Inspiration auch jenseits des Tennisplatzes
3. September 2022Serena Williams hat wohl ein letztes Mal den Tenniscourt als Profispielerin verlassen: Die 40-jährige Amerikanerin lieferte noch einmal eine große Show und kämpfte um jeden Ball - doch es reichte nicht zu einem weiteren umjubelten Sieg, womit sie das Achtelfinale der US Open verpasste. Williams unterlag der Weltranglisten-46. Ajla Tomljanovic im New Yorker Arthur-Ashe-Stadion in drei Sätzen (5:7, 7:6, 1:6).
Gegen die Australierin spielte die bisherige Hauptdarstellerin des Turniers lange einen starken ersten Satz, gab aber eine 5:3-Führung her. Im zweiten Satz führte sie bereits 4:0, musste dann aber doch in den Tiebreak - in dem sie starke Nerven bewies. Im dritten Satz zog Tomljanovic schnell davon. Doch Williams kämpfte im Stile eines Champions und wehrte fünf Matchbälle ab, bevor Tomljanovic nach 3 Stunden und 5 Minuten jubeln durfte.
Sportikone und Geschäftsfrau
Serena Williams hat in ihrer langen und erfolgreichen Karriere 23 Grand-Slam-Titel im Einzel gewonnen, dazu vier olympische Goldmedaillen, 14 Slams im Damen-Doppel, sie hat fast 100 Millionen Dollar an Preisgeld kassiert und auf der WTA-Tour über 850 Siege gefeiert. Neben dem Court war und ist sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau.
Vor allem aber war sie die erste afroamerikanische Frau, die ein Grand-Slam-Turnier in der Open Era gewann. Sie veränderte den Blick der schwarzen Community auf Tennis. Und sie wurde zu einer Ikone und zwang die Menschen, ihre Sichtweise auf Frauen im Sport, insbesondere auf schwarze Frauen, zu ändern.
Die Stärke der Unterstützung
Sie tat das durch ihre Erfolge und ihr Auftreten auf dem Platz, aber auch indem sie öffentlich das Wort ergriff und sich zu gesellschaftlichen und politischen Themen äußerte. Als 2016 Philando Castile und Alton Sterling in den USA ermordet wurden, postete sie eine Nachricht auf Facebook, in der sie erklärte, dass sie zu Gewalt gegen Schwarze fortan nicht schweigen werde. Im selben Jahr eröffneten Serena und ihre ältere Schwester Venus ein Gemeindezentrum in Compton, dem Stadtteil von Los Angeles, in dem sie aufwuchsen, um von Gewalt betroffenen Einwohnern eine Therapie anzubieten.
Zwei Jahre später lobte sie Colin Kaepernick für seinen Einsatz für die afroamerikanische Gemeinschaft. Als Sportartikelhersteller Nike den ehemaligen NFL-Quarterback als Markenbotschafter unter Vertrag nahm, sagte Williams, sie sei "besonders stolz darauf, heute ein Teil der Nike-Familie zu sein".
In diesem Jahr schrieb Williams einen Essay für die Zeitschrift "Elle", in dem sie enthüllte, dass sie bei der Geburt ihres Kindes fast gestorben wäre: "In den USA ist die Wahrscheinlichkeit, dass schwarze Frauen während oder nach der Geburt sterben, fast dreimal so hoch wie bei ihren weißen Geschlechtsgenossinnen", schrieb sie. "Viele dieser Todesfälle werden von Experten als vermeidbar angesehen. Mir zuzuhören und angemessen behandelt zu werden, war für mich der Unterschied zwischen Leben und Tod. Ich weiß, dass die Statistiken anders aussehen würden, wenn das medizinische Establishment auf die Erfahrungen aller schwarzen Frauen hören würde."
Tennis-Trauma
Und auch die Tenniswelt stellte Serenas Entschlossenheit auf die Probe: Im Finale von Indian Wells wurde Williams 2001 in einer feindseligen Atmosphäre ständig ausgebuht. In seiner Autobiografie schreibt Williams' Vater Richard, die rassistischen Beleidigungen gegen ihn und seine Töchter seien nur so "durch das Stadion geflogen". Serena boykottierte Indian Wells danach für die nächsten 13 Jahre.
Bei den US Open 2004 verlor Williams im Viertelfinale gegen Jennifer Capriati nach einer umstrittenen Linienentscheidung. Dieses Match war ausschlaggebend für die Einführung der Hawk-Eye-Technologie im Tennis, ein Computer-System, mit dem die Flugbahn des Balls verfolgt und der genaue Treffpunkt bestimmt werden kann. Bei Williams hinterließ die offensichtliche Benachteiligung gegen Capriati ein Trauma.
"Meine Bälle wurden immer wieder aus gegeben, obwohl sie nicht einmal in der Nähe der Linie waren", sagte Williams kürzlich in einem Podcast mit Meghan Markle. "In diesem Match habe ich richtig Angst davor bekommen, überhaupt zu schlagen, denn jedes Mal, wenn ich den Ball schlug, gaben sie ihn aus, egal wie nah oder weit er von der Linie weg war."
Nachdem sie während des Endspiels der US Open 2018 gegen Naomi Osaka mit dem Schiedsrichter, von dem sie sich benachteiligt fühlte, in Streit geraten war und daraufhin die Fassung verloren hatte, stellte eine australische Zeitung Williams in einer Karikatur dar, die ihre körperlichen Merkmale übertrieb. Die National Association of Black Journalists in den USA prangerte dies als "auf vielen Ebenen widerwärtig" an.
Doppelmoral
Verändern wollte sich Williams trotz aller Kritik aber nie. "Ich kann nicht gewinnen, wenn ich jemand anderes bin, ich muss gewinnen, wenn ich Serena bin, und das bedeutet manchmal, dass ich grimmiger sein muss", sagte sie im Markle-Podcast. "Aber ist es kämpferisch, wenn die Männer sagen: 'Komm schon' oder ihre Fäuste schwingen? Für mich ist es aggressiv."
Obwohl Serena Williams eine außergewöhnliche Karriere hatte und sehr viel erreicht hat, geht sie nun in Tennis-Rente, ohne sich einen ganz großen Traum erfüllt zu haben: Sie hätte nur zu gerne auch den 24. Grand-Slam-Titel noch gewonnen und damit den Allzeit-Rekord von Margaret Court eingestellt, doch vier verlorene Finals in den Jahren 2018 und 2019 machten diese Hoffnung zunichte.
Ohnehin ging es Williams am Ende ihrer Laufbahn nicht darum, um jeden Preis zu gewinnen. "Ich kann es kaum erwarten, eines Tages aufzuwachen und mir buchstäblich keine Sorgen mehr darüber machen zu müssen, auf so hohem Niveau zu spielen und zu konkurrieren", sagte sie vor den US Open. "Das habe ich noch nie gefühlt."
Williams mag zwar ihr letztes Match und der Tennissport eine der größten Spielerinnen verloren haben, aber viele, die Serena Williams je zugeschaut oder ihr zugehört haben, haben gewonnen.
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.