Der Weltkonzern Siemens geriet in diesen Tagen gehörig in Erklärungsnot. Wie kann es sein, dass ein russischer Partner des Anlagenbauers hochwertige Siemens-Turbinen auf die Krim bringt - ohne dass der deutsche Hersteller davon etwas mitbekommen haben will? Und was ist mit dem russischen Spezialbetrieb, der für das Einmessen und die Inbetriebnahme der Turbinen verantwortlich ist? Siemens ist Teilhaber an diesem Betrieb, will aber von dessen Krim-Plänen überrascht worden sein. Siemens sagt, die russischen Partner hätten getrickst und Verträge verletzt. Deswegen klagt der Konzern nun gegen einen Partnerbetrieb in Russland. Und droht dem anderen Rechtsmittel an, falls er auf der Krim tätig werden sollte.
Ein klassischer Befreiungsschlag
So etwas nennt man einen klassischen Befreiungsschlag. Denn wenn Siemens nachgewiesen werden könnte, dass der Konzern Embargo-Güter auf Umwegen auf die Krim geliefert hat, dann wäre das ein klarer Verstoß gegen die EU-Sanktionen. Zu besichtigen wäre dann ein Weltkonzern, der sich auf krumme Wege begibt - um des lieben Profits willen. Die Sorge, in Europa in einen politisch desaströsen und juristisch sehr kostspieligen Konflikt verwickelt zu werden, muss bei Siemens übermächtig geworden sein. Dann lieber das Wagnis eines in vielerlei Hinsicht zweifelhaften Gerichtsverfahrens in Russland: Seinen eigenen Partner auf einem Markt ohne Rechtssicherheit verklagt nur, wem das Wasser wirklich bis zum Hals steht.
Die handelspolitischen Untiefen rund um die Krim hat Siemens schon einmal umschiffen müssen. Wenige Tage nachdem Russland die ukrainische Halbinsel im Handstreich besetzt und seinem Staatsgebiet einverleibt hatte, flog Siemens-Chef Joe Kaeser nach Moskau zum gut gelaunten Treffen mit Präsident Wladimir Putin. Anschließend sprach Kaeser in einem Interview von "kurzfristigen Turbulenzen" - und meinte damit die diplomatisch harsche Reaktion des Westens auf Putins Neo-Imperialismus. Beobachter äußerten schon damals den Verdacht, Kaeser und anderen deutschen Industriekapitänen seien ihre Bonuszahlungen weitaus wichtiger als das Völkerrecht.
Vor drei Jahren also hatte Siemens schon erfahren müssen, dass gute Wirtschaftsbeziehungen mitnichten in politisch luftleerem Raum angesiedelt sind. Mittlerweile ist die Atmosphäre noch viel aufgeladener, und das bekommt nicht nur Siemens zu spüren. Deutschen Unternehmen und der Bundesrepublik insgesamt wird immer wieder ein perfides, doppeltes Spiel unterstellt: Politisch, das ist unbestritten, sind die EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland in erster Linie auf deutsches Betreiben verhängt und bis heute durchgehalten worden - gegen alle Widerstände. Doch wirtschaftlich, so der zentrale Vorwurf, hätten deutsche Unternehmen trotz - oder gar wegen - der Sanktionen weiterhin glänzende Geschäfte gemacht.
Geopolitisches Spiel ohne Schiedsrichter
Dieser Vorwurf ist vor allem in Warschau und in Kiew zu hören - was nicht weiter verwundert. Er wird aber immer häufiger auch in Brüssel laut - was Berlin als Alarmsignal werten sollte. Und seitdem die USA versuchen, den geplanten Bau einer russisch-deutschen Gas-Pipeline durch die Ostsee zu torpedieren, sind die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen endgültig ein Spielball der Geopolitik. Wobei dieses Spiel grundsätzlich nur in der Variante "Hardball" gespielt wird, also mit wenig Regeln und ohne Schiedsrichter.
In diesem Spiel ist es mehr als ein Randaspekt, dass die neue Pipeline, deren Bau zehn Milliarden Euro kosten soll, vor allem die Ukraine zum großen Verlierer machen würde. Das Land würde nämlich jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro Einnahmen für die Durchleitung russischen Gases verlieren. In dieser Gemengelage sind Siemens und im weiteren Sinne auch die Bundesregierung gut beraten, auf der Krim klar Schiff zu machen - besser noch: vor der Krim.
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