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Der tägliche Spießrutenlauf der Ägypterinnen

Elisabeth Lehmann6. Juni 2014

Blicke, Pfiffe, anzügliche Sprüche und Berührungen von Männern gehören für Frauen in Kairo zum Alltag. Ein Gesetz definiert sexuelle Belästigung nun erstmals als Straftat. Doch das Problem liegt woanders.

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Ägypten Unruhen in Kairo Frauen
Fast jede Frau ist in Ägypten schon einmal sexuell belästigt wordenBild: picture-alliance/dpa

Ein Spaziergang durch Kairo ist für eine Frau anstrengend - das bekommt man auch als DW-Reporterin zu spüren. Nicht wegen der Massen an Autos, nicht wegen der Hitze, nicht wegen fehlender Fußwege. Nein, Grund sind die Männer. In einem Selbstversuch habe ich mich auf den Weg über eine der Nilbrücken in Kairo gemacht, ein Fußweg von etwa zehn Minuten. Bilanz: acht Liebesgeständnisse, viermal den Kosenamen "Pussy" verliehen bekommen, eine fremde Hand am Hintern.

Eine Studie der Vereinten Nationen aus dem vergangenen Jahr sagt, dass über 99 Prozent der Ägypterinnen schon einmal sexuelle Belästigung erlebt haben, angefangen von vermeintlich harmlosen Sprüchen bis zu Vergewaltigungen. Diese Zahl scheint auf den ersten Blick übertrieben. Doch aus der Perspektive einer Frau, die einmal allein in Kairo unterwegs war, ist das Ergebnis der UN-Studie kaum verwunderlich. Für viele ägyptische Männer scheint sexuelle Belästigung eine Art Volkssport zu sein.

Ägypten Unruhen in Kairo Frauen Spießrutenlauf auf dem Tahrir
Junge Frauen auf dem Tahrir-Platz in einem Bereich, der von Beschützern abgeschirmt wirdBild: picture-alliance/dpa

Die harmloseste Form sind die Blicke. Männer laufen vor Brückenpfeiler oder fahren Blumenkübel um, weil ihre Augen scheinbar an jedem weiblichen Körper kleben, der ihnen ins Sichtfeld kommt. Richtig unangenehm wird es, wenn man als Frau plötzlich fremde Hände am Körper spürt. Schnell schießen einem Gedanken durch den Kopf: Ist mein T-Shirt doch zu eng? Hätte ich Kopftuch tragen sollen? Ein ungezwungenes Miteinander ist kaum möglich. Das Thema "taharrusch", wie Belästigung im Arabischen heißt, ist allgegenwärtig.

Beschützer und Belästiger

Dabei teilt sich die Männerwelt in zwei Lager: die Belästiger und die Beschützer. Beide sind in ihrer Art übertrieben ausgeprägt und im ständigen Kampf gegeneinander. Ein Beispiel: eine Wahlkampfveranstaltung in der ägyptischen Provinz. Die Wahlkampfhelfer hatten sich schnell zu meinen Beschützern erklärt. Bei Kundgebungen etwa bildeten sie einen großen Kreis um mich herum, schirmten mich ab vom Gegner, dem Belästiger.

Wie wichtig das ist, zeigt auch der Fall Hania Mobeeb. Bei einer Demonstration gegen den islamistischen Präsidenten Mohammad Mursi wurde sie auf dem Tahrir-Platz von zehn Männern angegriffen. Erst nach einer halben Stunde ließen sie von ihr ab. Einzelheiten erzählt sie nicht, doch sie wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die meisten Frauen, denen so etwas passiert, haben bisher geschwiegen.

"Männer machen so etwas nun einmal"

Es schien lange gesellschaftlicher Konsens, dass Männer so etwas nun einmal machen. Erklärungsversuche wie "Die Jungs haben keinen Job, sie sind frustriert, sie langweilen sich", hört man relativ häufig. Hania Moheeb wollte das nicht hinnehmen. "Ich habe nach diesem Vorfall alles getan, um mein Recht zu bekommen", sagt die Journalistin. Sie ist an die Öffentlichkeit gegangen - und zwar gemeinsam mit ihrem Mann. Ein Beschützer, der seine Stimme öffentlich erhebt. In Ägypten ist das eine Revolution.

Gemeinsam mit "Beschützern" haben weitere ägyptische Aktivistinnen den Belästigern den Kampf angesagt. Männer bieten Frauen kostenlose Selbstverteidigungskurse an, Internetseiten wie "Shuft taharrusch" ("Ich habe Belästigung gesehen") sollen Opfern helfen, zu ihrem Recht zu kommen.

Ägypten Frauen in Kairo Frauen lernen Selbstverteidigung
Männer bieten Frauen kostenlose Selbstverteidigungskurse anBild: picture-alliance/dpa

Als eine seiner letzten Amtshandlungen hat Übergangspräsident Adli Mansur nun sogar ein Gesetz angenommen, das sexuelle Belästigung erstmals als Straftat definiert. Sechs Monate bis fünf Jahre Haft drohen dem Täter. Dazu umgerechnet bis zu 500 Euro Geldstrafe. Die Initiative dazu kam unter anderem aus dem Tourismusministerium. Denn der Umgang mit Frauen in der ägyptischen Gesellschaft wirkt sich mittlerweile negativ auf das Image des Landes in der Welt aus.

Frauenrechtler und Juristen begrüßen das neue Gesetz prinzipiell. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint die Frauenrechtsanwältin Entissar Al Said. Ein großes Problem allerdings bleibt: Die Beweislast liegt nach wie vor beim Opfer. Wer belästigt wird, muss den Täter quasi festhalten, ihn zur Polizei bringen und muss Zeugen finden, die den Vorfall bestätigen. "Aber genau da wird es schwierig", meint Al Said: "Du findest in unserer Gesellschaft eine Million Menschen, die dir raten, den Mann nicht anzuzeigen, weil du damit seine Zukunft zerstörst."

Wie es um die Zukunft der Opfer bestellt ist, diese Frage scheint in den Köpfen vieler Ägypter bisher nicht aufzukommen. Hania Moheeb traut sich heute wieder auf die Straße, auch allein. Aber sie gibt zu: "Am Anfang hatte ich schon eine Art Paranoia." Das neue Gesetz weckt Hoffnungen, dass die ägyptische Gesellschaft auf dem Weg ist, einen normalen Umgang zwischen den Geschlechtern zu finden. Geht man nur zehn Minuten durch Kairo spazieren, holt einen die Realität bisher aber schnell wieder ein.