Schäuble will Europa zusammenhalten
27. Februar 2015"Unterirdisch", sagt Jürgen Trittin und schüttelt den Kopf: "Das Herausmobben eines Staates aus der EU". Der Grünen-Abgeordnete meint die Titelseite der BILD-Zeitung am Freitag. Maurer Steffen Beier, Rentnerin Tove Röttger und weitere Leser rufen dort den Bundestag auf, die Verlängerung der Griechenland-Hilfe abzulehnen. Trittin ist im Fahrstuhl auf dem Weg in den Versammlungsraum seiner Fraktion. Dort liegen Schilder, auf denen "Ja zu Europa" steht. Die tragen die Abgeordneten der Grünen-Fraktion später in den Plenarsaal. Ein kleiner Konter gegen BILD.
Wolfgang Schäuble sitzt am Freitagmorgen vor allen anderen Ministern auf der Regierungsbank, zehn Minuten vor Sitzungsbeginn. Der Finanzminister will grünes Licht für die Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Griechenland.
Es ist kein leichter Tag für den langgedienten Politiker, denn die maßgeblich von ihm verantwortete Zustimmung in der Euro-Gruppe strapaziert Geduld und Vertrauen der Abgeordneten in den Rettungskurs der Regierung auf das Äußerste. Vor allem in der eigenen Fraktion. Mehr Nein-Stimmen als bei jeder anderen Abstimmung über die Hilfspakete für die Euro-Rettung aus den Reihen der Union sind zu befürchten.
Der lange Weg der Griechen
Der Weg zur Wettbewerbsfähigkeit sei für Griechenland länger als für jedes andere Land der Euro-Zone, sagt Schäuble in seiner Rede. Gleichzeitig seien Sozialleistungen, Mindestlöhne und Lebensstandard in Griechenland auch heute noch höher als in anderen Ländern, und daran sollten die Griechen auch denken, wenn sie Solidarität einforderten. Deutschland gehe es gut und es sei weiter bereit, Griechenland in außergewöhnlichem Maße zu helfen, aber Athen müsse das Seine tun, betont Schäuble.
Europa werde nur dann eine gute Zukunft haben, wenn die Europäer in guten und weniger guten Zeiten zusammenstünden, sagt der 72-Jährige - und fügt hinzu: "Wir Deutschen sollten alles tun, um Europa zusammenzuhalten". Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit Verspätung auf der Regierungsbank eingetroffen, spendet ihrem Finanzstrategen ebenso Beifall wie die Mehrheit des Hauses. Etwas nüchterner fasst später der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider die Lage zusammen. Ein Austritt Griechenlands nach einem Staatsbankrott wäre die teuerste aller Lösungen, sie würde Deutschland jene 60 Milliarden Euro kosten, für die es bürgt.
Wieder einmal Varoufakis
"Wir sind alles Demokratien", sagt Schäuble, das griechische Volk habe eine Wahlentscheidung getroffen. Der heftige Beifall aus der Linksfraktion an dieser Stelle ruft vereinzelte Lacher hervor, doch Schäuble ist angespannt. Wegen der Bedeutung der Debatte sei er im Gegensatz zu anderen Anlässen gar nicht so recht zu Scherzen aufgelegt, teilt der Finanzminister mit. Es gehe nicht um neue Milliarden, sondern um mehr Zeit, das laufende Hilfsprogramm erfolgreich abzuschließen, wirbt er um Zustimmung. "Griechenland hat es akzeptiert, das Programm der Institutionen ohne Einschränkungen zu erfüllen", sucht er die Zweifler zu beruhigen. Vertrauen ist die Währung der Politik, ergänzt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.
Etwa zur gleichen Zeit läuft allerdings über Twitter eine Meldung, der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis habe in einem Interview mit dem Fernsehsender Antenna in Griechenland gesagt, die Vereinbarungen mit der Eurogruppe seien absichtlich so vage gehalten, damit sie leichter die Parlamente der Euro-Zone passieren könnten. Das sei "produktive Undeutlichkeit". Für manche deutsche Parlamentarier ist es vor allem ein neuer Affront. Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch zitiert diesen Tweet des griechischen Journalisten Yannis Koutsomitis und fragt in den Plenarsaal hinein: "Würden Sie von Tsipras oder Varoufakis einen Gebrauchtwagen kaufen?" Willsch gehört zu jenen Unions-Abgeordneten, die am Ende mit Nein stimmen, weil sie für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sind. "Wenn man nicht in die richtige Richtung fährt, hilft es nicht, das Tempo zu erhöhen", gibt Willsch zu bedenken.
Fast alle Nein-Stimmen aus der Union
Gegen 11 Uhr schreiten die Abgeordneten zu den Urnen. Es ist die fünfte Abstimmung im Bundestag zur Griechenlandhilfe seit Mai 2010. Die BILD hat Fotos von lachenden Abgeordneten bei den vorangegangenen vier Abstimmungen veröffentlicht und provozierend gefragt: Stimmt der Bundestag heute wieder so fröhlich zu?
Die Antwort ist eindeutig, es wird gescherzt und gelacht und einige schießen Selfies beim Einwurf des Zettels in die Wahlurne. Ist es die Überzeugung, das Richtige zu tun oder nur die Vorfreude auf das Wochenende?
Es sind viele unterschiedliche Motive, die letztlich die überwältigende Mehrheit von 541 Ja-Stimmen - bei nur 32 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen - zustande bringen.
Das Regierungslager steht trotz zunehmender Zweifel in der Union weiter zum Euro-Rettungskurs Merkels und Schäubles. Jeder habe ein Gefühl, "das nicht nur positiv ist", sagt CSU-Politiker Scheuer, "aber wir müssen hoffen, dass die griechische Regierung ihre Zusagen einhält". Der Geduldsfaden sei bei manchen allerdings schon gerissen. Von den 32 Nein-Stimmen kommen, so meldet später Reuters, 29 aus der Union und nur drei aus der Linken, die bisher alle Hilfspakete Schäubles für Griechenland abgelehnt hat. Doch nun ist alles anders.
"Die Linke bringt die EU durcheinander"
Die Regierung der befreundeten Syriza breche mit der gescheiterten Kürzungspolitik, das verändere Griechenland und Europa, ruft Linken-Fraktionschef Gregor Gysi aus. Deshalb stimme die Linke an diesem Tag erstmals mehrheitlich einem von Schäuble eingebrachten Antrag zur Griechenland-Hilfe zu. Die Syriza-Regierung habe sofort die ganze Europäische Union durcheinander gebracht, freut sich Gysi außerdem: "Da sehen Sie mal, was eine linke Regierung alles kann".
Gejohle im Saal. Der Satz kommt nicht gut an. Der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider erinnert daran, dass Syriza in Athen mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen regiert. Der Wähler werde es hoffentlich verhindern, dass die Linke in Deutschland mit der ebenfalls rechtspopulistischen Partei AfD koaliert, lästert Schneider in Gysis Richtung.
Die oppositionellen Grünen schließlich teilen Schäubles Einschätzung über die bisherigen "Erfolge" der Troika-Politik in Griechenland ebenso wenig wie die Linken. Die Wirtschaftsleistung sei um 20 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit habe sich um 25 Prozent erhöht und die Schuldenquote um 26 Prozent, listet Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter auf. Aber man wolle dafür streiten, dass nicht einfach das Hilfsprogramm verlängert werde, sondern auch seine Bedingungen verändert würden. Mit dieser Hoffnung stimmen die Grünen geschlossen mit Ja.