Der schmutzige Kampf um die Äcker
26. Juni 2018Frantisek Oravec wollte nie etwas anderes als Bauer sein - so wie auch sein Vater und sein Großvater. Der 47-Jährige besitzt einen stattlichen Hof in Gynov, einem kleinen Dorf im Südosten der Slowakei. Der Hof ist so etwas wie sein Lebenswerk, aufgebaut in zweieinhalb Jahrzehnten. Oravec bewirtschaftet fast 3.000 Hektar Land - teils gehört es ihm selbst, teils ist es gepachtet. Doch in den vergangenen drei Jahren hat er seine Äcker kaum noch selbst bestellt oder sich um seine Tiere gekümmert. Statt dessen wälzt er Akten, liest Anwaltsschreiben und muss zu Gerichtsterminen erscheinen. Oder sich im Krankenhaus behandeln lassen.
Während Oravec davon erzählt, hält er ein Foto hoch. Es zeigt ihn im Gesicht blutend, mit gebrochener Nase - nachdem er auf seinem eigenen Ackerland zusammengeschlagen wurde. "Sie wollen mir mein Land wegnehmen", ruft Oravec aus, halb hilflos, halb empört. "Aber leben wir nicht in einem Rechtsstaat und in der Europäischen Union?!"
Ein moderner Landraub
Oravec gehört zu einer Gruppe von zwei Dutzend kleineren und mittleren Bauern in der Ostslowakei, die Opfer einer modernen Form von Landraub sind: Mit Hilfe juristischer Tricks eignen sich Netzwerke slowakischer Lokalpolitiker und Unternehmer die Verfügungsgewalt über landwirtschaftliche Nutzflächen an, um EU-Direktsubventionen für Agrarflächen zu kassieren.
Möglich machen dieses Geschäftsmodell zum einen Gesetzeslücken und -spielräume in den slowakischen Regelungen zur Subventionsvergabe, zum anderen aber auch die Machtstrukturen eines Landes, in dem es vor allem auf gute Beziehungen zur regierenden Elite ankommt.
Ein langer Marsch durch die Instanzen
Bei Oravec fingen die Probleme im Jahr 2015 an. Eine Agrarfirma, so erzählt es der Bauer, habe plötzlich rund 700 Hektar Ackerland bewirtschaftet, das ihm gehörte und das teilweise brach lag. Als er sich an die Polizei gewandt habe, so Oravec, habe die Firma gefälschte Pachtverträge vorgelegt. Die Polizei habe daraufhin erklärt, nichts tun zu können, der Fall müsse gerichtlich geklärt werden. Bei der slowakischen Behörde für die Vergabe der EU-Direktsubventionen an Landwirte (Podohospodarska Platobna Agentura, PPA) habe die Firma die angeblich gefälschten Pachtverträge ebenfalls präsentiert, sagt Oravec. Daraufhin wurden alle Zahlungen gestoppt. Seit drei Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dem Fall.
Zwischenzeitlich erwirkte Oravec zwar ein Urteil, das ihm den Rechtsanspruch auf sein Land bestätigte, doch der Weg durch die Instanzen dauert bis heute an. Mehr noch: Im September 2016 wurde Oravec bei dem Versuch, die missbräuchliche Bewirtschaftung seines Landes mit einer Handy-Kamera zu filmen, zusammengeschlagen. Neben einem Nasenbruch erlitt er auch Verletzungen der Wirbelsäule.
Angst zu sprechen
Die Firma, die Oravec sein Land streitig macht, heißt ESIN Group. Sie ist in zahlreichen Geschäftsfeldern tätig: von der Immobilienentwicklung über den Kraftwerksbau und die Spezialbetonfertigung bis hin zur Landwirtschaft. Auf Nachfrage der Deutschen Welle zum Fall Oravec antwortet die Firma nicht. Auch PPA-Vertreter nehmen zu dem Fall auf DW-Anfrage keine Stellung.
Frantisek Oravec ist einer von rund zwei Dutzend Bauern im Osten der Slowakei, die in den letzten Jahren Ähnliches erlebt - und darüber offen gesprochen haben. Die Dunkelziffer der Fälle könnte weitaus höher sein, viele der Betroffenen berichten, dass sie ihrerseits Fälle von Kollegen kennen würden, die sich aus Angst um Leib und Leben nicht an die Öffentlichkeit wenden.
Schon seit längerem kursieren Geschichten wie die von Oravec nur vereinzelt in slowakischen Lokalmedien, zum Teil auch in überregionalen Medien. Denn es geht oft um komplizierte Rechtsstreitigkeiten, zudem fürchten viele slowakische Redaktionen verklagt und dadurch finanziell in den Ruin getrieben zu werden.
Investigativjournalist Kuciak war nah dran
Tragischerweise führte erst der Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak Ende Februar dazu, dass viele Fälle politischer Korruption und organisierter Kriminalität landesweit bekannt wurden. So war es auch bei den "Landraub"-Skandalen. Inzwischen geben sogar hochrangige slowakische Beamte wie etwa Generalstaatswanwalt Jaromír Ciznár zu, dass im Osten der Slowakei eine "Agrarmafia" am Werk ist, in der Lokalpolitiker und Unternehmer zusammen mit korrupten Beamten Bauern um ihr Land bringen, um EU-Direktsubventionen für Agrarflächen zu kassieren.
Der Staatspräsident Andrej Kiska forderte die Regierung und die Behörden in den letzten Monaten mehrmals auf, die Probleme der ostslowakischen Landwirte zu lösen. Ende letzter Woche empfing er eine Delegation der betroffenen Bauern, nachdem diese in Bratislava bei einer Protestaktion mit Traktoren den Verkehr blockiert hatten. Landwirtschaftsministerin Gabriela Matecna weigerte sich ihrerseits, die protestierenden Bauern zu empfangen. Allerdings soll eine Untersuchungskommission nun Licht in die Vorgänge bringen. Doch die Bauern fühlen sich hingehalten.
Wie im Wilden Westen
Auch Frantisek Oravec. Manchmal hat er den Eindruck, für vogelfrei erklärt worden zu sein. Die Polizei habe nichts unternommen, als er zusammengeschlagen wurde, erzählt er, immer wieder erhalte er Drohbotschaften. Jeder in der Slowakei könne ohne großen Aufwand Pachtverträge fälschen und damit teils langwierige Gerichtsprozesse in Gang setzen.
Er habe schon einen Teil seines Besitzes verkaufen müssen, um seine Anwalts- und Gerichtskosten zu finanzieren. Das Vertrauen in den slowakischen Staat hat Oravec verloren. "Das hier ist kein Rechtsstaat, es ist wie vor 300 Jahren in Amerika", sagt der Bauer. "Jemand kommt, steckt einen Pflock ins Land und sagt: `Das ist jetzt meins!´"