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PolitikAsien

Seoul sucht Kurs zwischen USA, Nordkorea und China

Martin Fritz
13. September 2021

Der verschärfte Systemwettbewerb zwischen den USA und China erschwert es Südkorea, seine zwischen beiden Mächten balancierende Außenpolitik fortzusetzen.

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USA PK Moon Jae-in und Joe Biden
Präsident Moon im Weißen Haus im Mai 2021Bild: Jonathan Ernst/REUTERS

Anfang September kündigte das Verteidigungsministerium in Seoul den Bau von "stärkeren, weitreichenderen und präziseren Raketen" an. Zugleich beteuerte man, sie dienten der Abschreckung und dem Frieden auf der koreanischen Halbinsel. Wenige Tage später feuerte die Marine erstmals eine ballistische Rakete von einem U-Boot ab. Das Geschoss vom Typ Hyunmoo-2B kann allerdings nur 500 Kilometer weit fliegen und daher nur Nordkorea erreichen.

Südkorea Protest gegen gemeinsames Militärmanöver mit den USA
Südkoreas Militärallianz mit den USA ist im Land nicht unumstritten Bild: Chung Sung-Jun/Getty Images

Die Aktionen waren typisch für Südkoreas Außenpolitik: Einerseits haben die USA ihrem Allianzpartner Südkorea im Mai erstmals erlaubt, Mittel- und Langstreckenraketen zu bauen. Dadurch wird Südkorea mittelfristig stärker in die Verteidigung des indopazifischen Raums eingebunden. Doch Seoul rüstet nur zurückhaltend auf, denn die Entwicklung weitreichender Raketen würde seinen Nachbarn China verärgern. Wenn Außenminister Wang Yi am 14. und 15. September nach Seoul kommt, dürften die Raketen daher auf seiner Themenliste stehen.

"Schwächstes Kettenglied"

Unter Präsident Moon Jae In hat Südkorea seinen Ansatz einer "strategischen Zweideutigkeit" zwischen Washington und Peking verfeinert. Das widersprüchliche Credo: Wir gehören wertemäßig zum Westen, aber schließen uns keiner Allianz gegen China an. Diese Ambivalenz schmeckt dem Bündnispartner USA immer weniger. "Dort würdigt man Südkorea unverändert als Angelpunkt für Frieden, Sicherheit und Wohlstand im Indopazifik, aber bezeichnet es gleichzeitig hin und wieder als schwächstes Glied in der Kette", meint Thomas Yoshimura, Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul.

Bei ihrem Gipfeltreffen Ende Mai  bekräftigten Südkoreas Präsident Moon Jae In und US-Präsident Joe Biden ihre gemeinsame "Vision einer Region, in der demokratische Normen, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit herrschen." Die beiden Politiker vereinbarten, die "geografische Ausdehnung, die Rolle und die Agenda" ihrer Allianz ausbauen. Aber im Gegensatz zum Gipfel von Biden mit Japans Premier Yoshihide Suga im April wurde als Adressat dieser Sätze China nicht beim Namen genannt.

Südkorea Seoul | Solidarität mit Protest in Hongkong
Südkoreaner protestieren - anders als ihre Regierung - gegen Pekings antidemokratische Maßnahmen in HongkongBild: picture-alliance/AP Photo/A. Young-Joon

"Eine Verschlechterung der Beziehungen zu China widerspricht in den Augen Südkoreas seinen nationalen Interessen", sagt Yoshimura. Daher vermeidet man es, China direkt herauszufordern. Zum Beispiel hat Südkorea die vor allem von den USA geäußerte Kritik des Westens an den Einschränkungen der Demokratie in Hongkong und den Menschenrechtsverletzungen in der Uiguren-Provinz Xinjiang nicht unterstützt.

Vorrang für Nordkorea-Politik

Denn Seoul will seinen wichtigsten Handelspartner vor allem wegen der Nordkorea-Frage nicht brüskieren. "Von Peking hängen die Wirksamkeit der internationalen Sanktionen gegen Nordkorea und Fortschritte bei Verhandlungen mit Pjöngjang entscheidend ab", erläutert Yoshimura. Während die USA den Beziehungen zu China höchsten Vorrang einräumten, betrachte Südkorea seine Außenpolitik im Lichte der Nordkorea-Politik. "Südkoreas eigene Prioritätensetzung scheint ein potenzieller Nährboden für Missverständnisse und Divergenzen zu sein", gibt der deutsche Korea-Experte zu bedenken.

Moon Jae-in und Kim Jong Un
Das bislang letzte Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Nord- und Südkoreas fand 2018 statt Bild: AFP

In seiner Geschichte fühlte sich Korea oft als eine "Garnele zwischen Walen" – früher China und Japan, heute China und die USA, und balancierte zwischen diesen Großmächten. Doch verschiedene Entwicklungen erschweren nun die Fortsetzung dieser Strategie. Erstens haben sowohl der Westen als auch China den Wettbewerb zwischen ihren Systemen verschärft. Die regierungsnahe aber parteienübergreifende US-Denkfabrik "Center for Strategic and International Studies" in Washington forderte Südkorea im März dazu auf, sich zur Allianz mit den USA "neu zu verpflichten". Die Strategie der Zweideutigkeit erzeuge ein Szenario "mit hohen Kosten und geringem Nutzen". Ähnlich sieht es Soo Kim von der US-Denkfabrik RAND: "Die Zweideutigkeit kann Spannungen in der Allianz hervorrufen und China ermutigen, noch mehr Druck auf Südkorea auszuüben."

Von der Kooperation zur Konkurrenz

Zweitens verändern sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südkorea und China. Das Reich der Mitte war im Vorjahr zwar mit über 132 Milliarden Dollar Volumen das mit Abstand weiter wichtigste Zielland südkoreanischer Exporte. Aber aus der anfänglichen Kooperation ist in vielen Branchen eine Rivalität geworden. Bei wichtigen Exportgütern wie Smartphones, Batterien und Bildschirmen machen chinesische Unternehmen den Herstellern aus Südkorea sowohl in China als auch auf dem Weltmarkt zunehmend Konkurrenz. "Die Bedeutung der gemeinsamen Wirtschaftsinteressen schwächt sich ab, während die Konfrontation über Werte und Normen intensiver wird", meint Chang Young Hee vom Institut für China-Studien an der Universität Sungkyunkwan in Seoul.

Infografik Karte Die größten Containerhafen der Welt DE
Warenhandel als wichtiges Band zwischen Südkorea und China

Drittens gerät die koreanische Elite mit ihrer Rücksichtnahme auf China zunehmend in Widerspruch zur Stimmung der Bevölkerung. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research  stieg der Anteil der Südkoreaner mit einer negativen Sicht von China von 31 Prozent im Jahr 2002 auf zuletzt 75 Prozent, während der Anteil mit einer positiven Sicht von 64 Prozent auf 24 Prozent schrumpfte. Dabei spielten zwar der Ausbruch der Covid-19-Pandemie und die "Wolfskrieger" -Diplomatie von Präsident Xi Jinping eine Rolle. Aber die anti-chinesischen Gefühle hatten schon ab 2017 zugenommen, als die Regierung in Peking wegen der Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems südkoreanische Waren boykottierte und die Chinesen gegen Südkorea aufhetzte.

Auch Chinas Einfluss auf die koreanische Populärkultur stößt vielen Südkoreanern sauer auf. Im Frühjahr wurde eine aufwändig produzierte TV-Serie nach der zweiten Folge eingestellt, weil die koreanische Geschichte nach Meinung vieler Südkoreaner durch chinesische Ästhetik "verzerrt" worden sei.