Slowakei: Medienschaffende fürchten Orbanisierung der Medien
16. Juni 2024Dem Täter, der Mitte Mai auf ihn schoss und ihn lebensgefährlich verletzte, hat der slowakische Ministerpräsident Robert Fico schnell verziehen. Er hat andere Verantwortliche für den Attentatsversuch ausgemacht: die politische Opposition, einschließlich der kritischen Medien.
Aus seiner Verachtung für Journalistinnen und Journalisten hat der nationalpopulistische Fico nie einen Hehl gemacht. 2016 beschimpfte er sie gar als "dreckige, antislowakische Huren". Seit dem Beginn seiner vierten Amtszeit im Oktober 2023 sorgt sein Versuch, die öffentlichen Medien zu "reformieren" im In- und Ausland für Beunruhigung.
Fico scheint entschlossen, den schockierenden Mordversuch am 15. Mai durch den 71-jährigen Juraj Cintula zu nutzen, um die Presse weiter zu bedrängen. Nach seinem Krankenhausaufenthalt forderte er die "regierungsfeindlichen Medien" in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme auf, "das Böse und den politischen Hass", der seiner Meinung nach von seinen politischen Gegnern geschürt wird und letztlich zu dem Mordanschlag auf ihn führte, nicht "herunterzuspielen".
Politiker rufen nach 'Versöhnung'
Seit den Schüssen zeigten sich alle Seiten schockiert über die Tat und den tiefen Riss, der durch die slowakische Gesellschaft geht. Der Ruf nach Versöhnung ist allgegenwärtig.
In den Medien befürchten jedoch viele, dass dieses Narrativ von den Regierungsparteien missbraucht wird. "Die Regierungskoalition versucht, diesen schrecklichen Vorfall für sich zu nutzen und die Arbeit der Journalisten zu erschweren und Einfluss über die Medien zu gewinnen", kritisiert ein Journalist, der für eine große slowakische Zeitung arbeitet und ungenannt bleiben möchte, gegenüber der DW.
Regierung will mehr Einfluss auf die Medien
Schon vor dem Angriff war die Regierung bemüht, ihren Einfluss auf die Medien zu vergrößern. In den kommenden Wochen will sie eine Umstrukturierung der öffentlichen Sendeanstalt RTVS durch das Parlament bringen. Fico, der den kommerziellen Fernsehsender Markiza und die Tageszeitungen und Nachrichtenportale Dennik N, SME und Aktuality im vergangenen Jahr als "feindliche Medien" bezeichnete, wirft RTVS vor, nicht mehr objektiv zu berichten. Kritiker warnen, die geplante Umstrukturierung würde den Sender unter politische Kontrolle bringen.
Unmittelbar nach dem gescheiterten Attentatsversuch erklärten die Regierungspartner Ficos jedoch ihre Absicht, die Kontrolle weiter zu verstärken, um eine Wiederholung solcher Taten zu verhindern. "Ein politischer Krieg hat begonnen", erklärte Andrej Danko, Vorsitzender der an der Regierung beteiligten Slowakischen Nationalpartei (SNS), und versprach "Änderungen" in der Medienlandschaft: "Die Ära der Anmaßung ist vorbei."
'Lex Atentat' soll Medien einhegen
Der Ton der Diskussion hat sich noch nicht entschärft. Opposition und Medien werden weiterhin von den Regierungsparteien dafür verantwortlich gemacht, den Hass zu schüren und die Gesellschaft zu spalten. In Reaktion auf das Attentat hat die Regierung eine Reihe von Gesetzesvorhaben angekündigt. Auch Vorschläge zur Änderung der Gesetze über die Medien und den Zugang zu Informationen sollen dazu zählen.
"Sie sprechen von einer 'Lex Atentat', einem 'Attentatsgesetz'", erklärt Radoslav Stefancik von der Wirtschaftsuniversität Bratislava im Gespräch mit der DW. "Niemand weiß jedoch genau, was das beinhaltet. Trotz aller Rufe nach Versöhnung reagiert die Regierung bislang nicht auf Kooperationsangebote, obwohl der Angriff von der Opposition einhellig verurteilt wurde."
