Paracetamol kann Psyche und Blutdruck verändern
8. Februar 2022Paracetamol wird nicht nur bei kurzfristigen Schmerzen eingesetzt, es wird oft auch bei chronischen Schmerzen vom Arzt verschrieben. Die Nebenwirkungen, zu denen es dabei kommen kann, hat jetzt eine randomisierte Studie der Universität Edinburgh untersucht und sich dabei auf Bluthochdruck als mögliche Nebenwirkung konzentriert. 110 Freiwillige haben daran teilgenommen.
Zwei Wochen lang schluckten sie viermal täglich ein Gramm Paracetamol. Das entspricht laut Studie der üblichen Dosis für Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden. Nach den ersten beiden Wochen erhielten die Probanden über zwei weitere Wochen Placebos. Zwei Drittel der Teilnehmer nahmen regelmäßig Medikamente gegen Bluthochdruck.
Der Studie zufolge erhöhte Paracetamol den Blutdruck stärker als die Einnahme von Placebos. Veröffentlicht wurde die Studie in der kardiologischen Fachzeitschrift "Circulation", die in den USA herausgegeben wird.
Eindeutige Belege für einen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Schmerzmittels und dem Ansteigen des Blutdrucks konnte die Studie allerdings nicht feststellen. Das Team, das die Studie durchgeführt hat, rät, die langfristige Verschreibung von Paracetamol in jedem Fall zu überprüfen. Schließlich ist erhöhter Blutdruck ein wichtiger Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte.
Viele Patienten kennen die Nebenwirkungen nicht
Je nach Dosierung gehen Schmerzmittel wie Ibuprofen, Aspirin oder Paracetamol ohne Rezept problemlos über den Ladentisch. Bei Ibuprofen kommt es darauf an, wie viele Milligramm eine Tablette enthält. Liegt die gewünschte Dosis höher als die Menge, die rezeptfrei erhältlich ist, kann das natürlich mit mehreren Einzeldosen erreicht werden. Bei Paracetamol richtet sich die Rezeptpflicht nach der Packungsgröße. Aber auch hier gilt: Viele kleine Packungen machen eine große. Beides ist also eher Augenwischerei.
Viele derjenigen, die sich auf eigene Faust Paracetamol in hochdosierter Form verabreichen, sind sich der möglichen Nebenwirkungen und Konsequenzen meist nicht bewusst. Paracetamol ist in vielen Hausapotheken als Schmerzmittel zu finden. Es wirkt fiebersenkend und wird deshalb häufig auch kleinen Kindern gegeben.
Harmlos sei das Medikament allerdings keinesfalls, gibt Gerhard Müller-Schwefe vom Schmerz- und Palliativzentrum Göppingen zu Bedenken. "Paracetamol kann leberschädigend wirken, und gerade bei Kindern kommt es immer wieder vor, dass man das Medikament überdosiert."
Die richtige Dosis ist entscheidend. Sonst könne es zu schweren Leberschäden bis hin zu Leberversagen führen, warnt Müller-Schwefe. "Die Leber macht einen Entzündungsprozess durch, weil Abbauprodukte nicht ausgeschleust werden können. Dann kommt es zu einer immunologischen Reaktion. Die führt dann zur Leberentzündung, und je mehr Leberzellen kaputt gehen umso dramatischer ist es."
Viele nehmen Schmerzmittel unkontrolliert ein
Wirkt Paracetamol nicht direkt, nimmt so manch einer eben noch eine Tablette. Wenn diese nicht wirkt, kann es ja wohl nicht schaden, noch eine zu nehmen und dann noch eine. Und so manch einer hofft vielleicht, dass mehrere Tabletten auf einmal den gewünschten Effekt bringen, unter dem Motto: 'Viel hilft viel'.
"Dann besteht in der Tat das Risiko, dass die Leber versagt", so Müller-Schwefe. Das könne dann tödlich enden, und darauf habe auch der Arzt keinen Einfluss. "Die Selbstmedikation haben Sie nie in der Hand, da handelt jeder eigenverantwortlich."
