1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Schwere Vorwürfe gegen Bundesregierung

25. August 2021

"Wir sind verbittert", sagt das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Die politische Führung in Berlin habe bei der Evakuierungsmission kläglich versagt. Diese lockerte die Bedingungen zur Aufnahme der Ortskräfte.

https://p.dw.com/p/3zRSG
Demonstration 'Luftbrücke jetzt! Schafft sichere Fluchtwege aus Afghanistan!' in Berlin
Demonstranten in Berlin verlangen am Sonntag von der Bundesregierung sichere Fluchtwege aus AfghanistanBild: Ben Kriemann/Geisler/picture alliance

Das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Vereinsvorsitzende Marcus Grotian sagte, das Kanzleramt habe auf mehrere Briefe und E-Mails im Juni und Juli nicht reagiert. Schon damals habe er darauf hingewiesen, dass sich die verschiedenen Ministerien bei der Aufgabe, Ortskräfte von Bundeswehr und deutschen Hilfsorganisationen aus Afghanistan zu retten, "gegenseitig blockieren". Das Kanzleramt hätte eingreifen können, habe es aber nicht getan.

Der Verein, der sich um afghanische Ortskräfte kümmert, warnt seit Monaten davor, dass sich die radikalislamischen Taliban an Helfern ausländischer Organisationen und deren Familien rächen könnten. "Ich habe den Eindruck, wir haben hier Menschen bewusst und wissentlich zurückgelassen", sagte Grotian. Nach Einschätzung des Patenschaftsnetzwerks wären 8000 Menschen - Ortskräfte und ihre Familienangehörigen - berechtigt, einen Antrag auf ein Visum für Deutschland zu stellen.

"In diesen Minuten werden Menschen abgewiesen"

Doch diese Zahl sei "mit bürokratischen Tricks" nach unten gedrückt worden. Die Bundesregierung sprach bis Mitte August von rund 2500 ausreiseberechtigten Afghanen. Grotian betonte vor der Bundespressekonferenz, in diesen Minuten würden Menschen am Flughafen von Kabul abgewiesen, die nicht auf den Listen stünden, weil sie "für ein Ressort gearbeitet haben, das nicht bürokratisch erfasst ist".

Konflikt in Afghanistan | Bundeswehr in Taschkent
"Abgewiesen, weil sie nicht auf Listen standen": Evakuierungsflugzeug vor dem Start in Kabul am FreitagBild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa/picture alliance

Er fügte hinzu: "Alle anderen Länder evakuieren jetzt alle Ortskräfte. Wir evakuieren die, die man ausgewählt hat. Das finden wir verwerflich." Selbst eine Frau, die noch 2017 für die deutsche Entwicklungsagentur GIZ gearbeitet habe, sei am Flughafen von deutschen Soldaten abgewiesen worden. Man sei über den Umgang mit diesen Menschen in einem Maße erbittert, "dass wir es nicht in Worte fassen können". Grotian sprach wörtlich von "unterlassener Hilfeleistung". Er sei fassungslos, dass die politische Führung jede Verantwortung für diese "Katastrophe" von sich weise. "Wir sind von der eigenen Regierung moralisch verletzt, und das ist beschämend."

Regierung ändert Bedingungen

Die Bundesregierung teilte inzwischen mit, sie habe die Bedingungen für die Aufnahme von Ortskräften nochmals gelockert. Ab sofort könnten alle nach Deutschland kommen, die seit 2013 einmal bei Bundeswehr oder den Bundesministerien unter Vertrag waren. Frühere Mitarbeiter des Entwicklungsministeriums und des Auswärtiges Amtes konnten bisher nur einen Antrag stellen, wenn sie in den vergangenen zwei Jahren dort beschäftigt waren. Verteidigungsministerium und Innenministerium hatten die Frist bereits im Juni auf 2013 ausgeweitet. Wie viele Ortskräfte die Lockerung betrifft, ist noch unklar.

Die deutsche Luftbrücke vom Flughafen Kabul aus wird nach gegenwärtiger Planung am Freitag eingestellt, wie das Wirtschaftsmagazin "Business Insider" unter Berufung auf Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes berichtet. An diesem Tag werde vorerst die letzte Maschine aus Kabul nach Taschkent fliegen.

jj/fab/se/as (dpa, afp, rtr, epd)