UN-Missbrauchsvorwürfe: Sorge vor Straffreiheit
6. Januar 2016Zivilisten vor physischer Gewalt schützen und besonders Frauen und Kindern helfen, die der bewaffnete Konflikt in Not gebracht hat: Das steht an erster Stelle in dem Mandat der UN-Mission MINUSCA in der Zentralafrikanischen Republik, unter der Überschrift "Vorrangige Aufgaben".
Aber genau das ist wieder nicht passiert: Soldaten der Vereinten Nationen sollen in der Hauptstadt Bangui vier minderjährige Mädchen sexuell missbraucht haben. Welche Nationalität die mutmaßlichen Täter haben, ist noch nicht bekannt.
Böse Erinnerungen werden wach
Im April des vergangenen Jahres erst war an die Öffentlichkeit gelangt, dass unter anderem französische UN-Soldaten zwischen Dezember 2013 und 2014 mehrere Kinder zwischen neun und 15 Jahren in der Zentralafrikanischen Republik zum Sex gezwungen haben sollen - als "Gegenleistung" für Essen. Die Jungen und Mädchen hatten in einem UN-Flüchtlingslager Zuflucht gesucht, weil in ihrem Land ein blutiger Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Milizen tobt.
Es folgte ein internationaler Aufschrei und dann: wenig. In einem Bericht rügten unabhängige Experten erst vergangenen Monat die UN, nicht entschlossenen genug auf die Vorfälle reagiert zu haben. Zwar wurde der Chef der Mission, Babacar Gaye, gefeuert und in Frankreich stehen vier französische Blauhelmsoldaten vor Gericht. Zwar gibt es schon seit 2003 die sogenannte Null-Toleranz-Politik gegenüber sexueller Ausbeutung in UN-Friedensmissionen. Trotzdem kommt es weiterhin zu Übergriffen. "Wenn Anschuldigungen gemacht werden, dann werden sie nur von Schreibtisch zu Schreibtisch weitergereicht, niemand fühlt sich verantwortlich", sagt Paula Donovan von der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Aids Free World. Die Organisation befasst sich schon seit längerem mit dem Thema. "Man bemüht sich bloß, den Ruf der UN zu wahren, statt Gerechtigkeit für die Opfer herzustellen."
Viele Täter bleiben straffrei
Von Seiten der Vereinten Nationen heißt es im Fall der jüngsten Vorwürfe, dass Ermittlungen eingeleitet würden. "Wer das Vertrauen der Menschen missbraucht, die wir beschützen sollen, für den ist in einer Friedensmission kein Platz", lässt der Chef der Mission MINUSCA, Parfait Onanga-Anyanga, in einer Pressemitteilung verlauten. Er unterstütze die Null-Toleranz-Politik des Generalsekretärs voll und ganz.
"Die dringendste Maßnahme wäre, sicherzustellen, dass die Täter auch tatsächlich strafrechtlich verfolgt werden", sagt Stephen Cockburn von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Nicht nur die Vereinten Nationen müssen jetzt handeln, sondern auch die Staaten, die die Truppen stellen." Denn für die Strafverfolgung sind die Mitgliedsstaaten zuständig. Die vier angeklagten Blauhelme in Frankreich sind bislang jedoch eine große Ausnahme. "Wir sehen oft, dass die Soldaten, die für Missbrauch verantwortlich sind, abgezogen und in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Dort werden sie aber nie belangt", so Cockburn.
Die UN-Frauenorganisation forderte deshalb jüngst ein internationales Sondertribunal zur Verfolgung von Sexualverbrechen durch Soldaten und andere Mitarbeiter der Vereinten Nationen. In der Zentralafrikanischen Republik gibt es ebenfalls wenig Verständnis für die Regelung. "Wenn man sich in einem Land aufhält, muss man die dort geltenden Gesetze respektieren", echauffiert sich der zentralafrikanische Oberstaatsanwalt Ghislain Gresenguet im DW-Interview. Er sei über die Fälle gar nicht erst informiert worden. "Es werden hier Kinder vergewaltigt und die zentralafrikanische Justiz bleibt komplett außen vor! Wir haben Übereinkünfte mit der UN, dass wir zusammenarbeiten. Und dann erfahren wir von diesen Fällen aus dem Radio!"
Kein rein zentralafrikanisches Problem
Knapp 12.000 Blauhelmsoldaten gehören der Mission in der Zentralafrikanischen Republik an, sie stammen aus knapp 50 verschiedenen Ländern. Die UN müssten sicherstellen, dass die Truppen gut ausgebildet sind und einen Hintergrundcheck durchlaufen, ehe sie in eine Krisenregion geschickt werden, fordert Cockburn von Amnesty International. "Außerdem sollte es in jeder UN-Mission eine Instanz geben, die nur dafür zuständig ist, zu überwachen, ob es zu sexuellem Missbrauch kommt, diese Fälle zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten."
Das Problem betrifft nicht nur die Zentralafrikanische Republik. Die ersten Skandale gab es vor mehr als 20 Jahren in Kambodscha und im ehemaligen Jugoslawien. Auch dort nutzten die Männer die Notlage der Frauen und Kinder aus, um Lebensmittel, Kleidung oder Medikamente gegen Sex zu "tauschen". Weltweit sind derzeit mehr als 100.000 Blauhelmsoldaten im Einsatz. In einem internen UN-Bericht vom vergangenen Jahr heißt es, dass es zwischen 2008 und 2013 in 480 Fällen Vorwürfe der sexuellen Ausbeutung gegeben habe - die meisten davon richteten sich gegen die UN-Truppen in Liberia, Haiti, Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo.
Mitarbeit: Mark Caldwell, Eric Topona