Seehofer erhöht wieder Druck auf Merkel
16. Januar 2016Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer pocht angesichts des Flüchtlingszustroms auf rasche Lösungen. "In den nächsten 14 Tagen werden wir die Bundesregierung schriftlich auffordern, an den Grenzen wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen", sagte der CSU-Vorsitzende dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Wenn sie das nicht tut, wird der Staatsregierung gar nichts anderes übrig bleiben, als vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen." In den ersten Januartagen reisten nach Angaben der bayerischen Staatsregierung im Schnitt etwa 3000 Flüchtlinge pro Tag nach Deutschland ein.
Juristische Munition für eine mögliche Klage gegen die Bundesregierung lieferte zuletzt der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio, der Seehofers Meinung bestätigte: In einem Gutachten bescheinigt er der Bundesregierung, mit der Grenzöffnung für Flüchtlinge gegen geltendes Recht zu verstoßen. Der Bund sei "verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder einzuführen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist".
Seehofer fügte hinzu, gerade weil die Politik der Bundesregierung möglicherweise nicht rechtmäßig sei, müsse sie für die Kosten der Flüchtlingskrise aufkommen. "Vor diesem Hintergrund muss man erst recht darüber nachdenken, dass sich der Bund verstärkt an den Kosten beteiligen muss." Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) betonte im gleichen Magazin, Merkels Linie sei nicht demokratisch legitimiert. Nötig sei eine Abstimmung über die Flüchtlingspolitik im Bundestag.
Gabriel wird ungeduldig
Auch führende SPD-Politiker verstärkten den Druck auf die Kanzlerin. Nach Ansicht des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel schrumpft das Zeitfenster für eine Lösung der Flüchtlingskrise. "Wenn die Maßnahmen im Frühjahr nicht Wirkung zeigen, bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden", sagte der Wirtschaftsminister den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Deutschland müsse "feste Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen, um die Kontrolle zu behalten, wie viele Menschen kommen und wann sie kommen", sagte Gabriel. Die Bundesrepublik könne erheblich mehr als die von Seehofer genannten 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. "Aber das Kontingent muss auch deutlich unter den Zuwanderungszahlen des vergangenen Jahres liegen."
Zwar stimme der Satz der Bundeskanzlerin, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagte der Vizekanzler. "Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger. Und ich rate uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten. Wir müssen von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen." Gabriel warnte angesichts der Wiedereinführung von Grenzkontrollen in mehreren EU-Ländern vor dem Ende der Reisefreiheit in Europa. "Wenn die Sicherung der Außengrenzen der EU nicht gelingt, dann sind die offenen Grenzen in Europa in Gefahr."
Auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sieht dringenden Handlungsbedarf. Deutschland und Österreich stünden bei der Flüchtlingsaufnahme praktisch allein auf weiter Flur, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. "Deshalb muss die Bundeskanzlerin jetzt auch eine Lösung liefern", forderte Oppermann. "Wenn sie bei den europäischen Partnern scheitert, fürchte ich, dass der Druck so groß werden wird, dass sich die Reisefreiheit in Europa nicht mehr aufrechterhalten lässt."
Wirksamere Grenzkontrollen
Oppermann und Gabriel sprachen sich für effektivere Grenzkontrollen aus. "Einfach durchwinken, keine vernünftige Registrierung und kein Datenabgleich in Europa - das führt eben dazu, dass sich selbst Kriminelle und Terroristen wie der Paris-Attentäter unerkannt durch Europa bewegen können", sagte Gabriel. "Das ist gefährlich. Deshalb brauchen wir bessere Grenzkontrollen." Über die Flüchtlingskrise will die SPD-Spitze auch auf einer zweitägigen Klausur im brandenburgischen Nauen diskutieren, die an diesem Sonntag beginnt.
Dagegen wies Unions-Fraktionschef Volker Kauder Forderungen nach einem unmittelbaren Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik zurück. "Eine Schließung der Grenzen hätte schwerwiegende Folgen: humanitäre, europapolitische und wirtschaftliche", sagte der CDU-Politiker der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Klar sei aber, dass die Zahl der Flüchtlinge sich spürbar reduzieren müsse. "Wir wissen, die Zeit läuft." Kauder schlug vor, die Liste der sicheren Herkunftsländer zu vergrößern - beispielweise um Marokko und Algerien. "Aus diesen Ländern, wo erkennbar kein Bürgerkrieg herrscht, kommen immer mehr Menschen, die in der Regel kein Bleiberecht haben dürften", sagte Kauder.
kle/ml (rtr, dpa, afp)