Landraub in der Slowakei
4. April 2018Michalovce, Hauptstraße bei der Lukoil-Tankstelle um elf Uhr. Ich bin mit Landwirt Juraj Beres verabredet. Sein Sohn und mein Dolmetscher sind auch mit dabei. Aber beide wollen in dieser Geschichte nicht vorkommen. Sie haben Angst. Seitdem der Reporter Jan Kurciak und seine Verlobte erschossen wurden, hat sich die Atmosphäre in der Slowakei verändert.
Der Bauer Juraj Beres hat keine Angst. Ich folge ihm mit dem Auto zu Weizenfeldern rund zehn Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze. Die Ackerflächen sind groß und flach, ein Traum für jeden Ackerbauern.
Seit fast drei Jahrzehnten hat Juraj Beres hier fast 1000 Hektar Land bearbeitet. Stück für Stück hat er seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgebaut, sein Lebenswerk. Die Ackerflächen sind in Staatsbesitz. Die Landwirte wie Beres haben hier vor Ort langfristige Pachtverträge abgeschlossen, die ihnen auch bislang niemand streitig gemacht hat. Das änderte sich vor zwei Jahren. Da tauchte ein Ex-Polizist mit einem privaten Sicherheitsdienst während der Erntezeit auf dem Feld von Juraj Beres auf und behauptete, nun habe er die Flächen übernommen.
Drei Tage dauerte der Kampf
Der 58-jährige Beres wurde niedergeschlagen, mehrere Autos wurden während der Schlacht um die Felder schrottreif gefahren, der Mähdrescher konnte nicht mehr eingesetzt werden. Der Schlägertrupp verletzte Juraj Beres so schwer, dass er ins Krankenhaus musste. Drei Tage dauerte der Kampf.
Beres' Sohn hat die Schlägerei damals mit seinem Handy fotografiert. Die Bilder hat der Landwirt ausgedruckt und trägt sie in einer Mappe mit sich herum. Er zeigt auf den Fotos die Pistolen der Schlägertruppe. "Da hat man keine Chance", meint Beres. Sie haben sogar seinen Raps abgemäht und die Ernte verkauft.
Warum er nicht die Polizei gerufen hat? "Die Polizei war da, hat alle Namen notiert und ist wieder weggefahren", sagt Beres kurz und knapp. Seitdem haben die Behörden auf seine Anzeigen und Beschwerden nicht mehr reagiert. Ich spüre, dass er keinerlei Vertrauen in die staatlichen Institutionen der Slowakei hat. Über Nacht wurden seine Pachtverträge für ungültig erklärt, und der Ex-Polizist wurde als neuer Pächter in der zuständigen Behörde eingetragen.
Willkommen im Wilden Osten
Wir fahren zu einer Raststätte kurz vor dem Grenzübergang in die Ukraine. Der Hof ist mit einer hohen Mauer umgeben, scharfe Hunde laufen herum. Beres sperrt sie vorsichthalber in einem Zwinger, bevor wir den Hof betreten. "Ohne die Hunde hätte die Bande mir längst alles abgefackelt."
Auf dem Hof stehen Landmaschinen des Bauern. Von seiner ehemaligen Fläche sind ihm noch 140 Hektar geblieben. Die bewirtschaftet jetzt sein Sohn.
Der Bande gehe es nur um die EU-Subventionen, rechnet Beres vor. Für einen Hektar bezahlt die Europäische Union pro Jahr etwa 240 Euro. Das ist in jedem EU-Land so üblich. Die Bande um den Ex-Polizisten hat sich schon riesige Flächen unter den Nagel gerissen, berichtet Beres, und sie kassiere dafür jedes Jahr EU- Subventionen in Millionenhöhe. Die Felder werden nur halbherzig bearbeitet, oft nur in Sichtweise von Straßen, dahinter liegt alles brach. Juraj Beres kennt noch 30 andere Landwirte aus der Region, denen die staatlichen Pachtflächen durch Gewalt und Erpressung genommen wurden. Alle haben Angst, nur er ist bislang damit an die Öffentlichkeit gegangen.
Doch wer steckt dahinter? Juraj Beres nennt Namen. Hinter dem Ex-Polizisten stehen nach seinen Informationen Politiker, die Einfluss haben und die Kontrolle auch über die Polizei, auch über die Behörden bis hin zu der Agentur in Bratislava, die für die Vergabe der EU-Gelder zuständig ist. Der Landwirt meint, die langjährige Regierungspartei Smer des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Robert Fico "hat das ganze Land mit Mehltau überzogen".
Italien ist weit weg
Es heißt doch, die italienische Mafia ziehe hier im Osten die EU-Gelder ab, wende ich ein. Das war doch der letzte Stand im Mordfall des Journalisten. Der habe doch an einem Artikel über mutmaßliche Verbindungen höchster politischer Kreise in der Slowakei zur italienischen Mafia gearbeitet.
Beres lacht und schüttelt mit dem Kopf. "Die italienische Mafia? Nein, hier ist die slowakische Mafia am Werk." Er hält die Version, nach der die italienische Mafia die Täter stelle, für eine Nebelbombe, die nur von den wirklich Verantwortlichen ablenken solle. Italien ist hier im Osten weit weg.
Wir essen erst einmal eine Gulaschsuppe in der Raststätte. Der lange Kampf um die verlorenen Felder hat bei dem Landwirt, der einmal Tierarzt war, Spuren hinterlassen. Er wirkt wie ein gebrochener Mann, er ist an Krebs erkrankt. Die Leasingraten für seine Landmaschinen kann er nicht mehr zahlen, weil zwei Ernten ausgefallen sind und die EU- Subventionen fehlen. Demnächst ist eine Rate von 31.000 Euro fällig. Eigentlich ist er pleite.
Den Kampf um seine Felder aber will er nicht aufgeben. Er hofft, dass die Proteste im ganzen Land eine Wende bringen und er in einem wirklich rechtsstaatlichen Verfahren doch noch zu seinem Recht kommt.
Am Abend verabschiede ich mich von Juraj Beres. Das Ganze kommt mir vor wie in einem schlechten Western. Nur, dass es weit und breit keinen Sheriff gibt, der aufräumt. Auch der Marshall in Brüssel hat noch nichts mitbekommen.