Orbanisierung der Medien
Beunruhigender als diese Gesetzesänderungen sind jedoch nach Ansicht Vieler die informellen Mechanismen, mit denen Druck auf die Medien ausgeübt wird. "Es ist unsere Pflicht über solche Themen wie Korruption und Vetternwirtschaft zu schreiben, und das werden wir auch tun", insistiert Lukas Fila, Chef des Medienhauses N Press, das die Online-Zeitung Dennik N veröffentlicht. "Einige Politiker der Koalition nutzen die Situation, um zu unterstellen, dass es diese Art der Berichterstattung sei, die zu dem Attentat geführt habe. Viele von denen, die 'Versöhnung' fordern, wollen in Wirklichkeit, dass die Medien jede kritische Äußerung unterlassen. Das kann natürlich nicht passieren."
Aber nicht alle Medien sind so entschlossen, unbeirrt weiter zu berichten. Ende Mai strich Markiza, der beliebteste kommerzielle Fernsehsender der Slowakei, den populären wöchentlichen Polit-Talk "Na Telo", nachdem der Gastgeber Michal Kovacic den Zuschauern erklärt hatte, es habe "ein Krieg um die Orbanisierung unserer Fernsehsender" begonnen. Die Zähmung der heimischen Medien durch die ungarische Regierung unter Viktor Orban scheint Fico und ihm gleichgesinnten Staats- und Regierungschefs in ganz Europa als Vorbild zu dienen, dem sie nacheifern.
Aber auch die Journalisten und das Management von RTVS sind sich bewusst, wie es in Ungarn gelang, die öffentlichen Medien einzuhegen, und versuchen, den Plan zu vereiteln. Am 10. Juni traten die Mitarbeitenden des Senders mit dem Segen des Managements in Streik. Bei einer öffentlichen Demonstration in Bratislava forderten sie, die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks zu bewahren.
Weite Teile der Öffentlichkeit sind ebenfalls beunruhigt. Das Thema hat möglicherweise sogar dazu beigetragen, bei den EU-Wahlen am vergangenen Wochenende liberale Wähler zu mobilisieren. Bei einer Rekordwahlbeteiligung von 34 Prozent führte die zentristische Progressive Slowakei mit 27,8 Prozent. Doch die Anhänger von Smer, die mit 24,8 Prozent den zweiten Platz belegte, scheint das nicht zu stören. Bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr hatte die Partei von Fico nur 23 Prozent erhalten.
Slowakische Medien zensieren sich selbst
Die Journalistinnen und Journalisten von Markiza wollen sich nicht einschüchtern lassen. Sie sind wie Kovacic der Meinung, dass sich die Geschäftsführung in die redaktionelle Berichterstattung des Senders einmischt, und drohen mit Streiks. Doch es könnte ein harter Kampf werden. Als das Internationale Presseinstitut forderte, den "freien Journalismus zu verteidigen und zu unterstützen", erklärte der tschechische Mischkonzern PPF, dem Markiza gehört, Kovacic habe "gegen redaktionelle Richtlinien verstoßen".
Nicht nur Markiza lässt sich von der Regierung verunsichern. Die Fernsehsender Joj und TA3 haben ihr politisches Programm eingestellt. "Selbstzensur findet statt", beklagt Stefancik. "Erst nahmen Regierungspolitiker nicht mehr an Talkshows teil, dann schränkten die Eigentümer einiger Medien die politische Berichterstattung ein und geben nun unpolitischen Nachrichten den Vorzug." Trocken merkt er an, dass bereits die hohen Wasserstände der Donau zu einem umstrittenen Thema geworden seien.
Verzagte Redaktionen
Aufgrund des Drucks werden die Redaktionen immer zaghafter, sagt der bereits zitierte anonyme Journalist zur DW. "Wir sind in unserer Berichterstattung definitiv zurückhaltender", berichtet er. "Das, worüber sich die Journalisten bei Markiza beschweren, passiert auch hier. Ich überlege, ob ich gehen soll."
Nicht jeder ist überzeugt, dass es der Regierung gelingen wird, den Angriff auf Fico zu nutzen, um die Slowakei im Schnellverfahren zu orbanisieren. Fila, der Chef von Dennik N, weist darauf hin, dass der Ministerpräsident, der bereits Anfang Juli seine Arbeit wiederaufnehmen will, über deutlich weniger politischen Einfluss verfügt als sein ungarischer Amtskollege.
Doch der anonyme Journalist warnt: "Ungarische Kollegen erzählen, die aktuelle Situation in der Slowakei erinnere sie an die Ereignisse in ihrem Land vor zehn Jahren."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.