Sierra Leone: Palmöl statt Selbstversorgung
28. September 2016Crespo kommt nicht aus Sahn Malen, doch er weiß, dass dort alles anders ist als bei ihm zu Hause. Nur gelegentlich bringt er jemanden mit seinem Motorrad in den südlichsten Zipfel Sierra Leones, und was er dort sieht, beunruhigt ihn. "Man sagt, dass auch unsere Ältesten das Land weggeben wollen", sagt er vor der Abfahrt in Pujehun. "Und man sagt, die Firma habe auch bei uns angefragt. Sie wollen uns Geld geben für unser Land. Aber dann werden wir genau so leiden wie die Leute in Sahn Malen."
Pujehun, wo Crespo mit seinem Motorradtaxi jeden Tag auf Kundschaft wartet, ist die größte Stadt der Gegend. Von hier aus dauert es eine knappe halbe Stunde nach Sahn Malen. Ab und zu ist auf der einen Seite eine kleine wild wachsende Palmölplantage, ab und zu ist auf der anderen Seite ein Sumpf. Ein wildes Durcheinander von Grün.
Dann kommt die Barriere. Zwei Polizisten und mehrere Beamte einer privaten Sicherheitsfirma bewachen die Schranke. Dahinter: flaches Land. Rechts und links der Schotterstraße wuchert nicht mehr Gebüsch, von hier an wachsen rechts und links nur Palmen, alle gleich hoch, alle im gleichen Abstand zueinander, monoton. "All das ist die Firma, sie haben das Land genommen", sagt Crespo. "Das ganze Land."
Das neue Superöl
Die Firma, von der Crespo spricht, ist Socfin. Ein in der Schweiz registriertes Unternehmen mit Sitz in Belgien. Das "ganze Land" sind die 12.432 Hektar, auf denen Socfin in den vergangenen vier Jahren Ölpalmen gepflanzt hat. 2012 kam das Unternehmen nach Sahn Malen, ein Zusammenschluss von knapp 70 Dörfern im Süden Sierra Leones. Socfin mietete von den lokalen Landbesitzern großflächig Land an, baute eine hochmoderne Verarbeitungsanlage und pflanzte Ölpalmen.
Palmöl ist das neue Superöl der Welt. In Deutschland steckt Palmöl in rund der Hälfte aller Supermarktprodukte; in Keksen, Margarine, Make-Up und Eiscreme. In der EU wird es zudem für Biodiesel verwendet. Der globale Konsum wächst und wird weiter wachsen - in den Industrieländern rechnet die Welternährungsorganisation FAO mit einer Verdopplung bis 2050. Palmöl ist vielseitig, ertragreicher und billiger anzubauen als das Öl aller anderen Ölpflanzen wie Raps oder Sonnenblumen. Kein Wunder, dass die Anzahl der Investitionen in seinen Anbau immer weiter ansteigt.
Doch das Öl ist umstritten. Die einen sagen, es habe das Potenzial, zu einer der treibenden Kräfte im Kampf gegen die globale Armut zu werden, da es in vielen tropischen Ländern sowieso ein Grundnahrungsmittel sei und eine Ertragssteigerung enorme Chancen für aufstrebende Märkte mit sich bringe.
Die anderen sagen, die rasche industrielle Ausbreitung der Palmölproduktion sei eine Gefahr für den Regenwald und darin lebende indigene Völker. Greenpeace warnte bereits vor Jahren vor der Rodung tropischer Wälder in Indonesien und Malaysia, seit Kurzem auch vermehrt in Afrika. Sierra Leone ist das jüngste Projekt von Socfin. Es liegt in der westafrikanischen Heimatregion der Ölpalme, die hier gut gedeiht. Hier gibt es massenweise Land, das Regierungen bereit sind, für wenig Geld an Investoren abzugeben.
Widerstand plattgewalzt
Margaret Fascias Grundstück liegt wie eine Insel in einem Meer von Ölpalmen. Eine plötzliche Oase von wild durcheinander wucherndem Grün. "Willkommen in meinem Garten", sagt die Frau, deren feste Stimme und entschlossener Blick ihre kleine Körpergröße wettmachen. Sie kommt aus Kasseh, einem Dorf in Sahn Malen. Heute ist sie die Einzige im Dorf.
Bevor Socfin kam, bauten die Menschen hier neben Ölpalmen auch Kakao, Maniok, Kartoffeln, Ananas, Bohnen und Reis an. So deckten sie ihre Bedürfnisse aus eigener Hand. Doch damit ist es vorbei, seit der traditionelle Anführer von Sahn Malen das große Geld witterte und sich auf die Seite der Neuankömmlinge stellte. "Der Chief drängte uns, unser Land zu verkaufen", sagt Fascia. "Wir hatten keine Wahl. Auch wenn wir nein sagten, er gab es trotzdem her". Als die Bulldozer kamen, stellte sich Fascia vor ihr Haus - und rettete so ihr Stück fruchtbares Land, von dem sie die ganze Familie ernährt. Was sie selbst nicht brauchen, verkauft sie. Der Erlös reicht sogar noch, um die Kinder zur Schule zu schicken.
Der Plantagenmanager Philip Tonks sagt, es gebe keine Probleme mit der Bevölkerung, nicht mehr. Er erzählt von den Reisanbau- und den Wiederbewaldungsprojekten, die die Firma aufgezogen habe. Wo einst die Palmen-Pflanzlinge herangezüchtet wurden, pflanzt Socfin nun Bäume, um internationalen Best-Practice-Richtlinien zu entsprechen. "Wir haben Straßen ausgebaut, es gibt eine neue Klinik und wir bauen ein College", argumentiert Tonks. Die Firma beschäftige 4000 Arbeiter, davon 1800 fest. Das Leben sei besser als vor Ankunft von Socfin, als die Lebensbedingungen "sehr primitiv" gewesen seien.
Trügerische Ruhe?
Für Mattia Limbe hat die Ruhe einen anderen Grund. "Die Menschen haben Angst", sagt er. Limbe und Fascia kämpfen seit Jahren gegen die Ausbreitung der Plantage und für adäquate Kompensation der Landbesitzer. Beide sind Gründungsmitglieder von MALOA, der Malen Land Owners Association, die sich 2012 im Protest gegen Socfin gebildet hatte - und dadurch auch den traditionellen Anführer gegen sich aufbrachte. "Der Chief duldet keine Gegenspieler", sagt Mattia. Aus Angst vor Verhaftungen treffe sich die Gruppe jetzt nur noch heimlich. Mattia ist selbst mehrfach verhaftet worden. Anfang des Jahres wurden er und zwölf Mitstreiter wegen Unruhestiftung verurteilt. Er musste mehrere Tage ins Gefängnis.
Luc Boedt, Chef der Socfin-Gruppe, will von Kritik nichts wissen. Er gibt sich gönnerhaft: 2020 werde man ganz Afrika ernähren, verspricht er. Tatsächlich herrscht in vielen Ländern Westafrikas trotz der Omnipräsenz kleiner Palmölplantagen Ölknappheit. Bisher verkaufen Unternehmen wie Socfin ihr Öl an lokale Märkte, um diesen Bedarf zu decken - in den Export fließt noch nicht viel. Doch der Palmölboom in Westafrika geht gerade erst los. Die Verarbeitungsanlage in Sahn Malen sei so gebaut, dass sie theoretisch das Doppelte von dem leisten könne, was sie jetzt bei Hochbetrieb verarbeitet, sagt Plantagenmanager Philip Tonks. Man sei vorbereitet.