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Sechs Autoren im Rennen um den Internationalen Literaturpreis

Annabelle Steffes28. Mai 2014

Der "Internationale Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt" würdigt herausragende Werke der modernen Erzählkunst. Wir stellen die sechs Autoren vor, deren Bücher aus 154 Titeln für die Endrunde ausgewählt wurden.

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Haus der Kulturen der Welt
Bild: imago/Stefan Zeitz
Zsofia Ban Buchautorin Einschränkung
Die Autorin Zsófia BánBild: Miklos Szüts

Ein Mann, der die Zeit anhalten möchte, ein anderer, der sie zurückdrehen möchte. Chronisten der Welt im Wandel, entwurzelte Menschen auf der Suche nach Identität - So oder so ähnlich könnte man die Protagonisten der Bücher beschreiben, die auf der Shortlist des sechsten Internationalen Literaturpreises stehen. Ende Juni werden die Preisträger bekannt gegeben, die Verleihung findet dann am 3. Juli 2014 statt. Die Jury hat in diesem Jahr sowohl auf renommierte als auch auf unbekannte Autoren gesetzt. Hier ein Ausblick auf die Nominierten und ihre Bücher:

Zsófia Bán: "Als nur die Tiere lebten"

Internationaler Literaturpreis ILP Haus der Kulturen der Welt 2014
Der Autor Bernardo KucinskiBild: privat
Internationaler Literaturpreis ILP Haus der Kulturen der Welt 2014 Georgi Gospodinov
Der Schriftsteller Georgi GospodinovBild: Dafinka Stoilova
Autor Dany Laferrière
Der Autor Dany LaferrièreBild: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0/Georges Seguin
Internationaler Literaturpreis ILP Haus der Kulturen der Welt 2014
Madeleine ThienBild: Carolin Seeliger
Internationaler Literaturpreis ILP Haus der Kulturen der Welt 2014 Hamid
Mohsin HamidBild: Jillian Edelstein

Die Autorin: Zsófia Bán ist eine wahre Weltenbummlerin. Die Kunst- und Literaturkritikerin wurde 1957 in Rio de Janeiro geboren, ist aufgewachsen in Brasilien und in Ungarn und studierte Anglistik und Romanistik in Budapest, Lissabon, Minneapolis und New Brunswick. Nach Stationen in Filmstudios und als Ausstellungskuratorin, lehrt sie nun Amerikanistik in Budapest. Ihr Debütroman "Abendschule" wurde 2008 mit dem Attila-József-Preis ausgezeichnet.

In ihrem Roman "Als nur die Tiere lebten" erzählt sie die Geschichte von der Fotografin Anna und ihrer rästelhaften Mutter. Emigration, Entwurzelung, Trennung und Neuanfang sind Themen der fünfzehn Geschichten dieses Bandes, der mit Annas Kindheit beginnt: Als kleines Mädchen geht Anna am Strand von Rio de Janeiro verloren. Sie sucht ihre Mutter und entdeckt sie schließlich am Wasser stehend. Als Anna sich ihr von hinten nähert, hört sie, wie die Mutter ein verzweifeltes "Sogar hier … sogar hier!" vor sich hinmurmelt. Was diese Worte bedeuten, vor allem aber wer ihre Mutter war, die sieben Sprachen sprach, aber mit ihrem Kind in keiner einzigen reden konnte, das begreift die Fotografin Anna erst Jahrzehnte später – als sie in einer Versuchsstation in der Antarktis das Naturphänomen des White-out aufnimmt, das alles verschluckende Weiß des Schnees.

Bernardo Kucinski: "K. oder Die verschwundene Tochter"
Um ein verschwundenes Mädchen geht es auch in Bernardo Kucinskis Roman "K. oder Die verschwundene Tochter": São Paulo während der Militärdiktatur in den 70er Jahren. Seit vielen Tagen wartet K. auf ein Lebenszeichen seiner Tochter. Die junge Dozentin ist seit zwei Wochen nicht mehr an der Universität erschienen. Freunde, Bekannte, Polizei – niemand hat einen Hinweis. Schließlich erfährt K. auf Umwegen, dass seine Tochter ein Doppelleben führt und im Untergrund politisch aktiv ist. Wie konnte einer wie er, gezeichnet von den politischen Umständen im Polen der 30er Jahre, die Augen verschließen vor dem Aufruhr der neuen Zeit, vor den auffälligen Indizien im Verhalten seiner Tochter, die er so gut zu kennen glaubte? K.s Leben wird zu einer einzigen Suche, bei der sich Erinnerungen an seine eigene Jugend mit aktuellen Lebensphasen vermischen.

Der Autor: Bernardo Kucinski wurde 1937 in São Paulo als Sohn einer polnisch-jüdischen Einwandererfamilie geboren. Er arbeitet als Wissenschaftler und Journalist und war nach dem Ende der Diktatur lange Jahre enger Berater des Präsidenten Lula da Silva. Er veröffentlichte zahlreiche politische und wissenschaftliche Bücher. "K. oder Die verschwundene Tochter" ist sein erster Roman, für den er in Brasilien bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat.