Unser Körper hat seine eigene Schmerzambulanz
Je nachdem wie viel Paracetamol jemand einnimmt und über welchen Zeitraum, kann das Schmerzmittel abhängig machen. Paracetamol wirkt vor allem im Zentralnervensystem, also im Rückenmark und im Gehirn. Das sei lange Zeit nicht bekannt gewesen, erklärt Müller-Schwefe.
"Dank guter Forschung verstehen wir mittlerweile besser, dass Paracetamol im Rückenmark an einem System angreift, das für die Schmerzkontrolle verantwortlich ist."
Unser Körper verfügt über viele verschiedene Schmerzsysteme. Eines davon ist unser Endorphin-System, unser körpereigenes Morphinsystem. Das Morphin produziert unser Körper also selbst, es wird nicht von außen zugeführt und ist Teil unseres Schmerzkontrollsystems. In Krisensituationen wird es schlagartig aktiviert und kann uns schützen, denn es lindert und unterdrückt Schmerzen. An den körpereigenen Rezeptoren kommt durch Paracetamol eine Schmerzhemmung zustande.
Paracetamol kann die Risikobereitschaft erhöhen
Gleichzeitig kommt es aber auch zu Nebenwirkungen, die die meisten zunächst wohl kaum merken. "Man ist emotional weniger schwingungsfähig. Das heißt: Man ist emotional weder positiv noch negativ an Situationen beteiligt", sagt Müller-Schwefe.
"Wenn jemand leidet, nimmt man innerlich nicht so großen Anteil. Wenn jemand sich freut, ist es dasselbe." Die Person sei innerlich vollkommen abgeschirmt. Aber auch andere Verhaltensweisen ändern sich. "Man trifft zügiger Entscheidungen, wägt sie nicht erst ab. Man ist risikofreudiger."
Ist jemand in einer Krisensituation oder in Lebensgefahr kann es durchaus sinnvoll sein, schnelle Entscheidungen zu treffen. "Wenn Sie beispielsweise verfolgt werden und weglaufen müssen, können starke Schmerzen Sie daran hindern. Dann dürfen Sie eigentlich auch nicht nach rechts und links gucken. Sie müssen sich darauf konzentrieren zu überleben."
Studien zur Wirksamkeit von Paracetamol
Um aussagekräftige Daten zu Paracetamol zu erhalten, wurden etliche Studien durchgeführt, eine davon im Jahr 2020 von der Ohio State University. Darin kommen die Forscher zu dem Schluss, dass Paracetamol auf das menschliche Bewusstsein wirkt und kurzfristig sogar den Charakter verändern kann.
Die Wissenschaftler haben die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt und sie in bestimmte Situationen versetzt. Die eine Gruppe bekam Paracetamol, die andere Placebos. Die Personen mit Paracetamol handelten wesentlich risikoreicher und reagierten unerschrockener als die Vergleichsgruppe. Aber sie wirkten abgestumpft, zeigten kaum Einfühlungsvermögen oder Empathie und verletzten sogar die Gefühle anderer. Aber sie hatten auch weniger Angst.
"Es gibt Menschen, die Paracetamol nicht nur zur Schmerzbekämpfung einnehmen. Sie wollen auch die abschirmende Wirkung erreichen, um emotional nicht mehr betroffen zu sein, weder positiv noch negativ. Das kann also durchaus eine Motivation sein, solche Medikamente regelmäßig zu nehmen", sagt Müller-Schwefe.
Es gibt Alternativen zur Schmerzbehandlung
Der erfahrene Schmerztherapeut weiß auch um die Alternativen, mit denen Betroffene den verschiedenen Arten von Schmerz entgegenwirken können. "Bei Spannungskopfschmerzen würde man zunächst untersuchen, warum es zu diesen Spannungen kommt und dann wahrscheinlich Achtsamkeitstraining empfehlen."
Mithilfe eines solchen Trainings kann die Person den Grund für die Spannungskopfschmerzen leichter herausfinden und dann eben auch etwas dagegen tun.
"Aber mal eben ein Schmerzmittel nehmen oder ein Schmerzmittel gar prophylaktisch schlucken, weil man vielleicht Sport machen will, ist kompletter Unsinn."
Dieser Beitrag wurde zuerst im Dezember 2021 veröffentlicht und zuletzt am 08.02.22 aktualisiert.