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Sollte Deutschland Ägypten die Nofretete-Büste zurückgeben?

Stuart Braun
28. Oktober 2024

Seit Jahren fordert ein ägyptischer Archäologe die Rückgabe der Nofretete-Büste, die seit über einem Jahrhundert in Berlin Hof hält. Im Neuen Museum der deutschen Hauptstadt hält man dagegen.

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Die Büste von Nofretete
Bild: Michael Sohn/dpa/picture alliance

Sie hat einen geschätzten Wert von 400 Millionen Euro und gilt als Kronjuwel der ägyptischen Antiquitäten: die 3.370 Jahre alte Büste der Nofretete. Allerdings hat sie ihre Heimat schon vor über 100 Jahren verlassen, seit 1913 residiert die schöne Pharaonin in Berlin - seit 1924 kann man sie in der Dauerausstellung der Ägyptischen Sammlung im Neuen Museum der Hauptstadt bewundern.

Doch der Druck, sie in ihre Heimat zurückzubringen, wird immer größer. Der ägyptische Archäologe Zahi Hawass hat im September eine Petition gestartet: "Diese Büste, die aufgrund ihres historischen und ästhetischen Wertes einzigartig ist, befindet sich derzeit in Deutschland. Jetzt ist es ist an der Zeit, dass sie nach Ägypten zurückkehrt", ist dort zu lesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Hawass mit seiner Forderung nach einer Rückgabe der Nofretete Schlagzeilen macht. Unter dem 2011 gestürzten ehemaligen Staatschef Hosni Mubarak war er Ägyptens Minister für Altertümer und setzte sich schon damals für die Rückführung ein. 

Ein Grabungsteam unter der Leitung des deutschen Archäologen Ludwig Borchardt hatte die kunstvoll bemalte Büste 1912 in den Überresten der Stadt Amarna entdeckt, der kurzlebigen Hauptstadt unter Pharao Echnaton, Nofretetes Ehemann, und sie ein Jahr später nach Deutschland gebracht. Während ihres langen Exils ist die Königin vom Nil zur Berliner Touristenattraktion geworden, ihr Name ist eng mit der deutschen Hauptstadt verbunden.

Viele Menschen stehen vor der Büste der Nofretete
Die Königin vom Nil ist ein Publikumsmagnet Bild: Gero Breloer/AP Photo/picture alliance

Ist Nofretete ein Symbol des Kolonialismus?

Nofretete, deren Kalksteinbüste um 1340 v. Chr. angefertigt wurde, wird gern als Botschafterin Ägyptens in Deutschland bezeichnet. Die ägyptische Archäologin Monica Hanna stellt diese Aussage jedoch in Frage. "Eine Botschafterin ist für den diplomatischen Austausch zuständig", sagte sie der DW - ob Ägypten im Gegenzug von Deutschland etwas Bedeutendes erhalten habe, "wie etwa die Krone von Friedrich dem Großen oder ein Gemälde von Albrecht Dürer"? "Wohl eher nicht", sagt Hanna und ergänzt: "Wenn man als Botschafterin nur in eine Richtung unterwegs sein darf, ist man eine Geisel."

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Die Archäologin hat sich öffentlich für eine "Entkolonialisierung der ägyptischen Archäologie" ausgesprochen. Die Initiative zur Rückführung der Nofretete löse so großen Widerstand aus, weil sie "zu einem Präzedenzfall werden könnte, der den Weg für die Rückgabe vieler anderer Objekte ebnen würde, die während der Kolonialzeit entwendet wurden", so Hanna.

Hawass' Petition fordert auch die Rückgabe des Steins von Rosetta und des Tierkreises von Dendera - ägyptische Altertümer, die sich in Frankreich und Großbritannien befinden. Der Stein von Rosetta, der im Britischen Museum in London ausgestellt ist, ist ein altägyptischer Stein mit Inschriften in mehreren Sprachen. Er lieferte den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen. Der Tierkreis von Dendera ist ein riesiges Steindiagramm aus einem ägyptischen Tempel aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr., der sich derzeit im Louvre in Paris befindet.

Berliner Museum sieht keinen Grund für Restitution

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die für die Berliner Museumssammlungen zuständig ist, hat das Vorhandensein von gestohlener Kolonialkunst in ihren Sammlungen eingeräumt - darunter die Benin-Bronzen, von denen einige 2022 an Nigeria zurückgegeben wurden.

Im Fall der Nofretete aber sieht sich die Stiftung als rechtmäßiger Besitzer. "Die Büste der Nofretete wurde im Rahmen einer von der ägyptischen Altertumsverwaltung genehmigten Ausgrabung gefunden", so Stefan Müchler, Sprecher der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. "Sie kam aufgrund einer - damals üblichen - Teilung des Fundes, die viele weitere Objekte umfasste, nach Berlin. Die Büste wurde legal außer Landes gebracht und es gibt keinen Rückgabeanspruch der ägyptischen Regierung", heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber der DW.

Müchler bezieht sich auf die damals geltenden Bestimmungen, nach der alle 10.000 antiken Funde zu gleichen Teilen zwischen Ägypten und Deutschland aufgeteilt wurden - als Gegenleistung dafür, dass die Deutsche Orient-Gesellschaft (einer ihrer Gründerväter und Mäzene war der deutsche Baumwoll- und Textilmagnat James Simon) die Ausgrabungen finanzierte. Ein Vertreter der ägyptischen Regierung wählte die Hälfte der Objekte aus, während die andere Hälfte nach Deutschland gebracht wurde - darunter auch die Büste, die einige Jahre später im Neuen Museum ausgestellt wurde.

"Dreist gestohlen"?

Nicht alle sind mit dieser Darstellung der Ereignisse einverstanden. Aus Hawass' Sicht wurde die Nofretete-Büste im Jahr 1913 von den Deutschen dreist aus Ägypten gestohlen, als sie versteckt und aus dem Land geschmuggelt wurde, obwohl es gesetzlich verboten war, außergewöhnliche archäologische Funde aus Ägypten auszuführen.

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Der Archäologe hält an der Überzeugung fest, dass Ludwig Borchard, der die Ausgrabung damals leitete, Nofretete unter falschen Vorwänden außer Landes brachte. Laut der Online-Seite Returning Heritage, die über die Debatten rund um die Rückgabe von Kulturgütern berichtet, "hatte der ägyptische Staat damals ein Vetorecht bezüglich aller Objekte, die seiner Meinung nach zu wichtig waren, um das Land zu verlassen".  Möglicherweise habe Borchard die Bedeutung der Büste jedoch falsch dargestellt, so Lewis McNaught, der Autor des Berichts.

Die Nofretete-Skulptur verließ das Land, Jahre bevor man 1922 auf das Grab von Tutanchamun stieß. Diese spektakuläre Entdeckung veranlasste Ägypten dazu, "ausländischen Grabungsteams fortan keine Rechte mehr einzuräumen, wichtige Funde mit nach Hause zu nehmen", so McNaught in seinem Bericht.

Der Experte hält es für "höchst unwahrscheinlich", dass Hawass mit seiner Kampagne zur Rückführung der Nofretete Erfolg haben wird, es sei denn, er oder die ägyptischen Behörden "legen neue Beweise für eine absichtliche Täuschung vor", sagte er der DW. "Wie die Funde solcher Ausgrabungen damals aufgeteilt wurden, bleibt meist (wenn auch nicht immer) ein Mysterium."

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords 

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.