Sieben Jahre Haft für die Pressefreiheit
24. Juni 2014"Ich bin hierhin gekommen, um ihn mit nach Hause zu nehmen", ruft eine ältere Frau weinend und schlägt mit beiden Fäusten gegen die Wand. Sie trägt ein schwarzes Kopftuch, ein schwarzes Gewand und eine dicke Sonnenbrille. Ihr Sohn ist einer der Angeklagten im Prozess gegen die sogenannte "Marriott-Zelle". Ihre Hoffnung, dass er freigesprochen wird und sie nach Hause begleitet, hat der Richter zunichte gemacht: Sieben Jahre Gefängnis lautet sein Urteil.
"Urteil ohne Beweise"
Die "Marriott-Zelle": Das sind Reporter des katarischen Senders Al-Dschasira, die im vergangenen Dezember im Kairoer Luxus-Hotel "Marriott" festgenommen wurden, weil sie in Ägypten gedreht haben. Weitere angebliche Helfer, wie zum Beispiel die Person, die das Hotelzimmer gebucht hat, oder Producer, die zusammen mit den Journalisten gearbeitet haben, sind später verhaftet worden. Insgesamt 20 Personen sind in dem Prozess angeklagt. Nach Angaben von Al-Dschasira sind jedoch nur neun von ihnen offizielle Mitarbeiter des Senders.
Den Reportern wird vorgeworfen, falsche Informationen verbreitet und damit das Ansehen Ägyptens beschädigt zu haben - mit dem Ziel, die inzwischen verbotene Muslimbruderschaft zu unterstützen. Dafür sind sie nun, zum Teil in Abwesenheit, zu bis zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. International haben die Urteile für Entrüstung gesorgt. Angehörige der Angeklagten werfen dem Gericht vor, nicht einmal belegen zu können, wo die Berichte überhaupt erschienen sind. "Wie kann man jemanden für sieben Jahre in den Knast schicken, wenn es keine Beweise für seine Schuld gibt?" schreit eine Frau, die Adel Fahmi begleitet, den Bruder des ägyptisch-kanadischen Journalisten Mohamed Fahmi, der ebenfalls verurteilt wurde. Adel Fahmi unterbricht sie mit den Worten: "Das ist ein politischer Prozess. Die brauchen doch keine Beweise!"
Geplatzte Hoffnungen
Vor dem Urteilsspruch hatten die Angehörigen noch gehofft, dass der frisch gewählte Präsident Abdel Fattah al-Sisi ein Machtwort sprechen und durchsetzen würde, dass die Journalisten freikommen. Doch bisher schweigt der ägyptische Präsident.
Offiziell lehnt die ägyptische Regierung jegliche ausländische Kritik an ihrem juristischen System ab und betrachtet diese als Einmischung in innere Angelegenheiten. Die Medien in Ägypten halten sich lieber zurück, viele wohl auch aus Angst. Staatsnahe Journalisten kommentieren das Urteil nicht, und viele Medienmacher am Nil äußern die Ansicht, man solle Vertrauen in die Justiz haben.
Willkürliche Justiz
Der Prozess gegen die "Marriott-Zelle" ist nicht das erste Beispiel für die Willkür der ägyptischen Justiz. So haben bereits die Todesurteile von Minia für einen weltweiten Wirbel gesorgt. Trotzdem wurden sie in zwei Prozessen bestätigt, auch hier, ohne die Beweislage zu prüfen. Ein weiteres Beispiel ist das Urteil gegen den prominenten Menschenrechtler Alaa Abdelfattah.
Der Reporter Abdullah Al-Shami hatte immerhin Glück: Auch er hat für Al-Dschasira gearbeitet und deshalb fast ein Jahr lang im Gefängnis verbracht - ohne Anklage. Sein Fall wurde bekannt, als er im Januar in einen Hungerstreik trat. Später wurde er dann freigelassen. Das Verfahren gegen ihn wollte er kurz vor dem Prozess nicht kommentieren.
Er sei gekommen, um sich mit seinen Kollegen zu solidarisieren, sagte er den zahlreichen Reportern, die ihm Fragen stellen wollten. "Auch wenn ich mich freue, dass ich freigekommen bin, kann ich die Entscheidung nicht richtig nachvollziehen."
Besonders viel Verwunderung hat die Freilassung von Anas Al-Baltagi ausgelöst, Sohn eines führenden Funktionärs der Muslimbruderschaft, gegen den ein Richter vorige Woche ein Todesurteil ausgesprochen hatte. Anas Al-Baltagi zählte ebenso zu der islamistischen Vereinigung. "Das ist die Logik unserer Justiz", so ein ägyptischer Journalist, der anonym bleiben möchte, bei der Urteilsverkündung. "Wenn Al-Dschasira-Reporter ins Gefängnis müssen, weil sie angeblich die Muslimbruderschaft unterstützt haben, und Herr Al-Baltagi, der selbst dazu gehören soll, freigelassen wird, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Obwohl ich mich für jeden freue, der seine Freiheit genießen kann!"