Separatisten mit Moskauer Anschrift
30. Juli 2014Nein, Alexander Borodaj sei nicht geflüchtet. Der "Ministerpräsident" der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" sei geschäftlich in Moskau und werde "schon bald zurückkehren", sagte am Dienstag (29.07.2014) ein Vertreter der prorussischen Separatisten in der Ostukraine der russischen Nachrichtenagentur "Interfax". Seit Mitte Juli kennt die ganze Welt den bärtigen Mann. Es war Borodaj, der nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine über den Zugang zum Unglücksort und den Abtransport der Leichen verhandelte.
Männer aus Moskau
Eigentlich ist Borodaj in Moskau zuhause. Dort arbeitete der 42-Jährige als politischer Berater, bevor er Mitte Mai "Regierungschef" der "Volksrepublik Donezk" wurde. Borodaj gilt als enger Vertrauter eines anderen Russen, der sich Strelkow nennt, aber in Wirklichkeit Igor Girkin heißt. Auch er hat eine Moskauer Anschrift. Der 43-Jährige hat sich zum "Verteidigungsminister" der "Volksrepublik Donezk" ernannt. In Interviews gab er an, ehemaliger Mitarbeiter des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) zu sein.
Vielleicht reiste Borodaj nach Moskau, um nicht abgehört zu werden. Der ukrainische Geheimdienst SBU hatte vor kurzem einen Mitschnitt eines angeblichen Telefonats zwischen Borodaj und dem Moskauer Politik-Experten Alexej Tschesnakow über die Lage der Separatisten veröffentlicht. Darin malt Borodaj ein schwarzes Bild: "Die Aussichten sind schlecht." Tschesnakow, der früher für den Kreml gearbeitet hatte, dementierte das Gespräch, Borodaj bisher nicht.
Russen auf Schlüsselpositionen
Borodaj und Girkin sind nicht die einzigen Russen, die an der Spitze der Separatisten in der Ostukraine stehen. Anfang Juli wurde Marat Baschirow neuer "Ministerpräsident" der "Volksrepublik Luhansk". Der 50-jährige ehemalige Top-Manager und Lobbyist aus Moskau gilt als Fachmann für die "strategische Kommunikation mit den Staatsorganen".
Formell werden beide "Volksrepubliken" jedoch von Ukrainern geführt: Valeri Bolotow in Luhansk und Pawel Gubarew in Donezk. Beide treten aber immer seltener in der Öffentlichkeit auf. Einer der ursprünglichen Anführer der Separatisten in Donezk, der "Parlamentsvorsitzende" Denis Puschilin, hat sich inzwischen nach Russland abgesetzt.
Auch unter Kämpfern viele Russen
Über die vielen bewaffneten Kämpfer gibt es dagegen weniger Informationen. Laut Olexij Melnyk vom Kiewer Rasumkow-Forschungszentrum sind in der Ostukraine mehrere Gruppierungen aktiv. "Aber das Wichtigste ist, dass die entscheidenden Leute, die das ganze Chaos angerichtet haben, offensichtlich Mitglieder russischer Geheimdienste sind", sagte der Experte im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Bei der ukrainischen Armee geht man von bis zu 2000 russischen Geheimdienstlern aus, die als Saboteure im Land unterwegs sind. Sie würden führende Positionen übernehmen und unter der Bevölkerung Kämpfer anwerben. Etwa 5000 Mann hätten sich ihnen angeschlossen. Deren Ziel sei ein eigener "Staat Donbass" oder der Anschluss des ostukrainischen Industriereviers an Russland, sagte der DW der Sprecher der ukrainischen Armee, Olexij Dmytraschkowski.
Das Bataillon "Wostok"
Als die am besten ausgebildete prorussische bewaffnete Einheit gilt das Bataillon "Wostok" (Osten). Angeführt wird es von Alexander Chodakowski, dem ehemaligen Chef der ukrainischen staatlichen Spezialkräfte "Alpha" in Donezk. Unter seinem Kommando stehen etwa 1000 Kämpfer. In Interviews erklärte Chodakowski, in den Reihen des Bataillons hätten sich zeitweise auch Freiwillige aus Tschetschenien befunden.
Bis heute ist Chodakowski der einzige Separatistenführer, der indirekt den Abschuss des Passagierflugzeugs über der Ostukraine zugegeben hat. In einem Reuters-Interview sagte er, die Separatisten seien im Besitz des Flugabwehrsystems BUK (Buche) gewesen. Später dementiert er jedoch seine Äußerung.
Die Strelkow-Truppe
Die vermutlich größte bewaffnete Einheit unter den Separatisten ist die Gruppierung um Igor Girkin (Strelkow). Nach der Rückeroberung der Kleinstadt Slowjansk durch die ukrainische Armee verlegte Girkin Anfang Juli sein Hauptquartier in die Millionenmetropole Donezk.
Die Angaben über die Anzahl seiner Kämpfer schwanken - verschiedene Quellen gehen von 1000 bis 4000 Mann aus. Ein Beobachter vor Ort, der aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben möchte, sagte der DW, die meisten seien erfahrene Söldner aus Russland, von der Krim und aus Transnistrien. Girkins Kämpfer würden über Panzer und Granatwerfer verfügen. Die Waffen sollen aus Russland stammen.
Die Russische Orthodoxe Armee
Dann gibt es noch die "Russische Orthodoxe Armee". Sie wird mit dem selbsternannten "Donbass-Gouverneur" Gubarew in Verbindung gebracht. Russischen Journalisten zufolge gehören ihr 4000 Mann an. Ein Beobachter vor Ort, der ebenfalls ungenannt bleiben möchte, sagte der DW, aus den Reihen der Separatisten sei ihm bekannt, dass die "Russische Orthodoxe Armee" aber nur aus etwa 500 Mann bestehe.
Gubarew selbst beschrieb in sozialen Netzwerken die "Russische Orthodoxe Armee" als "starke Truppe der Volksrepublik Donezk". Die Männer würden aus Überzeugung kämpfen. In Wirklichkeit seien sie Einheimische aus sehr armen Bergarbeitersiedlungen, so der Gesprächspartner der DW. Er fügt hinzu: "Militärisch ausgebildet sind sie nicht. Sie gehen meist gegen Marodeure vor, wobei sie aber selbst vor kleineren Plünderungen nicht zurückschrecken. Schwere Waffen haben sie keine."