Schutzzölle: Von Bismarck zu Trump
22. März 2018Deutsche Welle: Herr Professor Abelshauser, für protektionistische Maßnahmen durch Zölle gibt es historische Vorbilder. Zum einen in den USA selbst: 1930, kurz nach dem großen Crash an der Wall Street, trat das Hawley-Smoot-Steuergesetz in Kraft. Hunderte Importzölle wurden drastisch erhöht. Was waren die Folgen?
Werner Abelshauser: Die Folgen lagen in der Abschottung des amerikanischen Binnenmarktes für Länder wie Deutschland, die mit Dumping-Preisen die Folgen der Weltwirtschaftskrise abwenden wollten. Der deutsche Kanzler Brüning hat ja immerhin ein Jahr lang mit Erfolg versucht, über den Außenhandel die Krise in Deutschland zu dämpfen. Das ging auf Kosten der Länder, die die deutschen Exportüberschüsse zu verkraften hatten - und dem schoben die USA dann den Riegel vor.
Heute haben wir keine Weltwirtschaftskrise. Aber vergleichbar ist, dass diese gewaltige Schutzmauer aus Zöllen, die die Amerikaner 1930 gebaut haben, auf eine populistische Welle zurückging. Es war nicht der Präsident, es war nicht das Establishment, sondern es waren Hinterbänkler im Kongress, die sich gegen die Regierung durchgesetzt haben.
Aber es scheint ja nicht funktioniert zu haben. In vielen amerikanischen Lehrbüchern wird das Hawley-Smoot-Gesetz als Paradebeispiel dafür angeführt, dass Protektionismus nicht funktioniert. Die Zollerhöhungen sollen die Große Depression der 1930er Jahre verstärkt haben.
Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre ist nicht von der Weltwirtschaft ausgegangen, sondern vom Kapitalmarkt. Dagegen war mit einer Zollmauer wenig zu machen. Die hat lediglich dazu geführt, dass man sich in einer besseren Lage gefühlt hat. Und sie hat dazu beigetragen, dass dieser populistische, öffentliche Druck den folgenden Präsidenten Roosevelt zum "New Deal" ermuntert hat, der ja die wirkliche Strategie gegen die Weltwirtschaftskrise war.
Blicken wir nach Deutschland. 1878/79 führte Reichskanzler Bismarck hohe Schutzzölle ein. Was waren seine Gründe?
Das ist wirklich ein Fall, der mit dem heutigen sehr vergleichbar ist. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Phase der Globalisierung, und Deutschland gehörte dabei zu den Gewinnern. In dieser Zeit entstanden die Großchemie, der Maschinenbau, die Elektrotechnik, Unternehmen wie BASF oder Siemens wurden gegründet - Hightech-Firmen, die einen großen Teil ihres Umsatzes auf dem Weltmarkt machten.
Gleichzeitig aber bedeutete die Globalisierung für die deutsche Stahlindustrie und für die Landwirtschaftsbetriebe im Osten den Verlust ihrer Märkte. Etwa 40 Prozent aller Arbeitnehmer waren von der Globalisierung negativ betroffen. Für diese Märkte hat Bismarck deshalb Schutzzölle eingeführt. Und es hat funktioniert: Die Stahlindustrie hat sich modernisiert, die Landwirtschaft konnte sich stabilisieren.
Der Vergleich zu heute liegt auf der Hand: In den USA profitiert die Hightech-Industrie an der West- und Ostküste von der Globalisierung, aber die Industrie im Gebiet dazwischen gehört zu den Verlierern. Kein Land kann es sich leisten, einen erheblichen Anteil seiner Bevölkerung leiden zu lassen. Ich interpretiere die Schutzzölle daher als den verzweifelten Versuch, die Auswirkungen der Globalisierung auf die USA zu beeinflussen. Ob allerdings heute die Stahlindustrie dieselbe Rolle spielen kann wie damals in Deutschland, muss bezweifelt werden.
Trumps Zollpläne wurden stark kritisiert: Protektionismus sei schlecht, führe zu höheren Preisen und weniger Wettbewerb. Doch Ihr Beispiel aus der Bismarck-Zeit scheint zu zeigen, dass es so einfach nicht ist.
