Snowden bringt Merkel in Verlegenheit
17. November 2013Knapp einen Monat nach Bekanntwerden der Ausspähung des Handys von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch den US-Geheimdienst NSA hat die Bundesregierung die Informationspolitik Washingtons kritisiert. In einer Bundestags-Sondersitzung zu der Affäre forderte die Kanzlerin am Montag (18.11.2013) eine Aufklärung der "gravierenden" Vorwürfe. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warf der Bundesregierung "Duckmäusertum" im Umgang mit den USA vor.
Angela Merkel darf davon ausgehen, dass ihr viele Volksvertreter am Montag (18.11.2013) bei der Sondersitzung zur NSA-Affäre unangenehme Fragen stellen werden. Etwa warum sie nicht bereit ist, dem Whistleblower Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. Oder warum sie die Affäre um die weltweite Ausspähung der elektronischen Kommunikation und des Internets durch die National Security Agency (NSA) so lange verharmlost hat.
Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele warf der Kanzlerin fehlenden Mut vor. "Wäre das nicht eine menschliche Geste, in Richtung von Herrn Snowden zu sagen: 'Dankeschön'?", fragte er mit Blick auf dessen Enthüllungen zum Lauschangriff auf das Kanzlerinnen-Handy. "Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist", hatte Snowden in seinem Brief geschrieben, der an drei Personen gerichtet ist: Angela Merkel, den Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU) und den Generalbundesanwalt.
Kein Asyl für den Whistleblower in Deutschland
Ströbele war Überbringer der überraschenden Post. Ende Oktober war er nach Moskau gereist, um sich an einem geheimen Ort mehrere Stunden mit Snowden zu unterhalten. Der 30-Jährige hat für zunächst ein Jahr von Russland Asyl erhalten. In Deutschland wird er das nach dem Willen der Bundesregierung nicht bekommen. Das betonte Merkels Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach einer der vielen Sondersitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) am 6. November. Zuvor hatte Ströbele hinter abhörsicheren Türen ausführlich über sein Treffen mit Snowden berichtet.
Die Bundesregierung könnte sich bestenfalls vorstellen, den Whistleblower in seinem russischen Exil zu befragen. Unter welchen Bedingungen das möglich wäre, soll vom Justizministerium geprüft werden. Derweil kündigte Merkels Koordinator für die deutschen Geheimdienste, Ronald Pofalla (CDU), eine grundsätzliche Überprüfung der Zusammenarbeit mit den US-Diensten an. Im Sommer hatten beide Seiten vereinbart, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen abschließen zu wollen. Inhalt eines solchen Vertrags wäre, das gegenseitige Ausspionieren befreundeter Staaten auszuschließen. Das sei eine "einmalige Chance, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen", meinte Pofalla nach der jüngsten PKG-Sitzung.
Pofalla: "Keine millionenfache Grundrechtsverletzung"
Im Sommer, auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes, hatte Pofalla noch betont: "Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung". Zweifel an dieser Darstellung hegten damals wie heute vor allem die oppositionellen Grünen, Linken und Sozialdemokraten. "Frau Merkel distanziert sich nicht von den Amerikanern und nimmt es kritiklos hin, wenn deutsche Rechte und Interessen verletzt werden", kritisierte der bei der Bundestagswahl unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
Dass auch Merkel dem wichtigsten Verbündeten der Deutschen nicht mehr hundertprozentig zu trauen schien, dafür gab es schon im Sommer vereinzelte Hinweise. Am Tag der Steinbrück-Kritik an ihrer Person warb die Kanzlerin für eine Stärkung der europäischen Internet-Technologie. Der Grund: Alle großen Datenknotenpunkte und die Router-Industrie sind fest in chinesischer und amerikanischer Hand. "Ob das gut ist, wage ich zu bezweifeln", sagte Merkel damals.
Innenminister verweigert Datenschützer Akten-Einsicht
Den Zweifeln seiner Parteichefin zum Trotz warf CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der SPD Anti-Amerikanismus vor. Kurze Zeit später kündigte Kanzleramtschef Pofalla nach einer weiteren Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums an, die Regierung werde Schritt für Schritt alle noch offenen Details klären. Dokumente und Briefe, darunter schriftliche Zusagen der NSA, würden als Verschlusssachen der Geheimschutzstelle des Bundestages vorgelegt, wo sie eingesehen werden könnten.
Einer, der auch gerne Einblick genommen hätte und dafür nach seinem Amtsverständnis geradezu berufen ist, war der vom Parlament gewählte Datenschutzbeauftragte Peter Schaar. Doch ihm verweigerte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Akteneinsicht, angeblich weil Schaar nicht zuständig war. Unter dem Eindruck des mutmaßlich von der NSA abgehörten Handys der Bundeskanzlerin warf Schaar der Bundesregierung nun indirekt Tatenlosigkeit vor. Erst die eigene Betroffenheit habe dazu geführt, "dass gehandelt wird".
Wachsender Protest auf der Straße
Ganz untätig blieb Angela Merkels Regierung allerdings nicht. Schon im Juli, wenige Wochen nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, war Friedrich nach Washington geflogen, um mit US-Vizepräsident Joe Biden, der Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, Lisa Monaco, und US-Justizminister Eric Holder über die NSA-Affäre zu sprechen. Anschließend berichtete er von einem offenen und konstruktiven Meinungsaustausch.
Je länger die NSA-Affäre schwelte, desto stärker wurde der Protest außerhalb des Parlaments. Anfang September demonstrierten Aktivisten des Datenschutzvereins "Digitalcourage" vor der Berliner Baustelle der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegen Ausspähung jeglicher Art. Die symbolische Aktion diente als Einstimmung auf die Großdemonstration am 7. September, zu der zahlreiche Bürgerrechtsgruppen, Journalisten-Verbände sowie Grüne, Linke und die netzaffine Piratenpartei aufgerufen hatten. Das Motto lautete "Freiheit statt Angst".
Rund zwei Monate später sieht es so aus, als würde die Regierung die Sorgen der Bevölkerung ernster nehmen als zu Beginn der Affäre. Merkels Handy und Snowdens Brief haben der NSA-Affäre eine neue Dimension gegeben. Innenminister Friedrich drängte inzwischen auf eine Entschuldigung der US-Amerikaner. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bestellte den US-Botschafter in Berlin ein und missbilligte öffentlich das NSA-Gebaren.
Bundesanwaltschaft ermittelt (noch) nicht
Ob die Bundesanwaltschaft in der NSA-Affäre tätig wird, ist weiterhin offen. Nachdem bekannt geworden war, dass der US-Geheimdienst offenbar die mobile Kommunikation der deutschen Regierungschefin abgehört haben soll, legten die Ermittler zwei sogenannte Beobachtungsvorgänge an. Aus den bislang übermittelten Informationen würden sich allerdings noch keine Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft ergeben, hieß es am vergangenen Donnerstag auf Anfrage der Deutschen Presseagentur (dpa).