz steht viel auf dem Spiel, aber auch für CDU-Chefin Angela Merkel: Misslingt die Operation "GroKo 3",  dann könnte sie die längste Zeit Kanzlerin gewesen sein.

Deutschland Große Koalition Sondierungsgespräche | Angela Merkel, CDU
Gelingt es ihr, eine stabile Regierung zu bilden? Angela Merkel auf dem Weg in die Bayerische LandesvertretungBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Aber noch sehen die Koalitionäre in spe, die sich abwechselnd in den Parteizentralen von SPD und CDU und der bayerischen Landesvertretung treffen, keinen Grund zur Verzagtheit: Nacheinander verbreiteten Volker Kauder, der Vorsitzende der Unionsfraktion, und SPD-Chef Martin Schulz am Morgen Optimismus. Sie lobten die zielorientierten und konstruktiven Verhandlungen, die teils in Arbeitsgruppen, teils im Plenum aus 39 Unterhändlern stattfinden. Besonders wichtige oder strittige Themen nehmen sich die drei Parteivorsitzenden persönlich vor. "Wir haben noch einige große Brocken vor uns", betonte Kauder.

Differenzen in der Steuerpolitik

Einer der Knackpunkte ist die Flüchtlingspolitik, in der die CSU den härtesten Kurs fährt, während die SPD in der Sozialpolitik deutliche Verbesserungen verlangt. Wofür genau sollen die 45 Milliarden Euro finanziellen Spielraums, den die mögliche neue Regierung hätte, verwendet werden? Auf steuerliche Entlastungen für mittlere Einkommen sollen die Unterhändler sich schon geeinigt haben, aber noch nicht auf die Höhe des Spitzensteuersatzes.

Deutschland Große Koalition Sondierungsgespräche
Warten auf Ergebnisse: Journalisten vor der Bayerischen LandesvertretungBild: DW/N. Werkhäuser

In den strittigen Fragen Kompromisse zu finden, ist das eine - aber reicht der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den beiden Volksparteien, um Deutschland in den kommenden vier Jahren tatsächlich voranzubringen? Umfragen zufolge bezweifelt das mehr als die Hälfte der Wähler. Sollte es eine neue große Koalition geben, dann will sie erklärtermaßen nicht weitermachen wie die bisherige.

Dementsprechend groß sind die Erwartungen, die sich mehr als 100 Tage nach der Bundestagswahl an die Sondierer richten. Bevor nicht alles vereinbart sei, sei nichts vereinbart, lautet die pauschale Formel, mit der Unterhändler alle Rückfragen neugieriger Journalisten abbügeln. Das Schweigen der Unterhändler machen dafür Lobbygruppen wett, die sich vor der Bayerischen Landesvertretung positioniert haben. "Für das Huhn jetzt was tun", ruft laut ein Gegner der Massentierhaltung, der über seiner Kleidung ein dickes weißes Hühnerkostüm trägt - bei den kalten Temperaturen durchaus ein Vorteil.    

 

Nina Werkhäuser Reporterin