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Das Jahr der letzten Chance

Hofmann Max Kommentarbild
Max Hofmann
15. Januar 2016

Alle EU-Staaten sollen endlich mitmachen beim Plan zur Bewältigung der Migrationskrise. Junckers Rede enthüllt vor allem zwei Dinge: seinen Frust und die zunehmende Isolation der Kanzlerin in Brüssel, meint Max Hofmann.

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Angela Merkel und Jean-Claude Juncker in Berlin (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/F. Bensch

Anfangs wirkt die Neujahrs-Pressekonferenz des Kommissionspräsidenten nüchtern. Er lässt das vergangene Jahr Revue passieren, redet über die Beziehungen zum EU-Parlament (eine Erfolgsgeschichte!) und den dahin dümpelnden Investitionsfonds (bisher keine Erfolgsgeschichte). Dann aber kommen sie wieder, die eindringlichen Appelle an die Mitgliedsstaaten, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden, vor allem in der Migrationskrise.

"Ich habe die Nase voll, dass die Kommission immer Kritik einstecken muss, aber die Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen." Diesen Satz haben die Journalisten in Brüssel schon oft gehört, noch nie aber lag soviel Frust in den Worten Jean-Claude Junckers. Er, der bei Amtsantritt die Kommission der letzten Chance ausgerufen hatte, spürt wie diese letzte Chance ungenutzt vorbeizieht. Alle Pläne, um der Migrationskrise Herr zu werden, das Sichern der Außengrenzen, die Einrichtung von "Hotspots" zur Registrierung von Migranten und schließlich der zentrale Punkt: die faire Weiterverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU - sie sind bisher nichts als Schall und Rauch.

DW-Brüssel-Korrespondent Max Hofmann (Foto: DW)
Für die DW in Brüssel: Max Hofmann

Merkel hat immer weniger Verbündete

Nicht aufgeben wolle er, meint der Kommissionspräsident kämpferisch, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache. 160.000 Flüchtling sollten die Mitgliedsstaaten verteilen, ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber selbst das bekommen sie nicht einmal ansatzweise gebacken. Bisher bestiegen lediglich wenige hundert Menschen Flugzeuge, um im Rahmen des angedachten Verfahrens in eine neue EU-Heimat aufzubrechen. Die sogenannten Visegrád-Staaten im Osten der EU, allen voran Ungarn und Polen weigern sich schlichtweg mitzumachen, trotz offizieller Beschlüsse. Und selbst in Ländern wie Frankreich stößt der Plan auf wenig Gegenliebe.

Bundeskanzlerin Merkel, die für diesen Plan steht, wie sonst niemand, kommen die Verbündeten in Brüssel langsam abhanden. Juncker, dessen Umtriebigkeit in Berlin häufig für Verärgerung sorgt, scheint ironischerweise einer der letzten zu sein. Mit Herzblut verteidigt er nicht nur den Flüchtlingsplan, sondern damit auch die ganze EU, seine EU, an der er jahrzehntelang mitgebastelt hat. Die Flüchtlingskrise gefährde durch die schleichende Wiedereinführung von Grenzkontrollen die Reisefreiheit der Menschen in der Union, also das Schengen-Abkommen. Wer Schengen gefährde, gefährde den Binnenmarkt, den Arbeitsmarkt, im Endeffekt den Euro und die ganze EU, so die Argumentation Junckers.

Keine andere Wahl als Grenzen zu schließen

Der deutsche Finanzminister schlägt am Nachmittag in Brüssel in die gleiche Kerbe und gibt Junckers Aussagen damit eine noch größere Bedeutung. Wenn auch Deutschland die Grenzen dicht machen müsse, so warnt er, wäre das "eine enorme Gefährdung für Europa". Recht hat er! Es wurde bisher selten in dieser Schärfe vorgetragen. Und geholfen hat es...nichts. Wer die jetzige Situation logisch zu Ende denkt, der weiß, am Ende wird die Bundeskanzlerin, wird Deutschland keine andere Wahl haben als die Grenzen zu schließen.

Juncker erwähnt in seiner Rede auch die anderen Baustellen Europas für 2016: einen möglichen Brexit, die gefährdete Rechtsstaatlichkeit in Polen, das lahme Wirtschaftswachstum und und und. Aber nur die Migrationskrise hat das Potential wirklich zum Sargnagel der EU zu werden. Das wissen auch alle Minister, das wissen alle Staats- und Regierungschefs der EU. Warum sich also manche weiterhin beharrlich weigern, etwas Konstruktives zur Lösung beizutragen, bleibt rätselhaft. Ist es die Hoffnung, die anderen werden es schon richten? Oder ist es die Rache an Merkel? Rache für all die Brüsseler Nachtsitzungen der vergangenen Jahre, die Einflussnahme, die Unnachgiebigkeit bei manchen Themen?

Letzte Chance schon verpasst?

Je schwächer die Bundeskanzlerin in Deutschland, desto stärker ihre Feinde in der EU. Das weiß auch Juncker. Unter anderem deshalb stellt er sich vor Merkel und ihre Pläne zur Bewältigung der Migrationskrise. Zwei alte Kämpfer auf der europäischen Bühne endlich vereint. Vielleicht nicht mehr lange. Denn es gibt nicht das geringste Anzeichen dafür, dass dieser Plan irgendwann tatsächlich funktioniert. Hinter vorgehaltener Hand sagen auch gestandene deutsche Politiker in Brüssel, dass die Idee einer fairen Umverteilung von Flüchtlingen bereits jetzt tot sei. Gut möglich, dass die letzte Chance schon verpasst wurde.