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Siemens zieht sich aus Russland zurück

Dirk Kaufmann
12. Mai 2022

Nach rund 170 Jahren will der Münchener Konzern nicht mehr in Russland produzieren und zieht sich aus dem größten Land der Welt zurück. Der Grund ist der Ukraine-Krieg, in den Präsident Putin sein Land geführt hat.

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Hochgeschwindigkeitszüge der Russischen Staatsbahn von Siemens (im Leningrader Bahnhof von Moskau)
Hochgeschwindigkeitszüge der Russischen Staatsbahn von Siemens (im Leningrader Bahnhof von Moskau)Bild: Johannes Glöckner/picture alliance

"Wir verurteilen den Krieg in der Ukraine und haben beschlossen, unsere industriellen Geschäftsaktivitäten in Russland in einem geordneten Prozess zu beenden", erklärte Konzernchef Roland Busch am Donnerstagmorgen bei der Vorstellung der aktuellen Geschäftszahlen. Siemens habe bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht um den Industriebetrieb und alle industriellen Geschäfte einzustellen.

Bereits kurz nach dem Beginn des Überfalls habe man alle neuen Geschäfte und Lieferungen nach Russland und Belarus ausgesetzt. Nun solle der Rückzug vom russischen Markt folgen. "Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen", erklärte Busch und verwies auf die Fürsorgepflicht einerseits gegenüber den Kunden und den Beschäftigten an den Standorten andererseits. Man überprüfe die Folgen für die Belegschaft und werde sie "weiterhin nach besten Kräften unterstützen".

Gasturbine von Siemens für ein Kraftwerk in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens (2018)
Gasturbine von Siemens für ein Kraftwerk in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens (2018)Bild: Yelena Afonina/Tass/dpa/picture alliance

Schon früh in Russland tätig

Das Unternehmen war 1847 von Werner Siemens, einem Artillerie-Leutnant, und dem Feinmechanikermeister Johann Georg Halske in Berlin gegründet worden - und zwar als "Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens&Halske". Das Berliner Unternehmen entwickelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einer kleinen Werkstatt, die neben Telegraphen vor allem Eisenbahnläutwerke, Drahtisolierungen und Wassermesser herstellte, zu einem der weltweit größten Elektrounternehmen.

Siemens gehörte zu den ersten multinationalen Industrieunternehmen Europas. Die Auslandsproduktion begann schon 1863, als Siemens ein Kabelwerk im englischen Woolwich gründete. 19 Jahre später begannen die Beziehungen zu Russland. Die Berliner richteten ein Kabelwerk in Sankt Petersburg ein. Im Zarenreich war Siemens an der Errichtung der Telegrafenverbindung zwischen Moskau und der Hauptstadt St. Petersburg beteiligt.

Heute ist Siemens ein international tätiger Mischkonzern. Sein Kern ist die börsennotierte Siemens AG, zu der zahlreiche deutsche und internationale Konzernunternehmen gehören. Für den Konzern mit Sitz in Berlin und München arbeiten mehr als 300.000 Menschen an 125 Standorten in Deutschland und in weiteren 190 Ländern. 2021 erwirtschafteten sie einen Umsatz von 62,3 Milliarden Euro.

Zuletzt immer mehr Ärger

Die Zusammenarbeit mit dem Zarenreich und später mit der Sowjetunion verlief für Siemens - mit Ausnahme der beiden Weltkriege - meist problemlos. Das änderte sich, als die russische Föderation mit Wladimir Putin an der Spitze immer häufiger mit internationalen Institutionen in Konflikt kam und später auch mit Sanktionen und Boykotten belegt wurde.

So zogen Zollbeamte 20210 am Frankfurter Flughafen eine Siemens-Sendung mit Schalterkomponenten und Rechenmodulen aus dem Verkehr. Das Paket sollte an eine Tochterfirma des russischen Atomkonzerns Rosatom gehen und offenbar zum iranischen Kernkraftwerk Buschehr weitergeschickt werden. Die Weiterleitung der Siemens-Komponenten hätte gegen das EU-Iran-Embargo verstoßen. Siemens gab sich ahnungslos: Von der Weiterleitung in den Iran habe man nicht gewusst.

Karikatur von Sergey Elkin - Siemens-Turbinen auf der Krim
Mit dem Versuch, Turbinen auf die annektierte Krim zu verschicken, hatte sich Siemens selbst großen Schaden eingehandeltBild: Sergey Elkin

"Gänzlich inakzeptabler Vorgang"

Die Konzernleitung verhielt sich nicht immer eindeutig und versuchte auch, an verhängten Embargos vorbei die Geschäfte mit Russland voranzutreiben. So reiste der damalige Siemens-Chef Joe Kaeser nur zwei Wochen, nachdem Russland die Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte, nach Moskau. Dort traf er sich mit Präsident Putin und dem Chef der russischen Eisenbahn, Wladimir Jakunin.

Kaeser lobte die "vertrauensvollen Beziehungen" zu Russland und versprach, sich nicht von "kurzfristigen Turbulenzen" leiten lassen zu wollen. Der Zeitpunkt des Besuchs sowie Kaesers Äußerungen führten zum Verdacht, Siemens wolle die Bedeutung der Krim-Annexion herunterspielen und den eigenen Profit über das Völkerrecht und europäische Interessen stellen.

2019: Präsident Putin mit dem damaligen Siemens-Chef Joe Kaeser in Sotschi
2019: Präsident Putin mit dem damaligen Siemens-Chef Joe Kaeser in SotschiBild: Mikhail Metzel/Tass/dpa/picture alliance

Siemens wird außerdem verdächtigt, Sanktionen durch die Lieferung von Gasturbinen auf die Krim verletzt zu haben. Laut Vertrag waren sie für ein Elektrizitätswerk in Russland vorgesehen. Die russische Zeitung Wedomosti fand später heraus, dass die Turbinen für die Krim bestimmt waren - Siemens wolle sie trotz Sanktionen nach Sewastopol und Simferopol auf die Krim liefern.

Die Bundesregierung rügte den Konzern damals: "Es liegt in der Verantwortung des Unternehmens, dass Exportgesetze und Sanktionen eingehalten werden", so eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einem "gänzlich inakzeptablen" Vorgang.

Siemens kann es sich leisten

Aktuell bekommt Siemens die Sanktionen gegen Russland durchaus zu spüren. Der Münchner Konzern bezifferte die Belastungen beim Gewinn im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2021/22 auf rund 600 Millionen Euro; vor allem das Geschäft mit Zügen litte unter den Abschreibungen und fahre Verluste ein.

Mit 1,8 Milliarden Euro - so die Nachrichtenagentur Reuters - habe im abgelaufenen Quartal der Gewinn im industriellen Geschäft unter den Erwartungen der Analysten gelegen, die knapp 2,4 Milliarden Euro vorhergesagt hatten. Unter dem Strich brach der Gewinn um 49 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro ein, statt wie erwartet 1,5 Milliarden Euro.

Siemens hatte zuletzt nur rund ein Prozent seines Gesamtumsatzes in Russland gemacht. Die weltweite Nachfrage nach Siemens-Produkten ist dagegen weiterhin hoch. Der Auftragseingang verbesserte sich um ein Drittel, der Umsatz stieg um 16 Prozent. Konzernchef Busch betonte aber ein extrem schwieriges Umfeld: Neben dem Ukraine-Krieg spürten die Münchner die Folgen der Corona-Pandemie und es gebe erhöhte Risiken bei elektronischen Bauteilen, Rohstoffen und der Logistik.