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Interview mit Sebastian Baumgarten

12. August 2011

Premierengäste bei den 100. Bayreuther Festspielen erlebten "Tannhäuser" in einer Kunstinstallation zwischen Selleriebrei und Exkrementenverwertung. Nicht alle waren von Sebastian Baumgartens Inszenierung begeistert.

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Der Regisseur Sebastian Baumgarten, aufgenommen am 05.07.2011 während eines Interviews mit der dpa Deutsche Presse-Agentur im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth (Oberfranken). Der 42-Jährige Berliner inszeniert den "Tannhäuser" von Richard Wagner für die diesjährigen Bayreuther Festspiele, die am 25. Juli 2011 eröffnet werden. Foto: David Ebener dpa/lby pixel
Regisseur Sebastian BaumgartenBild: picture-alliance/dpa

Die Liebe zur Musik wurde dem 42-jährigen schon in die Wiege gelegt. Seine Mutter ist Sängerin, sein Großvater Hans Pischner war langjähriger Intendant der Staatsoper Unter den Linden im damaligen Ostberlin. Baumgarten selbst studierte Regie an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler". Er arbeitete unter anderem als Oberspielleiter am Staatstheater Kassel, als Chefregisseur am Meiniger Theater und an der Komischen Oper in Berlin. In einem Gespräch mit der Deutschen Welle sprach er über seinen Ansatz bei Wagners "Tannhäuser" im Bayreuther Festspielhaus.

Deutsche Welle: Wagner hat "Tannhäuser" geschrieben, überarbeitet und wieder überarbeitet. Es gibt so viele Fassungen. Wie ist es für Sie, sich an dieses Werk heranzuwagen, das vollendet ist, aber vielleicht doch wieder nicht?

Sebastian Baumgarten: Wagner hat ja nicht umsonst gesagt: "Ich bin der Welt noch einen 'Tannhäuser' schuldig." Offenbar hat er immer wieder aus der Theaterpraxis gelernt und auf die Reaktionen nach den verschiedenen Premieren in Dresden, München und Paris reagiert. Dann stellte er jeweils eine Version her, die für Sänger und Zuschauer ideal war.  

Oder rang er mit dem Sujet, weil er mit dieser Figur nicht so ganz klar kam?

Das Stück stellt einen Theaterregisseur schon vor eine schier unlösbare Aufgabe. Denn Wagner beschreibt eine Kontradiktion zwischen Ordnung und Exzess. Also Musik machen heißt per se Ordnung schaffen, apollinisch wenn man so will, während das Chaos dionysisch ist. So entsteht ein Grundwiderspruch im Stoff. Man wird nie eine direkte Abbildung bekommen; das hieße, dass die Darsteller oder die Bühne sich eigentlich auflösen müssten.  

Probe der Oper "Tannhaeuser" des Komponisten Richard Wagner (1813 - 1883) auf. (Foto: Timm Schamberger/dapd)
Die Kunstinstallation von Joep van Lieshout im Bayreuther FestspielhausBild: dapd

Auf welche Lösungen sind Sie gekommen, um die Figuren glaubwürdig zu machen?

Ich komme vom Brecht-Theater her und mich interessieren systemische Zusammenhänge und das Agieren der verschiedenen Figuren darin. Wir haben uns überlegt, dass es einen Raum geben müsste, eine Installation, die für 200 Teilnehmer gedacht ist. Es ist ein geschlossenes System von strenger Ordnung, Ernährung, Rauschzuführung und ökologischer Energieerzeugung, in dem die Menschen existieren und vegetieren. Und darin ist der "Tannhäuser" so was wie das Mysterienspiel oder der Gründungsmythos. Die Kunstinstallation auf der Bühne ist nicht im realistischen Sinne wahrzunehmen, sondern ist eine Beschreibung von Gegenwart. Darin sind Venuswelt und Wartburg als ein großes geschlossenes System zu deuten.  

Bei Ihrem "Tannhäuser" wird schon vor dem Beginn des ersten Akts gespielt. Die Leute, die so langsam eintrödeln, werden denken: Oh mein Gott, ich hab' was verpasst…

Regisseur Sebastian Baumgarten (Foto: Timm Schamberger/dapd)
Systemische Zusammenhänge in der Oper interessieren BaumgartenBild: dapd

Ja, wenn man reinkommt, sieht man diese Installation in Betrieb. Das ist ein bestimmter funktionaler Ablauf, und der wird dort bereits an zwanzig Leuten demonstriert. Dann geht die Oper los, und wenn der I. Akt zu Ende ist, geht das Licht an und man sieht, dass die Tätigkeiten auf der Bühne fortgesetzt werden: essen, schlafen und Religionsausübung. Ich hoffe, dass wir dadurch doch ein gewisses Interesse auslösen können, dass wir uns über bestimmte Normalitäten oder Rituale, die hier existieren, ein wenig hinwegsetzen.

Gab es Vorgaben der Festspielleitung, oder hatten Sie bei der Inszenierung mehr oder weniger freie Hand?

Erstmal versucht das Haus alles zu realisieren, was man sich vornimmt - ohne nominelle Begrenzungen über Budgets. Die wollen einen machen lassen. Irgendwann kommt man dann natürlich mit seinen Vorschlägen zur Leitung, und dann sagen die: Okay, das funktioniert oder nicht.

Das Gespräch führte Rick Fulker
Redaktion: Suzanne Cords