Serbischer Spagat zwischen Moskau und Brüssel
7. August 2014Für Belgrad ist die Krim weiterhin ukrainisches Gebiet - ohne deren Angliederung an Russland auch nur mit einem einzigen Wort oder einer Geste zu verurteilen. Die EU-Mitgliedschaft wird von Belgrad als wichtigstes Ziel dargestellt - doch Serbien verfolgt im Fall Russlands eine andere außenpolitische Linie als Brüssel. Für die serbische Regierung scheinen diese Gegensätze nicht unvereinbar zu sein: "Wir respektieren die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine, inklusive der Krim", erklärte der serbische Premier Aleksandar Vučić. "Wir haben aber keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Dafür gibt es zahlreiche politische, ökonomische und historische Gründe", so Vučić in einem Interview mit dem Sender CNN.
Druck aus Russland
Ein EU-Beitrittskandidat ist offiziell nicht verpflichtet, die Brüsseler Sanktionspolitik mitzutragen. Diesen Spielraum nutzt Belgrad, um die eigenen Wähler nicht zu enttäuschen. Denn viele von ihnen betrachten traditionellerweise die Russen als "orthodoxe Brüder". Gleichzeitig wolle man von wirtschaftlichen Nachteilen durch eine mögliche Rache Moskaus verschont bleiben: Der serbische Politologe Predrag Simić erklärt, "der Winter in Serbien könnte extrem kalt sein". Er bezieht sich auf die Abhängigkeit seines Landes von russischem Erdgas, das zurzeit rund 80 Prozent des serbischen Bedarfs deckt.
Der russische Spitzenpolitiker Konstantin Kosachev hatte bereits in einem Interview mit der regierungsnahen Belgrader Zeitung "Politika" gewarnt, Serbien würde seine nationale Identität und seine wirtschaftlichen Interessen aufgeben, falls es sich den europäischen Sanktionen gegen Russland anschließen würde. Wenn Belgrad aber weiterhin zu Russland stehe, könnten die Serben mit der Fertigstellung der Gas-Pipeline"South Stream", mit mehr Landwirtschaftexporten und mit russischen Direktinvestitionen in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar rechnen, so Kosachev.
Die großzügigen Versprechen könnten aber auch als latente Drohungen verstanden werden. Denn weder Moskau noch Brüssel und Washington seien mit "der neutralen Politik" des Balkanlandes zufrieden, meint Aleksandra Joksimović, Direktorin des Belgrader Zentrums für Außenpolitik. "Beide Seiten erwarten die Unterstützung Serbiens", sagt sie im DW-Gespräch. "Doch der politische Schaden ist geringer, wenn Serbien neutral bleibt, als wenn es sich in der Ukraine-Krise eindeutig auf eine Seite stellt."
"Moralisches Recht, Sanktionen abzulehnen"
Die serbische Haltung im Ukraine-Konflikt hängt auch mit der Kosovo-Problematik zusammen. Die frühere serbische Südprovinz erklärte vor sechs Jahren einseitig ihre Unabhängigkeit und wird heute von den meisten Staaten als souveräne Republik anerkannt - nicht aber von Serbien selbst. Die UNO-Vetomacht Russland hat die Unabhängigkeit des Kosovo von Anfang an abgelehnt und gilt damit als Hüterin der serbischen Interessen. Was die Politiker in Belgrad aber kaum erwähnen: Die Separatisten und sogar der russische Präsident Putin haben sich bei der Abspaltung der Halbinsel Krim von der Ukraine ausgerechnet auf die Ablösung des Kosovo von Serbien als Präzedenzfall berufen.
"Die westlichen Länder, die in der Ukraine-Krise auf dem Völkerrecht beharren, haben als erste die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt und damit die serbische Souveränität verletzt", meint Ljiljana Smajlović, Chefredakteurin der Zeitung "Politika". Serbien habe daher auch "das moralische Recht", die EU-Sanktionen gegen Moskau abzulehnen. "Die EU-Länder haben auch nicht immer eine einheitliche Außenpolitik. Von daher sehe ich keinen Grund, warum Serbien einfach dem Brüsseler Kurs folgen sollte, wenn es um die Ukraine geht", so Smajlović.
"Balancierte Politik" oder verfehlter Kurs?
In serbischen Medien wird darüber spekuliert, dass die EU im Zuge der laufenden Beitrittsverhandlungen Druck auf Serbien ausüben könnte, um dem serbischen Spagat zwischen Ost und West ein Ende zu setzen. Jelena Milić, Leiterin des Belgrader Zentrums für Euroatlantische Studien, befürchtet, dass Serbien wieder die Chance verpasst, europäischer zu werden. "Zur Außenpolitik gehört mehr als bloß wirtschaftliche Interessen: nämlich auch eine gewisse Einordnung in eine Gruppe von Staaten, die die gleichen Werte teilen", so Milić gegenüber der DW. Das Fehlen einer klaren Haltung zu Russland in der Ukraine-Krise könne Serbien auf die "falsche Seite der Geschichte" bringen.
Doch die Belgrader Regierung glaubt, dass mit "balancierter Politik" Geschichte geschrieben wird. Im nächsten Jahr übernimmt Serbien die rotierende OSZE-Präsidentschaft. In Belgrad setzt man darauf, eine feierliche Konferenz zum 40. Jahrestag der Helsinki-Schlussakte, die die Grundprinzipien der OSZE enthält, organisieren zu dürfen. Vielleicht, so die Hoffnung der Regierenden, kommen dann Vladimir Putin und Barack Obama zusammen, um ihre Unstimmigkeiten im neutralen Serbien beizulegen.