Schwierige Verhandlungen für Cotonou-Folgeabkommen
22. Oktober 2018Eigentlich müsste alles ganz einfach sein. Die EU und die 79 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) haben einige Routine darin, miteinander Verträge auszuhandeln. Das erste Abkommen schlossen sie vor über 40 Jahren. Aktuell regelt das Cotonou-Abkommen die Beziehungen zwischen beiden Staatengruppen, es endet allerdings 2020. Seit Ende September laufen die Verhandlungen über einen neuen Vertrag. "Die sind aber kein Selbstläufer", warnt Evita Schmieg, Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im DW-Interview.
Streit um Migration
Denn für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Das Cotonou-Abkommen betrifft mehr als 100 Länder und über 1,5 Milliarden Menschen weltweit. Drei wichtige Bereiche sind darin geregelt: Politische Beziehungen, Handelsfragen und die Entwicklungszusammenarbeit. Die sollen auch im neuen Abkommen stehen. In den Details liegen beide Seiten aber in vielen Punkten auseinander. "Seit dem Cotonou-Abkommen sind neue Herausforderungen dazugekommen, die damals noch nicht ersichtlich waren: Klimawandel, Terrorismus, die Nachhaltigen Entwicklungsziele oder Migration", sagt Norbert Neuser, entwicklungspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament zur DW.
Bei Klimafragen oder Terrorismus dürfte die Einigung nicht so schwer fallen, beim Thema Migration sieht es dagegen schon anders aus. Deutschland und andere europäische Länder wollen illegale Migranten schneller in ihre Herkunftsländer abschieben - das geht aber nur mit Unterstützung der Herkunftsländer. Dabei soll auch der neue Vertrag helfen. "Europa hat daran großes Interesse, die afrikanischen Staaten haben daran wenig oder kein Interesse", sagt SWP-Expertin Schmieg. Im Prinzip hätten sich alle Unterzeichner des Cotonou-Abkommens schon im Jahr 2000 bereit erklärt, illegale Migranten wieder zurückzunehmen. "Die AKP-Staaten haben schon gesagt dass sie den Artikel in dieser Form nicht wieder haben wollen."
Zweiter Zankapfel: Die Handelsbeziehungen. Das Cotonou-Abkommen hatte die umstrittenen Wirtschaftspartnerschaften eingeführt, die EU und diverse AKP-Mitglieder miteinander geschlossen haben. Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin, ihre Märkte für Waren der jeweils anderen Partner zu öffnen. Befürworter wie die EU-Kommission sagen: Durch den freien Handel entstehen Wohlstand und Arbeitsplätze. Kritiker aus der Zivilgesellschaft sagen: Märkte in den Entwicklungsländern werden von EU-Importen geflutet, ganze Wirtschaftszweige könnten kollabieren. Der Wegfall von Zöllen könnte massive Löcher in die Haushalte klammer Entwicklungsländer reißen. Einige afrikanische Länder weigern sich bislang, die bereits ausgehandelten Partnerschaftsabkommen umzusetzen.
Umstrittene Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
Die Handelsabkommen stehen zwar nicht mehr auf der Tagesordnung für die aktuellen Verhandlungen, der Streit ist aber noch nicht vom Tisch. "Die Hoffnung auf eine weitere Partnerschaft ist nur legitim, wenn sich beide Seiten dazu verpflichten, den Weg zum Wohlstand gemeinsam zu gehen", schreibt der AKP-Verhandlungsführer, Togos Außenminister Robert Dussey, dazu auf seiner Homepage. "Die Partnerschaft zwischen der AKP und der EU kann ihr Versprechen nur halten, wenn sie die Entwicklungsbemühungen der AKP nicht zunichte macht oder dazu führt, dass ihre jungen Wirtschaftssektoren nicht gestört werden." Das könnte heißen, dass die AKP-Mitglieder bei den weiteren Verhandlungen auf mehr Entgegenkommen aus Europa drängen - zum Beispiel auf einen leichteren Zugang zum dortigen Dienstleistungsmarkt oder mehr europäische Investitionen.
Gerade in Wirtschaftsfragen kann die AKP-Gruppe mit viel Selbstbewusstsein in die Verhandlungen gehen. Viele Mitgliedsländer waren früher britische oder französische Kolonien, europäische Länder waren lange ihre wichtigsten Wirtschaftspartner. In Afrika hat sich das geändert: Längst ist China wichtigster Handelspartner des Kontinents, 2017 lag das Handelsvolumen bei 170 Milliarden US-Dollar. In den nächsten Jahren will China Kredite und Investitionen in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar bereitstellen. Europa bleibt zwar für die AKP-Staaten wichtig, mit China haben sie aber ein Druckmittel in der Hand. "Die afrikanischen Vertreter wissen genau, dass viele Europäer China als Bedrohung sehen. Sie werden damit spielen, unsere europäische Einigungsbereitschaft wird dadurch vergrößert werden", sagt der SPD-Parlamentarier Neuser.
Wer verhandelt mit wem?
Neben den Inhalten gibt es auch noch offene technische Fragen. Bisher schlossen EU und AKP jeweils ein gemeinsames Abkommen ab. Doch die Interessen und Prioritäten klaffen weit auseinander, da die AKP aus Staaten in Afrika, der Karibik und dem Pazifik besteht. Die EU will dem Rechnung tragen und neben einem Gesamtabkommen noch drei regionale Abkommen schließen. "Es macht auch Sinn, dass wir erst die gemeinsamen Ziele verhandeln und dann die regionalen Besonderheiten. Das ist etwas Neues für die AKP, aber sie hat sich schon immer an neue Umstände angepasst", sagt AKP-Generalsekretär Patrick Gomes aus Guyana. Unklar ist allerdings, wie die Verhandlungen für das Afrika-Abkommen laufen werden. Beispielsweise hat die Afrikanischen Union vorgeschlagen, die Verhandlungen zu übernehmen. Problem: Zur AU gehören auch Staaten, die keine AKP-Mitglieder sind.
Bei so vielen Fragezeichen glaubt längst nicht jeder, dass ein neues Abkommen bis 2020 auf dem Tisch liegen wird. SPD-Parlamentarier Neuser ist dennoch optimistisch: "Wir sind auf einem guten Weg, das zeigt der Start der Verhandlungen. Es gibt einen großen Willen bei der EU und bei den AKP-Ländern, bis 2020 ein neues Abkommen zu haben."
Mitarbeit: Gebeyaw Nigussie (Brüssel)