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"Sehe Gefahr für Menschenrechte"

Johanna Schmeller 4. Dezember 2012

Saudi-Arabien soll in großem Stil Waffen aus Deutschland bestellt haben. Rüstungsexperte Marc von Boemcken hält im DW-Interview die "laschere Genehmigungspraxis" für ein Zugeständnis an die Waffenindustrie.

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Marc von Boemcken, Experte für Rüstungspolitik am Bonn International Center for Conversion (BICC) (Foto: BICC)
Bild: BICC

DW: Deutschland soll in großem Stil Waffen nach Saudi-Arabien exportieren. Wie bewerten Sie die möglichen Exporte?

Marc von Boemcken: In den politischen Grundsätzen der Bundesregierung steht, dass Kriegswaffenlieferungen an Drittstaaten - also Länder, die nicht NATO- oder EU-Länder sind - nicht genehmigt werden dürfen, es sei denn, es sprechen ganz besondere außen- und sicherheitspolitische Gründe dafür. Ob die Lieferungen nach Saudi-Arabien genehmigt worden sind, wissen wir nicht, der Bundessicherheitsrat tagt geheim. Das Besondere und Interessante an den eventuellen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien ist aber, dass die Bundesregierung in den letzten Wochen politische Argumente gebracht hat: Die Stabilität in der Region solle durch Panzerlieferungen erhöht werden.

Wie bewerten Sie diesen Strategiewechsel in der Kommunikation?

Zunächst finde ich es gut, dass die Bundesregierung politische Argumente bringt. Aber ob die Stabilität wirklich erhöht wird, würde ich mit einem Fragezeichen versehen. Die Militärausgaben Saudi-Arabiens sind über die letzten Jahre exorbitant gestiegen. Der Nahe und Mittlere Osten überhaupt ist - gemessen an der Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung - eine der am stärksten militarisierten Regionen der Welt. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass die Waffen genutzt werden, um Menschenrechtsverletzungen zu begehen oder Demonstrationen niederzuschlagen. Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit schon Panzer nach Bahrain geschickt, um dort gegen Demonstranten vorzugehen.

Welche juristischen Richtlinien gibt es in Deutschland für Rüstungsexporte?

Die deutschen Rüstungsexporte werden einerseits durch das Außenwirtschaftsgesetz und andererseits durch das Kriegswaffenkontrollgesetz geregelt. Grundsätzlich sieht das Regelwerk vor, dass die Ausfuhr von bestimmten Rüstungsgütern genehmigungspflichtig ist, insbesondere die Ausfuhr von Kriegswaffen, die noch einmal in einer gesonderten Liste aufgeführt werden. Der gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union aus dem Jahr 2008 ist aber noch wichtiger als dieses Regelwerk. Die Bundesregierung hat sich in ihren politischen Grundsätzen verpflichtet, sich an den acht Kriterien dieses Standpunktes zu orientieren.

Welche Kriterien werden darin genannt?

Waffenlieferungen sollen nur dann genehmigt werden, wenn das Risiko, dass damit Menschenrechtsverletzungen begangen werden, vergleichsweise gering ist. Sie dürfen nicht dazu beitragen, die interne Stabilität im Empfängerland zu gefährden, sie dürfen nicht regionale Rüstungswettläufe befeuern und ein weiteres interessantes Kriterium ist, dass Rüstungslieferungen nicht in Länder gehen sollen, in denen es ein Missverhältnis zwischen Militär- und Sozialausgaben gibt.

Es gibt aber keinen Katalog, um welche Länder es genau geht?

Nein, genau den gibt es nicht - so wünschenswert das wäre. Da müssen sich die einzelnen Genehmigungsbehörden - in Deutschland wäre das die Bundesagentur für Ausfuhrkontrolle - selbst ein Bild machen, etwa durch Berichte von Amnesty International oder Human Rights Watch.

Wie wichtig sind Rüstungsexporte für ein Land wie Deutschland, das ansonsten mit Auslandseinsätzen sehr zurückhaltend ist?

Im Zuge der Euro- und Finanzkrise sind die Euroausgaben vieler europäischer Staaten sehr zurückgegangen oder fangen jetzt an zurückzugehen. Das bedeutet, dass weniger Waffen in Deutschland bestellt werden. Die Rüstungsindustrie ist zunehmend darauf angewiesen, ihre "Produkte" ins außereuropäische Ausland zu exportieren. Deshalb steigen die Exporte in Drittstaaten. Die Bundesregierung kommt in ihrer lascheren Genehmigungspraxis der Industrie entgegen.

Kann man Waffenexporte auch als ein Element der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sehen?

Das Motto "Ertüchtigung statt Einmischung" ist auf den ersten Blick plausibel: In vielen fragilen Staaten sind die Sicherheitsapparate sehr schwach und können kein internes Gewaltmonopol herstellen. Die Bundesregierung argumentiert, dass sie schon aus entwicklungspolitischen Erwägungen diese Länder bei der Ausrüstung ihrer Sicherheitskräfte unterstützen muss. Ob diese Staaten allerdings Interesse daran haben, die menschliche Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten oder ob sie die Waffen, die sie aus Deutschland geliefert bekommen vielleicht für ganz andere Zwecke einsetzen, ist die Frage.

Halten Sie diese Argumentationslinie für plausibel?

Ich denke, das sind Fragen, über die ganz offen debattiert werden sollte. Ein großes Problem ist auch die Geheimhaltung: Die Öffentlichkeit wird in der Regel nicht über anstehende Entscheidungen im Bundessicherheitsrat informiert, sondern erst Jahre später durch den Bundesexportbericht. Es gibt keine öffentliche Debatte um diese Entscheidungen, die sich zum Teil schon acht, neun Jahre früher angebahnt haben. Außerdem denke ich nicht, dass durch Waffenlieferung wirklich Stabilität geschaffen wird. Das Problem fragiler Staatlichkeit lässt sich auch nicht durch das Ausrüsten von Sicherheitskräften allein lösen. In Ausnahmefällen mag das geboten sein, es kann allerdings nur ein Element von vielen sein.

Marc von Boemcken ist Experte für Rüstungspolitik am Bonn International Center for Conversion (BICC).

Das Interview führte Johanna Schmeller.