Schüler gegen Rassismus
13. November 2012Obwohl der Berliner Fernsehturm zum Greifen nah scheint und der Alexanderplatz gleich um die Ecke liegt, befindet sich das Max-Planck-Gymnasium abseits der Touristenströme. Es ist versteckt zwischen trostlosen Mietshäusern. Die einzige Farbe an dem grauen Schulgebäude stammt von Graffiti. Es ist still, als Sebastian Kahl durch eine Glastür den einstigen sozialistischen Vorzeigebau betritt. Der studentische Mitarbeiter im Projektnetzwerk "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" ist mit einer Gruppe von Jugendlichen verabredet, die eine Aktion gegen Rechtsextremismus an ihrer Schule planen.
Es ist nicht das erste Projekt, das die zehn Schüler an ihrem Gymnasium anbieten wollen. Schon seit zehn Jahren gehört ihre Schule zum deutschlandweiten Netzwerk "Schule ohne Rassismus". Schulen mit diesem Titel verpflichten sich zu einem jährlichen Projekt gegen Diskriminierung. Schüler, Lehrer und Hausmeister dokumentieren mit ihrer Unterschrift, dass sie keine Form der Diskriminierung dulden und aktiv dagegen vorgehen. Die Idee mitzumachen kam einst von der Schülerschaft selber.
Eigeninitiative ist gefragt
Die Projektgruppe des Max-Planck-Gymnasiums will Sebastian Kahl darüber informieren, welche Aktivitäten sie für das Schuljahr plant. Die Ideen stammen stets von den Jugendlichen, bei der Umsetzung hilft das Netzwerk. Zehntklässler Albert etwa möchte den Besuch eines Neonazi-Aussteigers organisieren. "Für mich ist Engagement gegen Rassismus selbstverständlich", sagt er selbstbewusst. Ihm schwebt ein Interview mit einem ehemaligen Neonazi vor der ganzen Schülerschaft vor: "Ich meine, durch die persönliche Begegnung mit einem Aussteiger können wir am besten lernen, wie Neonazis denken und wie sie versuchen, Schüler für ihre Ideologie zu werben."
Sebastian Kahl hört sich die Ideen der Schülerinnen und Schüler erst einmal an. Der 24-jährige Student fragt nach, gibt Anregungen und verspricht, Kontakte zu organisieren. Solche Unterstützung können die Jugendlichen oft gut gebrauchen. Schließlich stemmen sie ganze Konzerte, veranstalten Treffen mit Zeitzeugen oder initiieren Projekttage. Da gibt es eine Menge zu tun, doch weil die Schüler in den Aktionen ihre eigenen Ideen verwirklichen, bleiben sie dran.
Vorurteilen begegnen
Einige Schüler vom Max-Planck-Gymnasium mussten auch schon selbst Erfahrungen mit Rassismus machen. Sharonya zum Beispiel. Die Eltern der Zehntklässlerin stammen aus Sri Lanka, ihren dunkelhäutigen Freundinnen wurden schon dumme Sprüche auf der Straße nachgerufen oder sie wurden gehässig mit "Hallo Schokolade" begrüsst. "Vielleicht war das auch nur Spaß", erklärt Sharonya etwas schüchtern, schüttelt sich dann aber und fügt mit Nachdruck hinzu: "Doch irgendwo sind Grenzen".
Die Schülerinnen und Schüler betonen aber, dass rechtsextrem motivierter Rassimus am Max-Planck-Gymnasium insgesamt kein ernstes Problem sei. Andere Formen der Diskriminierung spielen nach ihren Aussagen eine größere Rolle. Cybermobbing zum Beispiel, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie, also Feindlichkeit gegenüber Lesben und Schwulen. Die verschiedenen Gesichter der Diskriminierung werden im Netzwerk ebenfalls thematisiert. So trägt das neue Heft des Aktionsbündnisses den Titel "Fatma ist emanzipiert und Michael ein Macho". Jugendliche beschreiben in Porträts und Reportagen interkulturelle Lebenswelten und moderne Gemeinschaftsformen.
Schule mit Courage
Sogar Grundschulen machen schon bei "Schule ohne Rassismus" mit. Das Netzwerk wächst täglich. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Migrantenfamilien ist hoch und gibt damit ein gutes Beispiel für das selbstverständliche Miteinander verschiedener Kulturen in den Schulen. Mittlerweile gehören rund 1000 Schulen in Deutschland dem 1995 gegründeten Netzwerk an, das Mitte der 80er Jahre in Belgien entstanden ist. Als dort eine rechtsradikale Partei ins Parlament einzog, wurden Schüler und Lehrer aktiv.
Sebastian Kahl unterstützt das Netzwerk schon lange - erst hat er als Schüler selbst Aktionen geplant, jetzt berät er als studentischer Mitarbeiter des Projekts viele Berliner Schulen. "Die Arbeit ist unglaublich interessant und besonders Studenten, die Lehrer werden möchten, kann ich die Mitarbeit in unserem Netzwerk sehr empfehlen", sagt er.
Sebastian Kahl hat den Schülerinnen und Schülern neue Impulse gegeben für den Kampf gegen den täglichen Rassismus. Als er geht, diskutieren die Jugendlichen am Max-Planck-Gymnasium noch eine ganze Weile weiter. Über ihren Köpfen hängt ein Schild. "Schule mit Courage" steht darauf.