Slowakei: Öffentliche Rundfunkanstalt RTVS wird aufgelöst
21. Juni 2024Im Parlament der Slowakei stimmten alle Abgeordneten der drei Regierungsparteien für die umstrittene Neuregelung. Die Parlamentarier der Opposition verließen hingegen aus Protest den Sitzungssaal und boykottierten damit die Abstimmung. Dem Votum waren monatelange Proteste von Oppositionsparteien und Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt RTVS vorausgegangen.
Die nationalistische Kulturministerin Martina Simkovicova und der linkspopulistische Ministerpräsident Robert Fico hatten mehrfach kritisiert, die Berichterstattung des Senders über sie sei voreingenommen. Sie konnten aber den Generaldirektor und sein Team, die noch von einer früheren Parlamentsmehrheit für eine Amtsperiode bis 2027 gewählt worden waren, aufgrund der bestehenden Gesetzeslage nicht absetzen. Mit der formellen Auflösung des Senders fällt dieses Hindernis weg.
Nachfolgesender unter stärkerer Regierungskontrolle
RTVS soll ab 1. Juli durch eine neue Sendeanstalt namens STVR (Slowakisches Fernsehen und Radio) ersetzt werden, wenn der Staatspräsident das umstrittene Gesetz unterzeichnet hat. Dann könnte auch eine neue Führung des Senders bestimmt werden. Das Gesetz sieht vor, dass der neue Sender einen Direktor erhält, der von einem Rat ausgewählt wird, dessen neun Mitglieder vom Kulturministerium und vom Parlament ernannt werden.
Die ehemalige TV-Moderatorin Simkovicova war von der prorussischen Slowakischen Nationalpartei SNS für das Amt der Kulturministerin vorgeschlagen worden. Die SNS regiert als kleinste Koalitionspartei in einer Dreierkoalition mit der linkspopulistischen Smer von Langzeit-Ministerpräsident Robert Fico und der sozialdemokratisch-liberalen Hlas des neu gewählten Staatspräsidenten Peter Pellegrini. Gegner bescheinigen Simkovicova eine Nähe zu Verschwörungserzählungen.
Die Kulturministerin sagte vor den Abgeordneten zur Begründung der Vorlage: "Der Gesetzentwurf hat das Ziel, den öffentlich-rechtlichen Charakter (des Senders) zu stärken, ebenso die Achtung der Pluralität und die Grundsätze der Demokratie und des freien Schaffens".
Heftige Kritik der Opposition
Dagegen sprach RTVS-Direktor Lubos Machaj von einem "schwarzen Tag" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Medien in der Slowakei. Das Versäumnis, genaue Verfahren für den Wechsel von RTVS zur Nachfolgeanstalt festzulegen, "kombiniert mit dem Fehlen einer vollständigen Führung, könnte die Institution destabilisieren und die Produktion gefährden", so der Sender in einer Erklärung.
Michal Simecka, Vorsitzender der größten Oppositionspartei Progressive Slowakei (PS), bezeichnete das Gesetz als beschämend. Er kündigte an, es vor dem Verfassungsgericht anzufechten.
Kritiker warfen der Regierung seit Monaten vor, den Sender durch ein willfähriges Sprachrohr der Regierung ersetzen zu wollen. Den oppositionellen Protestaufrufen waren in den ersten Monaten des Jahres wiederholt Zehntausende Menschen gefolgt. Nach der Wahlniederlage der Opposition bei der Präsidentenwahl Anfang April und einem Attentat auf Regierungschef Fico am 15. Mai erlahmte die Protestbewegung jedoch.
Fico war Mitte Mai von einem 71-jährigen Attentäter niedergeschossen und schwer verletzt worden. Zuletzt waren am Dienstag in Bratislava nur einige Hundert Menschen gegen die Regierung und ihre Pläne zur Neuordnung der Medien auf die Straße gegangen.
Pressefreiheit bedroht?
Internationale Journalistenverbände hatten vor einer befürchteten Einschränkung der Pressefreiheit gewarnt. "Ministerpräsident Fico hat beschlossen, unabhängigen Medien den Kampf zu erklären", sagte der Chef von Reporter ohne Grenzen für den Raum Europa und Zentralasien, Pavol Szalai.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) appellierte Ende April an das slowakische Parlament, "der von der Regierung beabsichtigten Auflösung des öffentlich-rechtlichen Senders RTVS die Zustimmung zu verweigern". Auch in anderen osteuropäischen Staaten habe die "Aushöhlung der Demokratie stets mit der Einschränkung der Pressefreiheit begonnen", erklärte der DJV-Vorsitzende Mika Beuster.
"Das war in Ungarn unter Viktor Orban so und in Polen nach dem Wahlsieg der PIS-Partei auch." Die EU-Kommission sei deshalb gut beraten, die Entwicklung in der Slowakei genau zu verfolgen. "Wenn RTVS tatsächlich abgeschafft wird, sind entschlossene Reaktionen aus Brüssel unverzichtbar", fügte Beuster hinzu.
kle/jj (dpa, rtre, afp)