Mehr Frauen-Power für Somalias Parlament
4. Februar 2021Mit nur 24 Jahren kandidierte Amina Mohamed Abdi 2012 zum ersten Mal für das Parlament. Sie gewann - und wurde eine der wenigen Frauen in Somalias Volksvertretung. In dem Land am Horn von Afrika entscheiden meistens die konservativen Clan-Ältesten, wer ins Parlament einzieht. Und diese glauben, dass Frauen nicht in die Politik gehören.
"Ich wurde gefragt: 'Willst du eine Prostituierte sein? Wie kann eine Frau einen Clan repräsentieren?'", sagte Abdi der Nachrichtenagentur Reuters. "Ich hielt dagegen und sagte, ein Clan bestehe nicht nur aus Männern."
Heute ist Abdi 32 Jahre alt und eine der schärfsten Kritikerinnen der Regierung. Am 8. Februar will sie bei der verschobenen Parlaments- und Präsidentschaftswahl für eine dritte Amtszeit antreten - als einzige Frau unter den sechs Kandidaten für denselben Sitz.
Männerdominierte Politik
In Somalia, einem Land, dessen Geschicke seit 1991 von Konflikten geprägt sind, dominieren Männer die Politik. Von den insgesamt 329 Sitzen in Somalias Unter- und Oberhaus besetzen Frauen zurzeit 24 Prozent.
Mitte Januar verkündete der somalische Premierminister Mohamed Hussein Roble, dass bei den Wahlen im Februar ein knappes Drittel der Sitze für weibliche Abgeordnete reserviert sein soll. Frauenrechtlerinnen fordern das seit langem. Eine entsprechende Änderung des Wahlgesetzes wurde bereits im Juli 2020 vom Unterhaus gebilligt und wartet seitdem auf die Verabschiedung durch das Oberhaus und den Präsidenten.
Kein Gesetz für Frauenquote
Doch Deqa Abdiqasim Salad, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Hear Women Foundation, sieht die Ankündigung kritisch. "Wir Frauen haben den Fehler gemacht, nicht genug Druck ausgeübt zu haben, damit die Quote in die Verfassung aufgenommen wird", so Salad im DW-Interview. Ein Gesetz sei schwieriger zu brechen, aktuell handele es sich nur um eine Empfehlung. "Ich habe die Sorge, dass wir aus dieser Wahl sogar mit weniger als 24 Prozent hervorgehen werden."
Daher sei eine verbindliche Quote ein notwendiger Schritt, erklärt die ehemalige Außenministerin Fawzia Yusuf Haji Adan im DW-Interview. "Die Quoten für weibliche Parlamentarier sind wichtig, um die Rechte der Frauen zu sichern", sagt Adan, "aber auch, um den Teil der Bevölkerung, den sie im Parlament repräsentieren, gerecht widerzuspiegeln."
Hürdenlauf für Politikerinnen
Adan wurde 2012 die erste weibliche stellvertretende Premierministerin und Außenministerin des Landes und ist heute unter anderem Vorsitzende der Nationalen Demokratischen Partei. Ihr sind die Probleme, mit denen ambitionierte Frauen auf ihrem Weg in die Politik konfrontiert werden, nur zu gut bekannt.
"Die Herausforderungen sind der nicht enden wollende Konflikt in Somalia, der Mangel an Frieden und Stabilität, aber auch die Al-Shabaab-Terroristen, die jegliche Entwicklung und demokratische Prozesse angreifen", erklärt sie. "Ein weiterer Faktor ist der Mangel an finanziellen Mitteln für viele weibliche politische Aspiranten."
Bei den anstehenden Wahlen muss jede Person, die fürs Unter- beziehungsweise Oberhaus kandidiert, eine Registrierungsgebühr von 10.000 bis 20.000 US-Dollar (rund 8200 bis 16.400 Euro) entrichten. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, die schon in der Vergangenheit von Unternehmen und Clanmitgliedern finanziert wurden, gestaltet sich der Zugang zu Geld für Frauen um einiges schwieriger.
Somalias Ältesten-Prinzip
Und es gibt noch ein weiteres Problem. "Die Quote wird den Frauen nicht helfen, solange die 4,5-Politik in Somalia existiert", kritisiert Adan. Auf das versprochene Wahlsystem nach dem Prinzip "eine Person, eine Stimme", das ursprünglich für die bevorstehende Wahl angedacht war, warten die Somalier immer noch.
Nach der 4,5-Regel werden die Parlamentarier nicht vom Volk, sondern von Clan-Delegierten gewählt, die zuvor von den Ältesten ausgesucht werden. Zu den Delegierten gehören Clan-Älteste selbst, aber auch 30 Prozent Frauen und 20 Prozent Jugendliche. Die vier größten Clans Somalias erhalten im Parlament die gleiche Anzahl von Sitzen, während kleinere Clans die Hälfte davon bekommen.
In dieser Clan-Dynamik ist es für viele Frauen schwierig, sich durchzusetzen. Eine, die dieses Jahr kandidiert, ist Luul Isak Adan. Für sie sind Vorurteile das größte Problem. "Frauen werden in Bezug auf Macht und finanzielle Perspektiven als weniger kompetent angesehen als Männer", kritisiert sie. Einige Clans und Sub-Clans würden daher Druck auf ihre Ältesten ausüben, um Männer bei der Wahl zu bevorzugen. "Aber ich hoffe, dass ich den Sitz gewinne. Jede hat einen Traum, den sie verfolgt", sagt Luul Isak Adan zur DW.
30 Prozent sind nur der Anfang
Dass Frauenquoten den erhofften Wandel einläuten können, beweisen Länder wie Ruanda. Schon seit 2003 ist in der Verfassung ein Frauenanteil von 30 Prozent festgeschrieben, aktuell sind 61 Prozent der Abgeordneten Frauen.
Der somalische Sport- und Jugendminister Hamza-Said-Hamza unterstützt die Einführung einer solchen Quote für Somalia. "Für die kommenden Wahlen habe ich eine Stimme, und meine Stimme ist für die Frauen", sagt er der DW. Bis zur Chancengleichheit in Somalia ist es nach Meinung des Ministers aber noch ein langer Weg.
"Wählt eure Schwestern"
Im Kampf für mehr politische Gleichberechtigung bräuchten die Politikerinnen Unterstützung, so Frauenrechtlerin Salad. "Die Zivilgesellschaft darf die Frauen, die sie ins Parlament entsendet, nicht im Stich lassen." Gemeinsam lasse sich der Traum der 30 Prozent erfüllen, und zwar nicht nur in der Politik, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft. "Wir müssen verstehen, wie wichtig es ist, unsere Schwestern zu wählen", sagt Salad. Denn was Somalia braucht, ist vor allem eins: mehr Frauen-Power.