Ja, und es gibt wissenschaftliche Gründe dafür. Denken Sie an Friedrich List (1789-1846), bis heute der bekannteste deutsche Ökonom. Im Prinzip war List Freihändler. Aber er hat nachgewiesen, dass der Freihandel nur für diejenigen gut ist, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Für Deutschland forderte er deshalb Schutzzölle - aber nur so lange, bis Deutschland auf Augenhöhe mit z.B. Großbritannien gekommen wäre. Dass auf dem Weltmarkt nur die liberalen Spielregeln des Freihandels gelten dürfen, ist eine ideologische Aussage. Es kann durchaus angezeigt sein, zunächst einmal Schutzzölle einzuführen, um die eigene Wirtschaft auf Augenhöhe mit anderen Wettbewerbern zu bringen.
US-Präsident Trump spricht viel von reziproken Zollsätzen, den so genannten Spiegelzöllen. Es sei fairer, wenn beide Seiten für dieselben Produkte auch dieselben Steuersätze erheben würden. Schaut man sich die Importzölle zwischen der EU und die USA an, herrscht da in der Tat ein großes Durcheinander. Es gibt Tausende Produkte und nur für ein Viertel davon sind die Zollsätze auf beiden Seiten gleich. Wie ist es zu diesem Durcheinander gekommen?
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also in dieser Phase der Globalisierung, gab es hunderte bilaterale Handelsverträge, in denen die Zollsätze festgelegt wurden. Das hat sich dann weiterentwickelt zum GATT, dem "General Agreement on Tariffs and Trade", das heute zur Welthandelsorganisation WTO geworden ist. Zwischen 1947 und bis 1993 gab es acht Verhandlungsrunden, in denen jeweils Kompromisse geschlossen wurden nach dem Motto "erhebst du da einen Zoll, darf ich auf ein anderes Gut einen Zoll erheben". Und es gab viele Interessenkonflikte wie den "Hähnchenkrieg" 1964. Die US-Wirtschaft exportierte viele Agrarprodukte, vor denen Frankreich seine Bauern unbedingt schützen wollte. Das Durcheinander bei Zöllen hat also ein lange Tradition - und auch viel mit innenpolitischen Interessen zu tun.
Ist Trumps Argument mit den Spiegelzöllen sinnvoll? Also dass beide Seiten denselben Zollsatz auf z.B. Autos erheben?
Das klingt zwar überzeugend, aber ich denke, es ist nicht sinnvoll. Sinnvoller wäre, die spezifischen Interessen der jeweiligen Exportindustrien zu kennen und da einen Ausgleich zu finden. Man könnte sagen: Ok, ihr bekommt einen Vorteil auf diesem Gebiet, da können wir das verkraften. Dafür gebt ihr uns Vorteile auf anderen Gebieten, auf den ihr das verkraften könnt. Diese Vielfalt der Zölle und Regeln ist ja nicht vom Himmel gefallen. Und ich denke, das wird nicht mit einem Federstrich zu beseitigen sein. Trotzdem muss man Trump Recht geben, wenn er entgegen der liberalen Ideologie sagt, wir müssen die Interessen unserer Menschen berücksichtigen.
Was halten Sie von Trumps Argument, dass ein großer Teil des internationalen Handels unfair für die US-Wirtschaft sei?
Das ist nicht grundsätzlich falsch, gilt aber nur für bestimmte Märkte. Nehmen wir die IT-Industrie an der Westküste der USA. Die hat beim Wettbewerb in Europa Vorteile, die gar nicht mit Geld aufzuwiegen sind. Sie machen hier gute Geschäfte und müssen bisher kaum Steuern oder Zölle bezahlen. Insofern kann sich das Argument, der Handel sei unfair für die USA, auch schnell ins Gegenteil verkehren.
Mit der Ausnahmeregelung für europäische Stahl- und Aluminiumexporte ist der Konflikt erst einmal entschärft. Die EU hatte ja bereits Gegenmaßnahmen angedroht. Auch China will reagieren. Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu einer Eskalation kommt?
Ich halte eine Eskalation für nicht sehr wahrscheinlich, und es droht auch kein Handelskrieg. Einen Handelskrieg hatten wir zuletzt während des Kalten Krieges, als westliche Firmen zum Beispiel keine Computer nach Russland liefern durften. Mit der Situation heute ist das aber nicht zu vergleichen. Hier geht es nicht um Krieg, sondern um Aushandlung von Regeln.
Dr. Werner Abelshauser ist Forschungsprofessor für Historische Sozialwissenschaft der Universität Bielefeld. Das Bundeswirtschaftsministerium hat ihn in seine unabhängige Geschichtskommission berufen. Er ist Autor des Standardwerkes Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart. Jüngst ist das vierbändige Werk Wirtschaftspolitik in Deutschland 1917-1990 erschienen, dessen Mitherausgeber und -autor er ist.