Serbien provoziert Kosovo mit Impfkampagne
27. Januar 2021Es ist ein kalter, trüber Tag, nicht viele Menschen sind auf den Straßen unterwegs. Dennoch ist es besser, mit dem Taxi zu fahren. Neugierige Journalisten mögen sie hier im Norden Kosovos nicht, besonders keine albanischen. Wer als Pressevertreter zu Fuß herumläuft und erkannt wird, kann schon mal von gefährlich aussehenden Typen in schwarzen Limousinen verfolgt und unfreundlich angesprochen werden.
Unterwegs in Mitrovica, im Nordteil der Stadt am Fluss Ibar. Hier wohnen fast ausschließlich Serben, wie im gesamten Norden Kosovos. Seit Wochen machen Gerüchte die Runde: Angeblich soll hier eine große, von der Regierung des benachbarten Serbien finanzierte und koordinierte Impfkampagne gegen das Corona-Virus stattfinden - anders als im mehrheitlich von Albanern bewohntem Rest des Landes. Was hat es damit auf sich?
Die Fahrt zum Kreiskrankenhaus am Westrand von Mitrovica führt vorbei an Plattenbauten, die der graue Himmel noch trister macht, als sie ohnehin sind. Am Gebäude des Krankenhauses hängt eine serbische Fahne, den Eingang bewacht ein schwarz gekleideter, mürrischer Security-Mann. Auf die Frage, mit wem man wegen der Gerüchte über die Impfkampagne sprechen könne, knurrt er grimmig: "Hier gibt niemand Auskunft!" Zur Verstärkung ruft er einen Kollegen herbei. Auch eine Frau in weißem Kittel kommt aus dem Gebäude. "Ihr habt hier nichts zu suchen", ruft sie den Reportern mit schriller Stimme zu, "verschwindet von hier!"
Neuer Streit zwischen Belgrad und Prishtina
Kosovo in der Corona-Krise: Alle europäischen Länder bemühen sich derzeit, so schnell wie möglich Impfstoff zu bekommen. Für Kosovo wird das wohl erst im Februar der Fall sein - für diesen Monat kündigt jedenfalls das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Prishtina den Impfbeginn an.
Anders im serbisch dominierten Norden, wo die kosovarischen Behörden nur wenig Einfluss haben: Ende Dezember vergangenen Jahres verkündete Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić auf einem Militärflughafen nahe der serbischen Hauptstadt Belgrad, dass im Norden Kosovos eine umfassende Impfkampagne beginnen werde, zunächst für über 75-Jährige, danach auch für alle anderen. Offiziell informiert darüber wurde die kosovarische Regierung bis heute nicht.
Vučićs Ankündigung sorgte in Kosovo für große Aufregung. Immerhin griff der serbische Staatspräsident damit direkt in die Souveränität eines unabhängigen und von den meisten europäischen Staaten anerkannten Landes ein - und das in einer Situation, in der das Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo ohnehin auf einem Tiefpunkt ist, und der von der Europäischen Union moderierte Dialog zwischen den beiden Staatsführungen seit langem auf Eis liegt.
Medizinisch gefährlich und illegal
Doch Vučićs Ankündigung war nicht nur eine politische Provokation. Sollte sie stimmen, wäre sie auch medizinisch gefährlich - denn es ist unklar, von welchem Impfstoff Serbiens Staatspräsident sprach, als er die Impfkampagne für den Norden Kosovos ankündigte. Ebenso ist unklar, wo und unter welchen Bedingungen geimpft wurde und wird - falls das überhaupt schon geschah. Sollte geimpft worden sein, würde Serbien nicht nur gegen kosovarische Einfuhrbestimmungen verstoßen. Ohne Informationen über Herkunft, Wirkungsweise, Nebenwirkungen und Langzeitfolgen des Impfstoffes an die Behörden des Landes wäre die ganze Impfung ungesetzlich.
Kosovos Premierminister Avdullah Hoti hat die serbische Impfkampagne bereits als illegal bezeichnet, und Gesundheitsminister Armend Zemaj kündigte eine Untersuchung an. Doch auch daraufhin habe man keine offiziellen Informationen aus Belgrad erhalten, sagt Zemaj der DW. "Ich habe die pharmazeutische Aufsichtsbehörde und die Gesundheitsinspektion in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft beauftragt zu ermitteln", so der Minister. Er spricht von einer "Politisierung der Impfkampagne" durch Serbien. Damit würden der serbischen Minderheit im Kosovo Aktionen zum Schutz ihrer Gesundheit vorgegaukelt, die den Menschen möglicherweise schaden könnten.
Zwei Gesundheitssysteme
Dabei ist die kosovarische Gesellschaft bei der Gesundheitsversorgung ohnehin schon gespalten. Im Norden des Landes existiert de facto ein paralleles Gesundheitssystem, die dortigen Krankenhäuser und Gesundheitszentren rechnen über serbische Krankenkassen ab. Wie die Menschen medizinisch versorgt werden, kontrolliert also ein fremder Staat.
Dass diese Spaltung der Gesundheitsversorgung auch politische Sprengkraft hat, zeigt sich aktuell: Am Montag (25.1.2021) demonstrierten hunderte Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern in Mitrovica vor dem Gebäude der kosovarischen Staatsanwaltschaft gegen ihre "inhumane Behandlung" durch kosovarische Behörden. Auslöser des Protests waren jene Ermittlungen, die die kosovarische Regierung wegen der von Serbiens Staatspräsident Vučić verkündeten Impfkampagne angeordnet hatte. Angeblich, so stellen es die Protestierenden dar, habe es willkürliche Befragungen und Verhöre gegeben.
Niemand kennt Geimpfte
Unterdessen bleibt völlig unklar, ob nun im Norden Kosovos tatsächlich eine großflächige Impfkampagne stattfindet oder alles nur Propaganda ist. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man vor Ort Menschen befragt.
Eine von ihnen ist die Kindergärtnerin Jelena Vučinić. Sie sitzt in einem Café an der Hauptstraße im Zentrum von Mitrovica. "Persönlich habe ich noch nichts von dieser Impfkampagne mitbekommen", sagt die 42-Jährige. "Weder ich noch jemand aus meiner Familie wurden geimpft, auch meine Freunde und Bekannte nicht. Ich habe nur in lokalen Medien darüber gelesen, dass die Impfungen begonnen haben." So oder ähnlich erzählen es auch andere. Persönlich kennt niemand der Befragten Geimpfte.
Anfragen der DW an die serbische Regierung und das Gesundheitsministerium in Belgrad bleiben unbeantwortet. Fest steht nur eines: Der ungelöste Konflikt zwischen Kosovo und Serbien führt in der Zeit der Corona-Pandemie in der Bevölkerung Kosovos zu einer weiteren Vergrößerung der Kluft zwischen beide Ethnien.