Gewalt gegen Frauen
6. Juli 2013Die Gewalt in Ägypten eskaliert - landesweit werden 30 Menschen getötet, mehr als 1070 tragen Wunden davon, so das ägyptische Gesundheitsministerium. Anhänger und Gegner des geschassten Präsidenten Mursi liefern sich die Schlacht um die Zukunft des Landes - der Großteil von ihnen Männer.
"Je mehr wir patrouillieren und je mehr wir uns für Frauenrechte einsetzen umso mehr schlagen die Gewalttäter und Vergewaltiger zurück," erklärt Nihal Saad Zaghloul den Grund, warum sie heute nicht unter den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz ist. "Es ist zu gefährlich."
Die 27-jährige Ägypterin will sich nicht schon wieder der Gefahr aussetzen, die von vielen längst "die dunkle Seite der ägyptischen Revolution" genannt wird. Während einer Demonstration in Kairo wurde sie 2012 Opfer eines gewaltsamen Übergriffs. Ein traumatisches Erlebnis - das den Kampfgeist in ihr weckte. Nihal Saad Zaghloul ist eigentlich IT-Programmiererin. Nach dem Überfall gründete sie Bassma, auf Deutsch: Abdruck. Eine Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat darüber aufzuklären, dass sexuelle Übergriffe in Ägypten an der Tagesordnung sind und ein Ende haben müssen.
Massenvergewaltigungen in der Menge
Menschenrechtsgruppen schlagen Alarm: Immer öfter werden Frauen während der Proteste in Ägypten Opfer von Gewaltakten, die bis zu Vergewaltigungen ausufern. Oft sind sie Opfer von mehreren Tätern - manchmal sind sie von bis zu 100 Männern umzingelt. Die Übergriffe dauern von wenigen Minuten bis zu mehreren Stunden. Laut Human Rights Watch sind alleine diese Woche während der turbulenten Proteste, die zum Sturz des Präsidenten Mursi führten, an vier Tagen 91 Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen geworden. Und das sind nur die offiziell registrierten Fälle.
In einem Aufklärungsvideo von Human Rights Watch beschreibt Hania Moheeb, wie vor einigen Monaten die friedlichen Proteste auf dem Tahrir-Platz für sie zum Alptraum wurden: "Plötzlich war ich umringt von einer Gruppe, die mich am ganzen Körper begrapschte. Sie berührten jeden Zentimeter meines Körpers, sie verletzten jeden Zentimeter. Ich war so traumatisiert, dass ich nur schreien konnte.“
Wie Hania Moheeb erging es seit Beginn der Proteste hunderten Frauen - Ägypterinnen, aber auch Ausländerinnen. Der Fall der südafrikanischen CBS-Reporterin Lara Logan sorgte Anfang 2011 dafür, dass das Thema zum ersten Mal weltweite Aufmerksamkeit erregte. Logan wurde Opfer einer brutalen Massenvergewaltigung, als sie vom Tahrir-Platz über die Demonstrationen berichtete.
Täter werden nicht verfolgt
Seit November 2011 ist die Polizei auf dem Tahrir-Platz während größerer Proteste nicht mehr anwesend, sie will Auseinandersetzungen mit Demonstranten aus dem Weg gehen. Für Demonstrantinnen gibt es deshalb von offizieller Seite keinen Schutz mehr. Männer, die Frauen vergewaltigen, so Human Rights Watch, wissen, dass ihnen nichts geschieht.
In diesem rechtsfreien Raum versuchen freiwillige Patrouillengruppen auf die weiblichen Demonstrantinnen aufzupassen. Doch Tahrir Bodyguard und OpAntiSH, Operation Anti-Sexual Harrassment/Assault, die beiden größten, blieben am Freitagabend (05.07.2013) den Protesten fern - um ihre Freiwilligen nicht in Gefahr zu bringen, wie sie auf Twitter meldeten. Denn oft genug werden die Freiwilligen selbst verletzt - beim Versuch, die Täter aufzuhalten oder wenigstens die Frauen in Sicherheit zu bringen.
"Natürlich ist das extrem frustrierend und deprimierend," erzählt Nihal Saad Zaghloul im Deutsche Welle-Interview. Von ihrer Gruppe Bassma unterstützen viele Aktivisten auch die beiden Patrouillengruppen Tahrir Bodyguard und OpAntiSH. "Aber wir bekommen viel Feedback, dass es gut und wichtig ist, was wir tun. Das ist für uns eine Motivation weiterzumachen."
Gewalt gegen Frauen kein Thema
Zu dem Problem gehöre, sagt Nihal Saad Zaghloul, dass in der ägyptischen Gesellschaft unter Mubarak viel zu lange Unterdrückung vorgeherrscht habe. "Wenn Männer unterdrückt werden, geben sie diese Unterdrückung an in ihren Augen Schwächere weiter - also Frauen." Ein Teufelskreis, der sich tief in die ägyptische Gesellschaft eingebrannt hat. Und der auch unter Mursi kein Ende nahm, wie Äußerungen wie die des Generals Adel Afifi beweisen. Afifi war für die Muslimbrüder Mitglied des Shura-Rats, bis vor kurzem Bestandteil des ägyptischen Parlaments, und sagte im Februar 2012 Bezug nehmend auf die Proteste: "Frauen tragen zu 100 Prozent zur Vergewaltigung bei, wenn sie sich in solche Umstände begeben."
Es sei aber unfair, Mursi und Islamisten alleine die Schuld an der Gewalt gegen Frauen zu geben, betont die junge Frauenrechtlerin. "Er hat viele Fehler gemacht, und er hat sich nicht für Frauenrechte eingesetzt, aber das haben die Regimes vor ihm auch nicht getan."
Gerüchte, die Muslimbrüder hätten unter Mursi Schlägertrupps bezahlt, um Frauen durch Vergewaltigungen und Prügel gezielt von den Demonstrationen und von der Beteiligung am politischen Leben fernzuhalten, will sie deshalb nicht kommentieren. "Es gibt keine Beweise. Ich kann niemanden beschuldigen, wenn es keine Beweise gibt."
Männer müssen mitmachen
Statt auf Schuldzuweisungen setzt Nihal Saad Zaghloul mit ihrer Gruppe Bassma lieber auf Aufklärungskampagnen. Bassma bereitet gerade eine großangelegte Aktion vor, mit Plakaten, die in Bussen, Schulen und Kindergärten über Frauenrechte informieren sollen. "Immer mehr Frauen reden über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt, und unsere Bewegung wächst weiter. Immer mehr Menschen lehnen Gewalt gegen Frauen ab, und auch die Medien berichten zum ersten Mal darüber," so die Aktivistin.
Bei ihrer Gruppe Bassma setzt Nihal Saad Zaghloul deshalb auf männliche Aktivisten. Zum großen Teil besteht Bassma aus Männern. "Man muss Männer aktiv mit einbeziehen und sagen, dass Feminismus oder die Verteidigung von Frauenrechten nicht mehr das exklusive Recht von Frauen ist," erklärt die junge Aktivistin. "Dann machen sie auch mit. Denn sie haben ja selbst Mütter, Schwestern, und so verstehen sie, dass Frauen auch Menschen sind."
Nihal Saad Zaghloul glaubt, dass in Ägypten am Rande der Demonstrationen ein wichtiger Lernprozess im Gange sei - bei Frauen, aber vor allem auch bei Männern selbst, aber: "Natürlich dauert das sehr lange. Veränderung braucht eben Zeit."