Georgi Gospodinov: "Physik der Schwermut"

Der Autor: Georgi Gospodinov wurde 1968 in Jambol in Bulgarien geboren. Er ist Kolumnist der Tageszeitung Dnevnik und arbeitet außerdem am Literaturinstitut der Bulgarischen Akademie der Künste sowie als Bühnen- und Drehbuchautor. 2008/09 war er Gast des Berliner Künstlerprogramms DAAD. Dem Lyrikband "Lapidarium", seinem literarischen Debüt, folgte sein erster Roman, der "Natürliche Roman" (1999), der ihn bei einem internationalen Publikum bekannt machte und in 10 Sprachen übersetzt wurde. Mit seinem Erzählband "Und andere Geschichten" hatte er es auf der Longlist für den Frank O‘Connor Award geschafft.

Aus zahlreichen kurzen poetischen Kapiteln komponiert Gospodinov seinen melancholischen Roman "Physik der Schwermut", der zugleich amüsiert und überrascht. Sein Erzähler leidet an übergroßer Empathie: Er muss sich in alles und jeden hineinversetzen und erlebt dann, was diese anderen erleben. Mag das nun sein Großvater zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen sein oder eine Schnecke, die gerade verschluckt wird. Doch damit nicht genug. Er leidet unter dem Vergehen der Zeit und versucht mit Zeitkapseln gegen das Vergessen anzukämpfen.

Dany Laferrière: "Das Rätsel der Rückkehr"
Die Zeit anzuhalten, das wünscht sich auch der Protagonist von Dany Laferrières Roman "Das Rätsel der Rückkehr": Erschüttert von der Nachricht vom Tod seines Vaters, beschließt der Erzähler in sein Heimatland Haiti zu reisen. In einer Mischung aus Langgedicht, Reisetagebuch und Autobiografie reflektiert er ein Land, das geprägt ist von Korruption, Armut und politischer Verfolgung, aber auch von Hoffnung und tropischen Geschmacksexplosionen. Vorrangig aber erzählt Laferrière von der unbändigen Kraft der Poesie.

Der Autor: Dany Laferrière gehört heute zu den bedeutendsten Vertretern der karibischen Frankofonie und zu den prägendsten Exilschriftstellern Haitis. 1953 in Port-au-Prince, Haiti geboren, wanderte er vor 30 Jahren nach Montréal aus. Sein erster Roman mit dem provokativen Titel "Comment faire l‘amour avec un nègre sans se fatiguer" (dt.: "Die Kunst, mit einem Neger zu schlafen, ohne müde zu werden") erschien 1985. Für seine weiteren Romane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Prix Médicis, und wurde jüngst in die Académie Française aufgenommen. "Das Rätsel der Rückkehr" ist seine erste Veröffentlichung im Deutschen.

Madeleine Thien: "Flüchtige Seelen"

Ebenfalls in Montréal lebt die Autorin Madeleine Thien. Geboren wurde sie 1974 in Vancouver als Kind chinesisch-malaysischer Einwanderer. Sie studierte Tanz, Literatur und Creative Writing an der Simon Fraser University und der University of British Columbia in Vancouver. Schon als Studentin begann sie mit dem Schreiben. Ihr erstes Buch "Einfache Rezepte", eine Sammlung von Kurzgeschichten, wurde mit vier kanadischen Literaturpreisen ausgezeichnet und ihr Debütroman "Jene Sehnsucht nach Gewissheit" wurde in 16 Sprachen übersetzt. 2010 erhielt Madeleine Thien den Ovid Festival Prize.

In ihrem Roman "Flüchtige Seelen" erzählt sie mit klarer, sanfter Sprache vom Verlust und von der Wiedergewinnung der Menschlichkeit. Dazu folgt sie den Erinnerungen, Verletzungen und Träumen ihrer Figuren aus dem Kanada der Gegenwart in den tropischen Dschungel Kambodschas in den 70er Jahren als dort die Roten Khmer durch Terror und Mord eine neue Gesellschaftsordnung errichten wollten.

Mohsin Hamid: "So wirst du stinkreich im boomenden Asien"
Der Autor: Mohsin Hamid, 1971 geboren und aufgewachsen in Lahore, Pakistan, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton. Nach einigen Jahren in New York und London zog es ihn wieder in seine Heimatstadt Lahore. Hamid schreibt regelmäßig für diverse bekannte Zeitungen wie den Guardian oder die New York Times. Seine Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt. "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" stand auf der Shortlist des Man Booker Prize und wurde kürzlich von Mira Nair verfilmt. Nachtschmetterlinge wurde mit dem Betty Trask Award ausgezeichnet und von der New York Times auf die Liste der bedeutendsten Bücher des Jahres 2000 gesetzt.

Der Roman: "So wirst du stinkreich im boomenden Asien" erzählt die erstaunliche und dramatische Geschichte eines Mannes, der sich von einem kränklichen Jungen aus ärmlichen Verhältnissen zu einem korrupten Großunternehmer wandelt. Dabei beruft sich Hamid auf jene Art von Selbsthilfebüchern, wie sie im heutigen Asien massenweise an junge, hoffnungsvolle Männern verhökert werden. Der namenlose Held kommt in einer riesigen Millionenstadt zu Geld und baut sich alsbald ein eigenes Imperium auf – mit dem wichtigsten und knappsten Gut, mit Wasser. Sein Herz hat er an ein junges Mädchen verloren, deren Lebenswege sich immmer wieder kreuzen. Tempogeladen erzählt dieser Roman von Momenten der Intimität, von aufwühlenden gesellschaftlichen Veränderungen und von der Suche nach einem besseren Leben.