Sigmar Gabriel von der Rolle
20. April 2016Er ist erst kurz vor Mitternacht aus Nordafrika zurückgekommen. Trotzdem ist er am nächsten Morgen zu früh zur Frühjahrsprojektion da. Er redet noch mit zwei Journalisten - die Mine ernst. Dann beendet er das Blitzlichtgewitter mit einem kurzen: "Gut."
Die Wirtschaft wächst, die SPD schrumpft
Eigentlich ist momentan kaum etwas gut. Der Zustand der SPD am allerwenigsten. Seine persönlichen Umfragen auch nicht. Und die Reaktionen auf seine Nordafrika-Reise schon gar nicht. Immerhin: Das Einzige, was wirklich gut ist, könnte man für das einzig Wichtige halten: die Lage in Deutschland. Die Wirtschaft wächst, die Zahl der Menschen, die einen Job haben, bricht alle Rekorde, die Deutschen können immer mehr Geld ausgeben und auch der Staat kann kräftig investieren. Alles Anliegen, die den Kern der Sozialdemokratie ausmachen. Trotzdem liegt Gabriels Partei in den Umfragen bei gerade mal 20 Prozent. Kurze Frage eines Journalisten: "Was investieren Sie zur Stützung der SPD?" Kurze Antwort: "Meine geistigen und körperlichen Fähigkeiten."
Der Vizekanzler und die Außenpolitik
Neben Sigmar Gabriel sitzt Dr. Zettelmeyer aus dem Wirtschaftsministerium. Fraglich, ob der Abteilungsleiter in der nächsten Stunde etwas sagen wird. Gabriel: "Der passt nur auf, dass ich keinen Mist rede." Viele aus der Opposition, aber auch aus seiner eigenen Partei fanden, dass das schon am Sonntag in Ägypten so war. In Kairo hatte der Vizekanzler nach einem Treffen mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi diesen als "beeindruckenden Präsidenten" bezeichnet. Die Opposition in Deutschland fragte, ob Gabriel "die Folter, die Unterdrückung, die Zensur, oder den Umgang mit deutschen Stiftungen" beeindruckend fand. Parteifreunde konnten die Äußerungen "überhaupt nicht nachvollziehen" und die Süddeutsche Zeitung fand sie "dämlich". Deshalb erklärt der SPD-Chef, zurück in Berlin, den Satz, "der offensichtlich interessanter ist, als vieles andere", noch einmal ganz genau.
Al-Sisi besser als Erdogan, Putin und die Chinesen
Ein Großteil seines Gesprächs mit al-Sisi sei um Menschenrechte gegangen. Und al-Sisi sei einer der wenigen, der dazu bereit sei, "streitig darüber auch längere Zeit zu debattieren". Eine solche Diskussion könne er sich mit Erdogan, den chinesischen Partei- und Staatsführern oder Putin schwer vorstellen. Das habe ihn beeindruckt. Argumentiert habe er außerdem ausschließlich sicherheitspolitisch. Dann wiederholt Gabriel eines seiner Argumente. Wenn Menschen "durch einen ungebändigten Sicherheitsapparat genauso beurteilt werden, wie Menschen, die dem Verdacht unterliegen, gewalttätigen Widerstand aus der islamistischen Szene zu leisten, dann wird sich die Gesellschaft spalten und es wird keine Dynamik aufziehen". Eine Äußerung, die mit den Muslimbrüdern anfängt und bei der wirtschaftlichen Dynamik aufhört. Derartige Sprünge muss der Wirtschaftsminister regelmäßig vollführen. Nächste Frage wieder an den SPD-Vorsitzenden, zur Diskussion um seine Person. Gabriel: "Herr Zettelmeyer geht schon mal ein bisschen weg."
Kein Mangel an offener Debatte in der SPD
Die Diskussion über Gabriel als Parteichef kommt nicht mehr zur Ruhe - auch bei noch so viel Ablenkung durch Ägypten. Manche sagen, er habe zu viele Themen und zu konträre Positionen zu besetzen. Ägypten, Rente, Marokko, Elektroautos, Integration, EZB - mal gerichtet an die "kleinen Leute", mal an die Wirtschaftsbosse, mal den linken Flügel berücksichtigend, mal den rechten besänftigend. Und außer ihm, so sagen viele, würde sich in der SPD niemand mehr aus der Deckung wagen. Gabriel als SPD-Chef meint dazu: "Es gibt keinen Mangel an offener Debatte in der SPD." Undiplomatisch heißt das: Es brennt lichterloh.
Absetzen von der Kanzlerin
Tatsächlich machen die aktuellen Umfragen die Genossen mehr als nervös. In der neuen Forsa-Umfrage liegt Sigmar Gabriels Popularität bei gerade mal 13 Prozent. Und selbst in der eigenen Partei kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen besser an als Sigmar Gabriel. Nur noch ein Drittel hätte den Parteichef gerne als Kanzler. 40 Prozent würden lieber Merkel behalten. Dem Wirtschaftsminister und Vizekanzler gelingt es nicht, die gute wirtschaftliche Lage zu einem Werk der Sozialdemokratie zu erklären. Deshalb geht der SPD-Chef langsam zum Angriff über: Er schimpft auf Banken und große Teile der Wirtschaft, warnt vor Rechtspopulisten und zu kleinen Renten. Und dann ist dieser Auftritt vorbei. Sigmar Gabriel, Vorsitzender der stolzen SPD, steigt in seine Limousine und fährt davon. Zurück bleibt: Dr. Zettelmeyer. Bis zuletzt still.