Smital: "Immer noch stark kontaminiert"
11. März 2013Herr Smital, Sie haben vor kurzem die Radioaktivität in und um Fukushima gemessen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Die Radioaktivität ist dort nach wie vor sehr hoch. Man findet in der Stadt Fukushima mit etwa 300.000 Einwohnern immer noch Kinderspielplätze, die stark kontaminiert sind. Der Messwert direkt am Boden ist 200 mal höher als vor dem Atomunglück. In den evakuierten Geisterstädten, die mit großem Aufwand gereinigt wurden, stellen wir fest, dass die Strahlung nicht zurückgegangen ist. Sie sitzt sehr fest am Boden. 20 bis 50 Prozent hat zwar die Reinigung gebracht. Aber das ist immer noch zu hoch, als dass man dort wieder ein normales Leben beginnen könnte.
Die Menschen sollen dort ja gar nicht wieder hinziehen.
Genau. Wir kritisieren den Ansatz, sich auf die evakuierten Gebiete zu konzentrieren und dort sehr viel Energie darauf zu verwenden, die Radioaktivität an Waldhängen oder auf Straßen zu reduzieren. Mit diesem Aufwand sollte man sich den bewohnten Stadtgebieten widmen. Dort leben die Menschen! Dort gehört die Strahlung verringert! Das würde den Menschen viel mehr helfen. Ich habe große Bedenken, dass man in die stark verstrahlten Gebiete zurückkehrt und sagt, dort sei ein normales Leben möglich.
Wie reagieren die Menschen in Fukushima?
Wir hatten mit vielen Menschen dort gesprochen. Ich habe gelernt, dass die Japaner sehr bodenverbunden sind. Dort haben sie über mehrere Generationen gewohnt. Aber die Japaner sind auch sehr tapfer. Sie jammern zwar nicht, aber sie leiden schon sehr drunter. Sie hätten ja gerne ihr altes Leben wieder zurück, was leider nicht möglich ist.
Werden die Menschen von den Behörden ausreichend über das Gesundheitsrisiko aufgeklärt?
Hier wird das Gesundheitsrisiko heruntergespielt, auch weil es eine nicht zu bewältigende Aufgabe ist. Man kann nicht ganze Landstriche, Berge, Flüsse und Ufer dekontaminieren. Jetzt versucht man, den Menschen dort eine höhere Strahlung zuzumuten. Und um sie nicht zu beunruhigen, sagt man, dass es keine Auswirkungen hätte. Insofern werden hier die Opfer der Katastrophe zum zweiten Mal Opfer, indem es ihnen zugemutet wird, in den Gebieten zu wohnen, wo die Strahlungen zu hoch sind.
Sie glauben, dass die japanische Regierung nicht genug für die Menschen tut?
Insgesamt werden die Leute alleine gelassen. Ich habe gesehen, dass dicke Antragsformulare mit mehreren Dutzend Seiten ausgefüllt werden sollen, wenn man eine Entschädigung erhalten will. Die meisten Menschen geben auf, weil der bürokratische Aufwand zu hoch ist. Sie haben auch keine Kraft, sich durchzukämpfen. Ich habe einen Mann getroffen, der einen Rechtsanwalt engagiert und in zwei Jahren 15.000 Briefe geschrieben hat. Viele andere haben die Kraft nicht. Davon profitiert der Atomkraftbetreiber und spart sich die Entschädigungszahlungen.
Wie lange braucht Fukushima, bis dort ein normales Leben möglich ist?
Man hat Erfahrungen nach dem Atomunfall in Tschernobyl. Selbst nach Jahrzehnten nimmt die Strahlung kaum ab. Die Abnahme entsteht hauptsächlich durch den Zerfall. Das heißt, die Strahlung wird sich in 30 Jahren halbieren. Die Region Fukushima wird in den nächsten Jahrzehnten mit hohen Strahlungen zu rechnen haben. Man sieht, wie aussichtslos es ist, eine Katastrophe dieses Ausmaßes in den Griff zu bekommen. Man sieht auch, wie gefährlich die Atomkraft ist und wie wichtig es ist, dass Deutschland aussteigt und die Atomkraft weltweit ein Ende haben muss.
Heinz Smital ist Kernphysiker und Atomexperte bei Greenpeace Deutschland.