Gauck vor schwierigen Gesprächen
27. April 2014Elisa ist neun Jahre alt und lebt seit einem Jahr im Flüchtlingslager Kahramanmaras im Südosten Anatoliens. Mit ihren Eltern floh sie aus Idlib in Syrien, als die Regierung die Stadt bombardieren ließ. Hier sei es schön, die Menschen hätten keine Angst, findet Elisa - zurück in ihre Heimat möchte sie nicht, solange die Gewalt dort nicht endet.
Für die Flüchtlinge in Kahramanmaras wird der Alltag heute unterbrochen - der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck fährt mit langer Wagenkolonne vor, dicht gedrängt stehen die Menschen am Zaun. 16.000 leben inzwischen in dem umzäunten Lager mitten in der Stadt.
Die türkischen Behörden sind für den Betrieb verantwortlich. Ein Mal pro Woche wird das Gelände von UNHCR-Repräsentanten kontrolliert. Das Lager ist mehr als ausgelastet. Zelt reiht sich an Zelt, belegt mit je fünf Personen auf 16 Quadratmeter, 30 Flüchtlinge müssen sich eine Toilette teilen. Es gibt zwei Schulen, eine Apotheke, ein kleines Krankenhaus, in dem seit Gründung des Lagers bereits 1500 Kinder geboren wurden.
Bundespräsident würdigt Leistung der Türkei
Jeder im Lager erhält im Monat 80 türkische Lira in Form von Gutscheinen für Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs. Die Gutscheine müssen in einem der Supermärkte des Lagers eingetauscht werden. Aus anderen Flüchtlingslagern gibt es Berichte, wegen überteuerter Preise. Dort reiche das Geld bei weitem nicht aus. In Kahramanmaras wurde der Betrieb des Supermarktes öffentlich ausgeschrieben. Die Preise seien niedriger, es gebe weinig Beschwerden, wird dem Präsidenten auf seinem Rundgang berichtet.
Gauck beginnt seinen Türkei-Besuch nicht ohne Hintergedanken in Kahramanmaras. Es sei ein "Zeichen des Respekts, hier die Leistung der Türkei bei der Unterbringung der Flüchtlinge zu würdigen", sagt der deutsche Bundespräsident. Lob für das Land - da fällt es in den kommenden Tagen leichter eher kritisch über die Lage der Freiheitsrechte und die große Korruption im Land sprechen zu müssen.
Nur jeder vierte syrische Flüchtling in der Türkei ist allerdings überhaupt in einem der Lager untergekommen, schätzen Nichtregierungsorganisationen. Andere leben bei Verwandten oder konnten sich eine Wohnung leisten - viele aber sitzen auf der Straße. 800.000 Syrer sind nach Regierungsangaben bislang in die Türkei geflohen - inoffiziell soll die Zahl fast doppelt so hoch liegen. Arbeit gibt es für die syrischen Flüchtlinge kaum. Begeistert ist man in der Türkei nicht gerade von der zusätzlichen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die Arbeit auch zu Dumpinglöhnen annimmt.
Gauck will in Deutschland für mehr Hilfe werben
Im März gab die türkische Regierung bekannt, ihre Ausgaben für die Flüchtlinge beliefen sich bislang auf fast zwei Milliarden Euro - ein Großteil davon für die gesundheitliche Versorgung. Dazu kommen Finanzhilfen internationaler Organisationen und der Geberländer.
Deutschland hat für Projekte des Roten Kreuzes in der Türkei seit 2012 5,9 Millionen Euro bereitgestellt. Auch diese Hilfe streicht Gauck bei seinem Besuch in Kahramanmaras noch einmal heraus. Die Lage im Lager habe ihn bedrückt, erklärt er zum Abschluss. Er werde bei der deutschen Regierung nach seiner Rückkehr für mehr Hilfe für die Türkei werben. Und auch Deutschland, das bis jetzt 5000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, "sollte sich fragen, ob es schon am Ende seiner Möglichkeiten angelangt ist".
NATO-Engagement als Argumentationshilfe
Kahramanmaras - das ist auch die Stadt, in der fünf deutsche Patriot-Raketensysteme stationiert sind, um die Türkei vor syrischen Angriffen mit Chemiewaffen zu schützen. Auch bei den deutschen Soldaten schaut Gauck vorbei, oben in den Hügeln über der Stadt haben sie ihre Stellungen. Das Flüchtlingslager kann man von hier aus sehen. In seinem Grußwort an die Soldaten merkt Gauck an, auch die internationale Hilfe für die Türkei im Rahmen der NATO liefere Argumente für offene und ehrliche Gespräche über schwierige Themen in den kommenden Tagen. Die Treffen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Präsident Abdullah Gül scheint Gauck gut vorbereiten zu wollen.
Elisa, das Flüchtlingskind ist während des Besuches im Lager ein paar Minuten neben dem Tross des deutschen Präsidenten gelaufen - so wie viele ihrer Freundinnen und Freunde. Nett sah er aus und habe viel mit den Kindern gelacht und gewunken, erzählt sie. Und so viele wichtige Leute kämen ja nicht. Es sei immer schön, wenn hier in Kahramanmaras im Lager etwas los sei. Bei den deutschen Soldaten oben auf den Hügeln klang das etwas später ganz ähnlich.