Selbstbewusst ohne Brust
29. Oktober 2020"Sie müssen nicht ohne Brust leben." Das war einer der ersten Sätze, die Hanna kurz nach der Diagnose Brustkrebs von ihrem Arzt zu hören bekam. "Dann hat er mir auch schon die Implantate in die Hand gedrückt. Ich war total überfordert", erzählt Hanna heute, zwei Jahre später.
2018 erfährt die heute 39-Jährige, dass sie ein mutiertes BRCA-Gen hat und somit eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, an Eierstock- und oder Brustkrebs zu erkranken.
Gebärmutter und Eierstöcke werden ihr sofort entfernt. Bei der Brust scheint zunächst alles in Ordnung zu sein. Doch dann wird bei der ersten Vorsorge-Untersuchung direkt ein Tumor gefunden. Hanna steht unter Schock, muss an ihre eigene Mutter denken, die jung an Eierstock- und Brustkrebs gestorben ist. Und an ihren eigenen, damals neunjährigen Sohn, für den sie da sein will.
Schnell steht fest, dass Hannas Brüste abgenommen werden müssen, um das Risiko einer weiteren Erkrankung so klein wie möglich zu halten.
"Super, dann kriegst du neue Brüste"
"Um mich zu trösten, haben meine Freunde alle zu mir gesagt: 'Ist doch super, dann kriegst du neue Brüste.' Und auch mein Arzt war davon überzeugt, mir schöne neue Brüste zu machen", erinnert sich Hanna. Der Wiederaufbau ihrer Brüste scheint für alle selbstverständlich zu sein. Hanna fühlt sich überrumpelt, stimmt schließlich zu. Also bekommt sie Implantate.
Und damit geht der Alptraum weiter. Ihre Brüste sind vollständig taub und immer kalt. Oft sogar so kalt, dass sie sie im Winter mit einem Nierenschutz aus Wolle abdecken muss, um nicht zu frieren. Die Brust entzündet sich mehrfach, schmerzt. Zehn Monate hält sie es mit den Implantaten aus. Dann wird ein auffälliger Lymphknoten entdeckt. Als ihr Arzt den sieht, heißt es: "Sofort alles raus."
Brustlosigkeit als letzte Option?
Hanna leidet unter den ständigen Komplikationen. Der Arzt bietet ihr an, eine minimale Erhebung zu formen, die aber auch Schwierigkeiten mit sich bringen kann. "Als allerletzte Option nannte er dann das Flachbleiben und fügte hinzu, dass er sich nicht vorstellen könne, dass ich so mein Leben begehen wollen würde. Man hat ihm angemerkt, er will das nicht", sagt Hanna. Sie hat eine Woche Zeit, sich zu entscheiden.
Auch ihr damaliger Partner ist gegen die Brustlosigkeit. "Er hat sich mehr Sorgen um unser Sexleben gemacht, als um mich und meine Erkrankung." Nach mehreren Streits trennt Hanna sich kurz vor der OP. "Und an dem Tag konnte ich wirklich klar für mich selbst entscheiden, ich will da keine Brust hingebastelt haben. Ich war plötzlich total frei, und konnte diese Entscheidung nur für mich treffen."
Doch die Zeit nach der Operation ist für Hanna nicht leicht. "Ich war so erschrocken über mein Spiegelbild. Ich war mir selbst fremd." Sie bricht zusammen. "Die Trauer über meine verlorene Brust kam mit ihrer ganzen Wucht ans Tageslicht. Doch letztendlich waren diese Gefühle schon die ganze Zeit in mir, ich habe sie nur vorher wegen der Implantate nicht zuordnen können. Denn meine Brust habe ich nicht erst jetzt verloren", sagt Hanna.
Tabuthema Frau ohne Brust
Mittlerweile fühlt sich Hanna wohl in ihrem Körper, als brustlose Frau. Sie ist in erster Linie froh, gesund zu sein. Was sie dennoch stört, ist das Stigma, das einer brustlosen Frau von der Gesellschaft zugeschrieben wird: "Die Tatsache, ohne Brust zu sein, scheint für alle anderen im Umfeld viel schockierender zu sein als der Krebs selbst. Ich höre oft Sätze wie 'Was du durchmachen musstest, und jetzt musst du auch noch ohne Brust leben'. Es herrscht viel Bestürzung über die Tatsache, dass meine Brust weg ist, anstatt dass ich mal gefragt werde, wie es mir eigentlich geht."
Durch den Verein Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust findet Hanna gleichgesinnte Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie sie. Sie alle setzen sich dafür ein, dass das Thema enttabuisiert wird. Und, dass das ästhetische Flachbleiben im ärztlichen Beratungsgespräch von Anfang an als eine gleichwertige Option genannt wird. "Man muss einer Frau Optionen geben, wie sie leben möchte, und es geht darum, das in einer medizinisch objektiven Ehrlichkeit zu bewerten." Dazu gehöre auch zu benennen, dass der Aufbau nicht selten mit erheblichen Komplikationen verbunden sei, sagt Hanna. Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Frauen in Deutschland brustlos sind. Doch die Vereinsmitglieder sind sich einig, dass es wahrscheinlich mehr wären, wenn die Möglichkeit eine größere Plattform bekäme.
Mangel an Informationen
Wolfram Malter, Leiter des Brustzentrums in Köln, versucht zu erklären, warum die Brustlosigkeit von vielen Ärztinnen und Ärzten entweder gar nicht thematisiert oder nur auf Eigeninitiative der Frauen selbst besprochen wird: "Die Entfernung einer Brust ist rein rechtlich die Entfernung von Gliedmaßen und das ist natürlich immer eine einschneidende Maßnahme. Und es ist vielleicht auch so, dass man das möglichst auch als Operateurin, als Operateur, vermeiden möchte."
Doch Hanna und die anderen Vereinsmitglieder mahnen an, dass das keine Rolle spielen dürfe, wenn es darum gehe, den betroffenen Frauen so viele Informationen und Optionen wie möglich zu geben, damit sie ihre Entscheidung fundiert treffen könnten. Weiter liege es auch an den Ärztinnen und Ärzten, sich auf dem Gebiet weiterzubilden, Techniken zu beherrschen, damit das Ergebnis am Ende ästhetisch ansprechend ist.
Hanna ist mit dem Ergebnis zufrieden, ihr Chirurg habe sich wirklich Mühe gegeben, betont sie. Zwar hat sie ihr altes Leben nicht zurück. Doch sie ist gesund und kann für ihren kleinen Sohn da sein. Der findet es mittlerweile fast ein wenig seltsam, wenn Frauen Brüste haben.