Athen zwischen Brüssel und Peking
10. Juli 2019Für China ist es eine gute Nachricht: Die konservative Nea Dimokratia hat die Parlamentswahl in Griechenland gewonnen. Der unternehmerfreundliche Kyriakos Mitsotakis ist bereits neuer Regierungschef. "Jetzt krempeln wir die Ärmel hoch!" erklärt der 51- Jährige. Seine Ziele: das Wachstum verdoppeln, weniger Bürokratie, Senkung der Steuern, Förderung der Privatisierung und mehr ausländische Investitionen im Land - gerne mehr aus China.
Zwischen 2008 und 2014 hat Griechenland ein knappes Drittel seines Bruttoinlandsprodukts verloren. Der Staat ist mit 170 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet - der mit Abstand höchste Wert in der Euro-Zone. Seit 2010 haben 500.000 Menschen das Land verlassen. Mehr als 90 Prozent der Auswanderer waren Hochschulabsolventen. Griechenland hat noch immer Kreditschulden in Milliardenhöhe, deren Rückzahlung noch Jahrzehnte dauern wird. Das derzeit kleine Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent ist da nur ein schwacher Trost. Athen bleibt auf Großinvestoren wie China angewiesen.
Neo Dimokratia war schon früher china-freundlich
Es war zwar die abgewählte linksgerichtete Syriza-Regierung, die mit Peking eine Vereinbarung abgeschlossen hatte, nach der Griechenland als erstes entwickeltes Industrieland an Chinas Neuer Seidenstraße teilnimmt. Auch haben sich die Griechen noch im April unter Premierminister Alexis Tsipras der "16+1"-Initiative angeschlossen, mit der Peking seine Investitionsbeziehungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ausbaut.
Das Fundament für Griechenlands china-freundliche Außenpolitik legte jedoch die Nea Dimokratia in ihrer Amtszeit zwischen 2004 und 2009. Das gilt insbesondere für die Zusammenarbeit in Piräus. Der dortige Hafen ist für Pekings Neue Seidenstraße zum Schlüsselprojekt geworden. Die Chinesen investierten dort, als kein Europäer Interesse an den Griechen hatte. Der Vertrauensbeweis zahlte sich aus: Innerhalb von zehn Jahren hat der chinesische Schifffahrtsgigant Cosco den maroden Containerumschlagplatz zum am schnellsten wachsenden Mittelmeerhafen gemacht. Er ist schon jetzt Chinas Tor nach Europa, der erste Tiefseehafen, den Containerschiffe mit Waren aus Asien erreichen, nachdem sie den ägyptischen Suezkanal durchfahren haben. Dort werden die Güter auf kleinere Frachter zum Weitertransport in andere Mittelmeerhäfen umgeladen. Ein anderer Teil geht per Eisenbahn über den Balkan nach Mitteleuropa. Der Ausbau der Gleisverbindungen wird von China ebenfalls massiv gefördert.
Seit 2016 hält Cosco die Mehrheit der Hafenträgergesellschaft, und auch im Passagierhafen hat das Unternehmen viel vor. Um den Tourismus anzukurbeln sollen ein neues Kreuzfahrtterminal, ein 8500 Tonnen schwerer Syncrolift sowie der Bau von vier Luxus-Hotels, zwei Parkanlagen und einer Shopping-Mall auf dem Hafengelände entstehen. Ein aussichtsreiches Geschäft, vor allem angesichts der neuen Reiselust der wachsenden chinesischen Mittelschicht, die von hier aus die griechischen Inseln besuchen könnte.
Tsipras' Blockade beenden
Die Vorgängerregierung von Mitsotakis stellte sich bei den Plänen der Chinesen jedoch erstmals quer. Anfang März hatte das staatliche Port Planning and Development Committee den Ausbau bis auf Weiteres untersagt. Neben dem Argument, dass das Gelände von "archäologischem Interesse" sei, erklärte die Stadtregierung, die riesige "High End"-Mall und die neuen Hotels könnten die Tourismusindustrie an sich reißen und lokale Kleinunternehmen ins Aus befördern. Höhere Mieten und eine zunehmende Automatisierung der täglichen Hafenarbeit würden lokale Anbieter benachteiligen. Premier Alexis Tsipras bekämpfte die Privatisierungsprojekte am Hafen schon 2008, erklärte im Duktus der griechischen Tragödie, Cosco werde Piräus in einen "Hafen der Agonie" verwandeln.
Mitsotakis wird nun versuchen, die Hürden für die Chinesen wieder zu verringern. Er will Peking zeigen, dass sich China auf Griechenland als stabilen Partner in Europa verlassen kann. Die Chinesen sind schon jetzt am griechischen Stromnetz beteiligt, ebenso am Ausbau des alten Athener Flughafens Elliniko. Gleichzeitig muss sich Griechenland aber wegen der hohen Kredite vor allem in Brüssel verantworten.
Dort wirft man Peking vor, mit Initiativen wie dem "17+1"-Gipfel eine geeinte EU zu sabotieren. Gegenüber chinesischen Investitionen in Europa hat Brüssel einen härteren Kurs angekündigt. Dazu kommt es erst recht, falls Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin werden sollte. Sie bezeichnete den Aufstieg Chinas bereits als Verteidigungsministerin als eine "sicherheitspolitische Herausforderung". Die Neue Seidenstraße sieht sie kritisch. China baue seine Macht aus, indem es überall in der Welt Abhängigkeiten schaffe, vor allem durch die Vergabe von Krediten, erklärt sie. "Unsere Interessen gegenüber China müssen wir am besten gemeinsam als Europäer definieren und durchsetzen."
Brüssel und Peking zugleich zufriedenstellen
Das macht gute Beziehungen zu China für Griechenland nicht einfacher. Dass das Veto, mit dem Griechenland im Sommer 2017 eine gemeinsame EU-Erklärung zu Chinas Menschenrechtslage kippte, indirekt auf Pekings Einfluss zurückgeht, ist nicht unwahrscheinlich. Wahr ist aber auch, dass viele der chinesischen Deals erst möglich wurden durch Brüssels Druck auf Griechenland während der Schuldenkrise seit 2008. Damals hatten die EU und der Internationale Währungsfonds Griechenland das Privatisierungsprogramm aufgezwängt. Groteskerweise wollten die Europäer weder in den Hafen von Piräus investieren, noch in die Bahnstrecken ab Piräus. Mehr noch: Die Hafenbetreiber in Hamburg, Bremerhaven oder Rotterdam haben kein Interesse, dass die Ladungen für Europa bereits in Griechenland gelöscht werden und nicht mehr die iberische Halbinsel umrunden müssen. Als Peking dann einsprang, gab es prompt Kritik aus Brüssel. So hatte man sich das mit der Privatisierung nicht vorgestellt.
Kyriakos Mitsotakis gilt als wirtschaftsfreundlich und als Mann der Mitte. Einen Mittelweg zwischen Griechenlands Interessen, denen Chinas sowie denen der EU zu finden, wird sicherlich eine der großen Herausforderungen seiner Amtszeit.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.